Lokales

Lobby für die Wohngemeinschaften

In Kirchheim und Ostfildern wird die geplante Änderung des Heimgesetzes kritisch hinterfragt

Die Landesregierung plant eine Änderung des Heimgesetzes. Angelika Matt-Heidecker und Christof Bolay, die Oberbürgermeister von Kirchheim beziehungsweise Ostfildern, fürchten, dass die Gesetzesänderung das Aus für die Wohngemeinschaften für Demenzkranke in ihren Kommunen bedeuten könnte. Sie wollen deshalb Lobbyarbeit für die WGs betreiben.

Bewohner der Wohngemeinschaft im Nachbarschaftshaus in Ostfildern bereiten gemeinschaftlich das Mittagessen vor.Foto: Stadt Ostf
Bewohner der Wohngemeinschaft im Nachbarschaftshaus in Ostfildern bereiten gemeinschaftlich das Mittagessen vor.Foto: Stadt Ostfildern

Andreas Volz

Ostfildern. Christof Bolay bezeichnete die beiden ambulant betriebenen Wohngemeinschaften beim gemeinsamen Pressegespräch in Ostfildern als eine „große Erfolgsgeschichte“. Pflegende Angehörige übernehmen dort ehrenamtlich Tätigkeiten wie Einkaufen, Essen zubereiten oder Spazierengehen mit den Demenzkranken. Die Arbeiten wiederum, die pflegerisch notwendig sind, erledigt das Fachpersonal eines ambulanten Pflegediensts. Für Christof Bolay ist diese Art der Versorgung demenzkranker Menschen „der dritte Weg zwischen privatem Wohnen zuhause und den klassischen Pflegeheimen“.

Einer der Kritikpunkte, den die beiden Stadtoberhäupter am neuen Entwurf zum Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz anzubringen haben, bezieht sich auf den Umgang mit dem Ehrenamt. Denn nicht nur pflegende Angehörige, sondern auch sonstige ehrenamtlich engagierte Kräfte können in solchen WGs mithelfen. „Die Landesregierung schreibt sich die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements auf die Fahnen. Hier werden aber das Engagement und die Initiative der Angehörigen erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht“, sagt Ostfilderns Oberbürgermeister. An dieser Stelle bringe das neue Gesetz keine Erleichterung, sondern baue zusätzliche Hürden auf.

Zum einen sehe der Entwurf vor, dass die Bewohner der WGs selbst sagen sollen, dass sie in eine solche Einrichtung ziehen wollen. Da man aber vermutlich erst bei fortgeschrittener Demenz in die Wohngemeinschaft zieht, lässt sich diese Bedingung schlichtweg nicht erfüllen. Wer unter Betreuung steht, könnte nicht mehr in einer WG unterkommen. Das betreffe nicht nur die Wohngemeinschaften für Demenzkranke, sondern auch solche für Menschen mit einer geistigen Behinderung, sagt Angelika Matt-Heidecker.

In Gefahr sind damit auch die Zuschüsse, die die Demenz-WGs in Kirchheim und Ostfildern bis jetzt erhalten. Diese liegen derzeit bei 200 Euro pro Bewohner und Monat, hieß es gestern beim Pressegespräch. Nach Bundesrecht würden den Wohngemeinschaften diese Zuschüsse zur Bezahlung der ambulanten Pflegekräfte zustehen, nach neuem Landesrecht aber plötzlich nicht mehr. Und noch ein weiteres Problem am neuen Gesetzentwurf würde die Finanzierung betreffen. Wie Angelika Matt-Heidecker und Christof Bolay gestern mitteilten, sollten solche Wohngemeinschaften künftig auf eine maximale Bewohnerzahl von acht beschränkt werden. In der Wohngemeinschaft des Vereins „Lichtblick“ im Nachbarschaftshaus in Ostfildern gibt es aber neun Plätze, und auch das hat einen triftigen Grund, wie Christof Bolay berichtet: „Natürlich könnte man die WG auch mit weniger Personen betreiben. Aber dann wird es für jeden einzelnen eben teurer.“

Warum die Wohngemeinschaften nach dem Gesetzentwurf vor dem Aus stehen würden, warum sie also nicht entsprechend berücksichtigt werden, das können sich die beiden Oberbürgermeister nicht erklären. „Ich kann nicht nachvollziehen, welche Interessengruppen sich da positioniert haben. Ich stehe hier vor einem Rätsel“, meint Christof Bolay, der außerdem betont: „Wir verstehen uns als Lobbyisten – nicht nur für die bestehenden Wohngemeinschaften in unseren beiden Kommunen, sondern auch für künftige WGs.“

Angelika Matt-Heidecker kann sich die Zukunft der Pflege ohne solche Einrichtungen gar nicht vorstellen: „Die einzige Alternative wäre die stationäre Unterbringung in Pflegeheimen. Das wird angesichts der demografischen Entwicklung und der zunehmenden Zahl Demenzkranker künftig gar nicht mehr finanzierbar sein.“ Natürlich kann und will Kirchheims Oberbürgermeisterin die klassischen Pflegeheime nicht abschaffen. Weil aber in den Wohngemeinschaften – nicht zuletzt durch das ehrenamtliche Engagement – für einen einzelnen Platz von vornherein weniger Kosten anfallen, kann sie gar nicht nachvollziehen, dass der Gesetzentwurf die WGs nicht besser berücksichtigt. „Diese Einrichtungen sind zukunftsweisend, und deshalb wollen wir auch mehr als nur einen Bestandsschutz der bestehenden Wohngemeinschaften.“ Wo immer Angehörige planen, sich in einer solchen WG zusammenzutun, solle dies auch künftig möglich sein.

Es geht den beiden WG-Lobbyisten nicht darum, die Gesetzesänderung komplett zu torpedieren. „Es ist wichtig, dass der Staat diese Einrichtungen kontrolliert“, betont Angelika Matt-Heidecker. „Da darf es keinen Wildwuchs geben, und es soll auch niemand Schindluder treiben.“ Aber die Unterbringung in Wohngemeinschaften, die von Angehörigen oder nachbarschaftlich engagierten Menschen unterstützt werden, solle auch weiterhin möglich sein. Schließlich habe gerade Kirchheim eine Vorreiterrolle eingenommen mit der Demenz-WG im „Eckpunkt“. Die Einrichtung besteht schon seit acht Jahren, und sie war damals eine der ersten überhaupt.