Lokales

Kompetenzstreit um Busse und S-Bahn

Kreistagsmehrheit stärkt Landrat den Rücken: Gesamten ÖPNV nicht auf Region übertragen

Der Verband Region Stuttgart (VRS) will die Kompetenz für den gesamten ÖPNV in der Region und hat darum die Landesregierung gebeten, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Das hat eine Kreistagsmehrheit abgelehnt und damit Landrat Heinz Eininger den Rücken gestärkt. Nach wie vor soll der Kreis für die Busse zuständig sein.

Eine erfolgreiche Kombination, wenn die Fahrzeiten eingehalten werden: S-Bahn und Busse.Foto: Jean-Luc Jacques
Eine erfolgreiche Kombination, wenn die Fahrzeiten eingehalten werden: S-Bahn und Busse.Foto: Jean-Luc Jacques

Frickenhausen. Noch bevor Frickenhausens Bürgermeister Simon Blessing ein Grußwort sprechen konnte, stellte Christof Bolay, SPD, einen Geschäftsordnungsantrag, die Tagesordnungspunkte „Aufgabenträgerschaft für den ÖPNV im Großraum Stuttgart“ und „Allgemeine Vorschrift in der Region Stuttgart“ abzusetzen. Die Fragestellung der ÖPNV-Zuständigkeiten solle auf Landesebene diskutiert und geregelt werden, begründete Bolay seinen Antrag und meinte, dem Bürger sei es völlig egal, wer die S-Bahnen und Busse in der Region fahren lasse.

Während die Kreistags-Grünen diesen Antrag unterstützten – ihre Fraktion im Regionalparlament hatte gemeinsam mit den Sozialdemokraten den umstrittenen Beschluss im Juli in der Regionalversammlung herbeigeführt –, sprachen sich Landrat Heinz Eininger, Alfred Bachofer, Freie Wähler, Martin Fritz, CDU, Ulrich Fehrlen, FDP, und Ulrich Deuschle, Republikaner, vehement dagegen aus. Für Landrat Eininger ging es um „die Kompetenzfrage, die den Kreistag elementar betrifft“. Er wollte deshalb vom Gremium ein Mandat, wie er sich in den Verhandlungen mit Verkehrsminister Hermann zu verhalten habe. „Wir sollten uns als Kreistag eindeutig positionieren“, meinte auch Martin Fritz.

So wurde Christof Bolays Antrag gegen die Stimmen von SPD und Grünen mehrheitlich abgelehnt, und diese Mehrheit positionierte sich denn auch eindeutig. „Wir haben heute einen Nahverkehr aus einem Guss unter dem Dach der VVS. Einzig und allein der Verband redet das System schlecht“, ärgerte sich der Landrat. Dabei habe der für die S-Bahnen zuständige VRS allen Grund, zuerst einmal vor seiner eigenen Tür zu kehren. „Die permanenten und starken Verspätungen der S-Bahn schlagen nämlich unmittelbar auf die Bus-Ab- und -Zubringer durch.“ Es gehe letztendlich darum, eine Verkehrsleistung, die dem tatsächlichen Bedarf vor Ort entspricht und deshalb wirtschaftlich ist, zuverlässig zu erbringen.

Ein weiterer Grund, warum die Zuständigkeit des Kreises für den ÖPNV nicht angetastet werden dürfe, liege in der Verfassung. „Die Aufgabenträgerschaft für den ÖPNV gehört zum verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich der kreiskommunalen Aufgaben“, so Landrat Eininger. Auch sah der Kreisverwaltungschef die Gefahr eines Dammbruches. Weitere Kernkompetenzen wie das Krankenhauswesen oder die Abfallbeseitigung könnten dann auch beim Verband Region Stuttgart zentralisiert und dem kommunalen Einfluss entzogen werden.

