Lokales

Mit Musik gegen Ausgrenzung

Willkommensabend für Asylbewerber und Flüchtlinge trifft auf große Resonanz

Egal, wo in diesen Tagen das Thema Flüchtlinge in den Schlagzeilen auftaucht – meist bestimmt ein negativer Ton die Berichterstattung. Ganz anders am Freitagabend in Kirchheim: Mit einem Abend voller Musik hießen die Kirchheimer zahlreiche Asylbewerber in der Teckstadt willkommen.

Zahlreiche Menschen unterschiedlicher Nationen erlebten einen Abend mit viel Musik im großen Sitzungssaal des Rathauses.Foto: Ni
Zahlreiche Menschen unterschiedlicher Nationen erlebten einen Abend mit viel Musik im großen Sitzungssaal des Rathauses.Foto: Nicole Mohn

Kirchheim. Beim Thema Integrationspolitik sind die Kirchheimer alte Hasen. Seit in den 50er-Jahren die ersten Gastarbeiter in die Stadt kamen, setzt man auch in der Verwaltung auf den Grundsatz des Miteinanders und der Offenheit anderen Kulturen gegenüber.

Von diesem Geist war auch der Welcome-Abend im Rahmen der interkulturellen Woche in Kirchheim im großen Sitzungssaal des Rathauses geprägt, den der Arbeitskreis Asyl in Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle für Flüchtlinge „chai“ sowie der Kirchheimer Ortsgruppe von Amnesty International auf die Beine gestellt hatte. „Sie sind Bürger unserer Stadt – egal ob ihr Status anerkannt ist oder nicht“, unterstrich Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker, die sich begeistert von der ungewohnten Atmosphäre im Ratssaal zeigte.

Menschen aus rund 110 Nationen leben derzeit in Kirchheim. Viele kommen über die Unterkunft in der Charlottenstraße in die Teckstadt. Derzeit ist das Asylbewerberheim voll ausgelastet. 280 Menschen haben hier vorerst Unterkunft gefunden.

Was es heißt, in solch einer Unterkunft zu wohnen, verdeutlichte die ARD-Dokumentation „Vier Wochen Asyl“, in der Reporter des Polit-Magazins „Kontraste“ den Selbstversuch wagen. Sie zeichnet ein beklemmendes Bild vom Leben in der Asylbewerberunterkunft: Es gibt keine Privatsphäre, und die Lebensbedingungen auf rund 4,5 Quadratmetern pro Asylbewerber sind alles andere als Luxus. Das enge Aufeinanderleben verschiedenster Kulturen birgt Konfliktpotenzial. Und über allem liegt eine lähmende Tatenlosigkeit. Warten ist die häufigste Tätigkeit: warten auf den Termin für eine Anhörung beim Bundesamt für Flüchtlinge, warten auf die Entscheidung, auf das Bleiberecht oder eine Arbeitserlaubnis.

Das sind Erfahrungen, die auch Mehdi Dehestani und seine Familie gemacht haben. 2008 ist er mit seiner Frau und den beiden kleinen Kinder aus Afghanistan geflohen. Drei Tage ging es mit dem Auto zur türkischen Grenze, dann noch einmal so lange bis nach Istanbul und die Mittelmeerküste. 15 Tage harrten sie dort aus, warteten auf ein wackeliges Schlauchboot, das sie und vier andere Familien nach Griechenland bringen sollte. „Der Regen hat uns vor dem Verdursten bewahrt“, sagte Dehestani. Was das mit zwei kleinen Kindern bedeutet haben muss, konnten sich die meisten Zuhörer am Freitag im Sitzungssaal kaum vorstellen.

In Griechenland lebte die kleine Familie auf der Straße. Sieben Monate dauerte ihr Martyrium, in dem sie Hunger, Durst, Schläge und Herabwürdigungen erfuhren. „Die Athener fütterten die Hunde und Katzen – uns nicht“, berichtete der Afghane. In der aussichtslosen Situation beschloss die Familie, weiter nach Deutschland zu flüchten. Die Eltern in Afghanistan verkauften ihr Haus, um ihnen die Weiterreise zu finanzieren. In Stuttgart strandeten die Vier schließlich 2009 und kamen ins Heim an der Kirchheimer Charlottenstraße. Mehr als zwei Jahre warteten sie auf ihr Aufenthaltsrecht. Inzwischen haben sie eine Wohnung gefunden, auch einen kleinen Job, die Kinder besuchen Kirchheimer Schulen. „Unser Leben in Deutschland hat angefangen“, sagte Dehestani.

Oft endet eine Flucht jedoch nicht glücklich, daran erinnerte Marianne Gmelin vom AK Asyl: „Der Zugang zu Europa endet im Mittelmeer vor Lampedusa – und wir sitzen im Fernsehsessel und schauen zu.“ Auch beim deutschen Asylverfahren, das den Flüchtlingen kaum Raum zu einem selbstbestimmten Leben lasse, sieht die engagierte Kirchheimerin noch einigen Änderungsbedarf. Ein Viertel der Menschen, die nach Deutschland kommen, habe eine qualifizierte Berufsausbildung. „Die Frage ist: Können wir uns angesichts des Fachkräftemangels noch erlauben, auf sie zu verzichten?“, gab Marianne Gmelin zu bedenken.

Wenn diese politischen Fragen auch wichtig sind – am Freitag spielten sie dennoch eine Nebenrolle. Denn vor allem war der Abend zum Kennenlernen, Kontakte knüpfen und für Begegnungen gedacht. Eine Premiere gab es zudem für die multikulturelle Band „Wüstenblumen“. Menschen aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt machen hier Musik – unter der Leitung von Sidahmed Serour, der selbst vor vielen Jahren als Flüchtling in die Teckstadt kam. Die Band ist ein gelungenes Beispiel für die Integrationskraft in Kirchheim und zugleich ein positives Signal an die Neuankömmlinge in der Stadt.