Lokales

Leseklassen laufen weiter

Eltern und Kinder nehmen auch weite Wege nach Kirchheim in Kauf

Von Jahr zu Jahr bangen Lehrer, Eltern und Schüler, ob die beiden Leseklassen an der Kirchheimer Freihof-Grundschule eine Zukunft haben. Bis zuletzt stand auf der Kippe, ob sie in diesem Schuljahr angeboten werden können. Anders als in anderen Landkreisen gibt es weiterhin zwei Klassen. Doch noch immer wird um die dauerhafte Finanzierung gerungen.

Leserklasse - Freihofgrundschule -. lesen - Schule - Schülerleseklasse
Leserklasse - Freihofgrundschule -. lesen - Schule - Schülerleseklasse

Kirchheim. Mit jeweils zwölf Kindern sind die beiden Leseklassen an der Kirchheimer Freihof-Grundschule wieder voll. Die Schüler kommen nicht nur aus der Teckstadt, sondern nehmen weite Wege selbst aus Neidlingen, Nürtingen, Köngen und Grabenstetten in Kauf. „Wir haben sogar eine Warteliste für das Angebot“, ergänzt Christel Rott. Bereits seit 2004 unterrichtet sie in Kirchheim Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) in gesonderten Klassen. Sie würde sich wünschen, dass das Konzept endlich auf sicheren Füßen steht. Schon dieses Jahr fielen andernorts Leseklassen dem Rotstift zum Opfer. In Ludwigsburg und Stuttgart beispielsweise werden sie nicht mehr angeboten.

Stellvertretend für die landesweit tätigen LRS-Multiplikatoren hatte Christel Rott in einem Brief an Kultusminister Andreas Stoch (SPD) Anfang Juli das Anliegen vorgetragen, die Lehrerwochenstunden für Förder­maßnahmen, insbesondere für schulübergreifende Angebote, in der Direktzuweisung zu verankern, um eine verlässliche Planung zu ermöglichen. Im Frühjahr hatte der Minister selbst das Ziel formuliert, einen entsprechenden Förderpool anzubieten. Im Juli teilte er dem Kirchheimer Grünen-Landtagsabgeordneten Andreas Schwarz auf dessen Anfrage jedoch mit, noch sei es nicht möglich, die Förderstunden aus dem sogenannten Direktbereich zu finanzieren. Inzwischen wurde Christel Rott als Vertreterin der LRS-Multiplikatorinnen vom Kultusministerium eingeladen, den Komplex in einer speziellen Arbeitsgruppe in Stuttgart mitzuberaten.

„Momentan werden die Leseklassen noch aus dem Ergänzungsbereich finanziert“, erklärt die Nürtinger Schulamtsdirektorin Karin Bogen-Dittrich, die unter anderem zuständig ist für Teilleistungsstörungen. Aus diesem Topf müssen neben Angeboten wie Chor, Theater AGs und Förderstunden unter anderem auch Krankheitsvertretungen finanziert werden. Doch schöpfen sowohl die Schulrätin als auch Christel Rott und ihre Kirchheimer Leseklassen-Kollegin Sabine Ottmüller Hoffnung, dass sich daran vom Schuljahr 2014/15 an etwas ändern könnte.

An der Notwendigkeit spezieller Leseklassen besteht für Christel Rott kein Zweifel. „Zum Bildungsanspruch der Regierung gehört, die Zahl der Analphabeten runterzufahren“, so lautet eines ihrer Argumente. Die Pädagogin verweist darauf, dass rund die Hälfte der Schüler aus diesen schulübergreifenden Klassen anschließend in die Realschule gehen, fast ein Fünftel wechselt sogar aufs Gymnasium.

Ulrike Schweizer, deren Sohn im zweiten Jahr eine Leseklasse in Kirchheim besucht, beobachtet wie andere Eltern auch, enorme Fortschritte: „Mein Sohn hat inzwischen Strategien entwickelt, wie er Rechtschreibprobleme angehen kann und liest jetzt mit Begeisterung ganze Bücher. Das wäre vorher undenkbar gewesen.“ Als Ausbildungsberaterin sieht Ulrike Schweizer zudem über den Tellerrand hinaus. Immer häufiger würden Betriebe eine mangelnde Ausbildungsreife von Bewerbern beklagen, die sich in zum Teil eklatanten Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben und Rechnen zeige.

In einem mit Erfahrungsberichten von Eltern unterfütterten Brief hatte sie im Frühjahr den Kirchheimer Grünen-Landtagsabgeordneten, Andreas Schwarz, darum gebeten, sich für den Fortbestand der Leseklassen einzusetzen. Damit rannte sie bei ihm offene Türen ein. „Klares Ziel des Kumi ist, die Leseklassen aus dem Direktbereich zu finanzieren. Das ist ein gewaltiger Schritt“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende auf Anfrage. Er gehe davon aus, dass die Umstellung zum nächsten Schuljahr erfolge. Für eine bessere individuelle Förderung in den Grundschulen sei seiner Auffassung nach eine bessere personelle Ausstattung unumgänglich. „Statt diverser Einzelprogramme sollten die Grundschulen selber darüber entscheiden, wie und wo sie die personellen Ressourcen einsetzen“, erklärte Andreas Schwarz. Statt den LRS-Förderbedarf über den Ergänzungsbereich zu finanzieren, sollten nach den Vorstellungen seiner Fraktion auch die Grundschulen mit mindestens einer Poolstunde, also einer zusätzlichen Wochenstunde pro Klasse, ausgestattet werden.