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„Mehr Solidarität und weniger Wachstum“

Lesung im Weilheimer Gemeindehaus am Kohlesbach: Erhard Epplers Streben nach einer solidarischen Leistungsgesellschaft

Am Freitag gastierte der ehemalige Bundesminister Erhard Eppler in Weilheim. Im Gemeindehaus am Kohlesbach stellte der politische Querdenker vor rund 100 Zuhörern sein Buch „Eine solidarische Leistungsgesellschaft“ vor.

Erhard Eppler las in Weilheim aus seinem Buch ¿Eine solidarische Leistungsgesellschaft¿.Foto: Genio Silviani
Erhard Eppler las in Weilheim aus seinem Buch ¿Eine solidarische Leistungsgesellschaft¿.Foto: Genio Silviani

Weilheim. Nach der Bankenkrise sind Themen aus den frühen 70er-Jahren, die von der marktradikalen Welle weggeschwemmt wurden, plötzlich wieder modern. Sogar Konservative sehen die Welt heute da, wo einige politische Denker, darunter Erhard Eppler, sie schon 1972/73 sahen: Am Beginn einer neuen Epoche, in der es kein „weiter so“ mehr geben kann. Die Staaten Europas sind aus der Finanz- und Wirtschaftskrise mit mehr Prestige hervorgegangen, aber auch mit viel mehr Schulden – und deshalb weniger Gestaltungsspielraum. Kommt als Sachzwang wieder, was als Verheißung unendlichen Wachstums erledigt ist? Eppler weist einen Ausweg – keine Utopie, aber eine Richtung. Sie führt Schritt für Schritt von der marktradikalen Erfolgsgesellschaft zur solidarischen Leistungsgesellschaft.

Dr. Erhard Eppler wurde 1926 in Ulm geboren. Er studierte Deutsch, Englisch und Geschichte und promovierte 1951 mit einer Arbeit über die Heldenfiguren in der elisabethanischen Tragödie. Bis 1961 arbeitete er als Lehrer, parallel dazu war er parteipolitisch aktiv: seit 1952 in der von Gustav Heinemann gegründeten Gesamtdeutschen Volkspartei, ab 1956 in der SPD, für die er 1961 in den Bundestag einzog. Kurt Georg Kiesinger berief ihn 1968 zum Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit – einen Posten, den er auch unter Willy Brandt und Helmut Schmidt bis 1974 innehatte. Eppler engagierte sich nicht nur in der Parteipolitik, sondern auch in der Evangelischen Kirche in Deutschland, in den Jahren 1989 bis 1991 war er Präsident des Kirchentags.

In seinem neuesten Werk plädiert Eppler für eine solidarische Leistungsgesellschaft, in der das Leitbild nicht der mit den kräftigsten Ellbogen ist, sondern der Mensch mit Verantwortungsgefühl und mit dem feinsten Gespür für die Bedürfnisse anderer. „Das Haben ist nicht ganz so wichtig“, erklärt Eppler in seinen einleitenden Worten. Der erste Teil seines Buchs beschäftigt sich mit der Frage: „An welcher Stelle der Geschichte befinden wir uns?“.

„Nie war es so leicht, Informationen zu bekommen, wie heute. Doch so schwer ist es auch, Orientierung zu finden“, mahnt Eppler an. Schon vor 40 Jahren sei es um Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität gegangen – Themen, die jetzt wieder aktuell sind. Die Verschuldung Europas begann aus Epplers Sicht nach der ersten Ölkrise 1973. Bis dato hatte die Bundesrepublik so gut wie keine Schulden gemacht. Steuersenkungen und Konjunkturprogramme führten danach in die Schuldenpolitik, die bis heute anhält. „Folglich diktiert der Finanzmarkt die Regierungen“, sagt der Visionär.

Aus dem zweiten Teil seiner Neuerscheinung liest Eppler einige Passagen vor. Im Kapitel über „Leistung und Erfolg“ gibt er zu verstehen, dass sich Leistung wieder lohnen müsse und dass Leistung auch Arbeit sei, die entsprechend vergütet gehört. Den neudeutschen Begriff „Leistungsträger“ bezeichnet der Querdenker als eine Erfindung. „Leistung wird nicht getragen. Leistung ist Erfolg. Und Erfolg beruht auf Leistung.“, lautet Epplers Formel.

„Öffentlich und Privat“ lautet die Überschrift seines achten Kapitels. Privat geht vor Staat. „Doch wenn jeder seinen privaten Wohlstand steigern will, geht es keinem besser“, macht Erhard Eppler deutlich. Die „Solidarische Leistungsgesellschaft“ ist auch Sicht Epplers jedoch nur erreichbar, wenn der Begriff „Leistung“ anders definiert wird. Die politische Hauptrichtung müsse sein: „Mehr Solidarität und weniger Wirtschaftswachstum“. Mit dieser Aussage beschließt er seine Lesung.