Auch Bernhard Richter, Freie Wähler, wollte die Sachkompetenz für den lokalen ÖPNV in Händen des Kreises belassen. Kritisch sah er auch die Gefahr einer Verlagerung von unten nach oben. „Wir Freie Wähler wollen keine zentralstaatliche Bevormundung.“

Für passgenaue Lösungen, wie die Bus- und Nachtbusverkehre, plädierte Martin Fritz, Fraktionschef der CDU im Kreistag. Seine Sorge war, dass durch einen Aufgabenübergang vieles teurer werde. „Es kann aber nicht sein, dass den Landkreisen nur noch die Rolle der Zahlmeister zukommt.“

Sowohl die Republikaner als auch die Liberalen im Kreistag lehnten es ab, die Zuständigkeit für den gesamten ÖPNV in der Region dem Verband zu übertragen. „Die Städte und Gemeinden wissen besser, welche Art des Nachtverkehrs, ob Bus oder Taxi, vor Ort notwendig ist“, meinte Rep-Vorsitzender Ulrich Deuschle, und sein Kollege von der FDP warnte: „Hände weg von der Entscheidungskompetenz der Landkreise.“

Dass das Thema nicht neu ist, darauf wies SPD-Chefin Sonja Spohn hin. Seit 1998 versucht ihre Fraktion im Regionalparlament, die ÖPNV-Zuständigkeiten zu verändern. Sie sah darin eine überfällige, zukunftsorientierte Überlegung und sprach sich für eine solidarische Verkehrsfinanzierung aus. Sie hielt nichts davon, Bataillone in Stellung zu bringen und Grabenkriege zu eröffnen, sondern vertraute auf die sachlichen, fachlichen Fakten – auch finanziell. „Der Ball liegt nun beim Landtag und der Landesregierung, nicht beim Kreistag.“

Für Walburga Duong, Grüne, war klar: Der ÖPNV der Region muss aus einem Guss sein und konsequenterweise auch in einer Hand liegen, „und zwar bei der Region“. Der Verband Region Stuttgart müsse deshalb die Aufgabenträgerschaft für den Busverkehr, mit Ausnahme der kommunalen Verkehrsunternehmen, übertragen bekommen.

Auch Duong plädierte für eine solidarische Finanzierung der Bus- und Bahnverkehre über einen gesamthaften Verkehrsraum. Das Metropol­ticket sei hierfür ein gutes Beispiel, und dessen Erfolg, auch der finanzielle, spreche für sich.

An Bewährtem nicht rütteln

Der Großraum Stuttgart ist einer der wirtschaftsstärksten Standorte in Europa. In diesem hoch verdichteten Ballungsraum mit seinen 2,7 Mil­lionen Menschen kommt deshalb einem gut ausgebauten und leistungsstarken öffentlichen Personennahverkehr eine ganz besondere Bedeutung zu. Die Staus und Zeitverluste in der Rushhour machen dies tagtäglich überdeutlich. Er bringt aber nicht nur Menschen staufrei und kostengünstig zu ihren Arbeitsplätzen oder in Freizeiträume und Naherholungsgebiete, sondern ist auch von großem ökologischen Wert.

Dass der ÖPNV in Stuttgart und seinen Umlandkreisen funktioniert, dafür sind Land, Region, Landkreise und die Landeshauptstadt zuständig: das Land für die überregionalen Schienenverkehre, der Verband Region Stuttgart für die S-Bahnen und regional bedeutsamen Schienenverkehre mit Anfangs- und Endpunkt in der Region, die Landkreise Esslingen, Böblingen, Ludwigsburg und der Rems-Murr-Kreis für die Busverkehre und regional nicht bedeutsamen Nebenbahnen wie die Teckbahn, sowie die Stadt Stuttgart für die Stuttgarter Straßenbahnen und SSB-Busse.

Seit der Gründung des Verkehrsverbunds Stuttgart (VVS) 1993 und der Gründung des Verbands Region Stuttgart 1995 hat sich die genannte Aufgaben- und Verantwortungsteilung sehr gut bewährt. Es wundert daher, dass aus dem Regionalparlament immer wieder Stimmen laut wurden, die diese bewährte Kompetenzenverteilung infrage stellten. 2005 lehnte das damalige Verkehrsministerium eine Änderung ab. Nun setzt eine Mehrheit im Verband Region Stuttgart ihre Hoffnung auf die grün-rote Landesregierung und ihren Verkehrsminister Winfried Hermann.

Ohne Not wird hier das Fair Play aufgegeben und das bekannte Fußballtrainerzitat „Never change a winning team“ ignoriert. Man kann sich insgeheim des Eindrucks nicht erwehren, dass es in Wirklichkeit gar nicht um den gut funktionierenden ÖPNV geht.

RICHARD UMSTADT