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„Revolution“ bleibt vorerst ausInfo

Die aktuelle Version der Gesundheitskarte leistet kaum mehr als die Krankenversichertenkarte

Weiterhin akzeptieren Ärzte bei gesetzlich Versicherten die Krankenversichertenkarte ohne Lichtbild. Ursprünglich sollte vom 1. Januar an nur noch die neue elektronische Gesundheitskarte Gültigkeit haben. Anke Kirsammer

Kirchheim. Entgegen anderslautender Veröffentlichungen, die eine Übergangsfrist bis zum 30. September nennen, weist die Kassenärztliche Bundesvereinigung darauf hin, dass die alten Karten noch bis zu ihrem jeweils aufgedruckten Gültigkeitstermin genutzt werden können.

Schon seit Jahren sind die Krankenkassen damit beschäftigt, den Versicherten den Umstieg auf die elektronische Gesundheitskarte (eGK) nahezulegen. „2008 haben wir damit begonnen, Lichtbilder zu beschaffen“, sagt Rafael Wittlinger, Abteilungsleiter für Versicherungen und Beiträge bei der BKK Scheufelen. Inzwischen verfügen gut 98 Prozent der 47 500 Versicherten über eine eGK. Einige Mitglieder hätten noch gültige Krankenversichertenkarten. Diejenigen, die die Abgabe eines Fotos verweigerten, würden unter anderem die Kosten für das Lichtbild ins Feld führen oder Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes äußern.

„Die aktuelle Version der Gesundheitskarte kann schlichtweg nicht mehr leisten als die bisherige Krankenversichertenkarte“, betont der stellvertretende Vorstand der Krankenkasse, Wolfgang Allgaier. Gespeichert sind auf ihr Name, Geburtsdatum, Geschlecht, Anschrift, Versichertennummer und -status. Die eigentliche „Revolution“ der Karte steckt im Prozessor-Chip. Vorerst sollen dessen Möglichkeiten mit dem Zugriff auf Daten wie etwa Patientenverfügungen, Organspendeerklärungen oder Impfungen aber nicht genutzt werden.

In der jetzigen Form bietet die eGK Allgaier zufolge weder für Ärzte, Kassen noch für Patienten einen Zusatznutzen. Wenn die Karte in einigen Jahren tatsächlich zu einer Verbesserung des Informationsflusses beitrage, könne sich das vielleicht noch ändern, so der stellvertretende Vorstand. „Für die BKK Scheufelen war die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte noch nie eine Herzensangelegenheit. Die Kartenausgabe geschah in erster Linie auf Druck des Gesetzgebers“, unterstreicht Allgaier. Die dazu aufgewendeten Versichertengelder hätten seiner Ansicht nach besser in anderen Bereichen des Gesundheitswesens investiert werden können. „Ob nach der jüngst bekannt gewordenen Gier der Geheimdienste nach persönlichen Daten der ursprüngliche Gedanke einer erweiterten Datenübermittlung überhaupt noch sinnvoll erscheint und die bisherige Marschroute politisch durchzuhalten ist, wagen wir mit einer gewissen Skepsis zu bewerten“, sagt Allgaier. „Man wäre in Berlin vielleicht gut beraten gewesen, hätte man sich von vorneherein mit unserem Vorschlag auseinandergesetzt, sich am Euroscheckkarten-System zu orientieren.“ Das hätte bedeutet, die Karte selbst nur mit minimalen Speichermöglichkeiten auszustatten, eine PIN vorzusehen und die Möglichkeit zu schaffen, die Karte bei Verlust sofort systemweit sperren zu lassen. „So hätte man sich auch den Aufwand einer Lichtbildbeschaffung erspart und hätte einen nahezu identischen Sicherheitslevel gehabt.“

Wie die BKK-Versicherten sind die AOK-Versicherten flächendeckend mit der Gesundheitskarte ausgestattet. „Wir bewegen uns bei nahezu 100 Prozent“, sagt der Geschäftsführer der AOK-Bezirksdirektion Neckar-Fils, Johannes Bauernfeind. Schon bisher hatten viele Mitglieder der AOK eine Krankenversichertenkarte mit persönlichem Lichtbild. – Die Umstellung diesbezüglich fällt bei ihnen deshalb nicht ins Gewicht.

Die Vorteile der eGK liegen für Bauernfeind indes klar auf der Hand: „Sie soll den Missbrauch einschränken.“ Dazu gehört für ihn auch der Aufdruck der zehnstelligen, lebenslang gültigen Krankenversicherungsnummer. Überdies bietet der Chip theoretisch die Option, weitere Daten zu speichern. „Ab wann davon Gebrauch gemacht werden kann, wissen wir aber noch nicht“, sagt der Geschäftsführer.

Er betont die Chancen, die in der neuen Karte stecken. Darauf könnten „perspektivisch“ etwa Arzneimittelunverträglichkeiten, die Blutgruppe oder Medikamente, die ein Patient einnimmt, gespeichert werden. „In einem Notfall wären damit ganz schnell alle relevanten Daten abrufbar“, so Bauernfeind. Auch ließen sich Mehrfachuntersuchungen und zeitaufwendige Anamnesen vermeiden. Es gehe nicht darum, die komplette Patientenakte eines Versicherten auf die Karte zu übertragen. „Dazu ist die Speicherkapazität auch zu begrenzt“, betont der AOK-Geschäftsführer. Im Übrigen könnten die Versicherten entscheiden, welche Daten auf der eGK gespeichert werden. „In Deutschland herrscht informelles Selbstbestimmungsrecht“, erklärt Bauernfeind dazu. Er ist eher enttäuscht darüber, dass das Potenzial, das die eGK bietet, in absehbarer Zeit noch nicht in dem Maße genutzt werden kann, wie es theoretisch möglich wäre. Dazu gehört auch, Rezepte zu erstellen, die elektronisch an die Apotheke gehen. „Insbesondere im Betäubungsmittelbereich gibt es immer wieder Fälschungen“, so lautet eines seiner Argumente.

Den von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vorgebrachten Vorwurf, die Kassen hätten die Fotos der Versicherten nicht überprüft, weist Bauernfeind wie Wittlinger zurück: „Das wurde vom Gesetzgeber nie gefordert. Die Ärzte haben die Verpflichtung, die Identität zu überprüfen.“

„Ich frage mich, wo die Vorteile der elektronischen Gesundheitskarte sind“, sagt der Erste Vorsitzende der Kreisärzteschaft Nürtingen, Dr. Thorsten Lukaschewski. „Einen großen Fortschritt bringt sie nicht.“ Er bedauert, dass die Idee einer zentralen Datenbank schnell gestorben sei und der Chip wiederum eine nur sehr geringe Speicherkapazität biete. Jedoch räumt Lukaschewski der Freiheit des Einzelnen im Umgang mit seinen Patientendaten einen hohen Stellenwert ein. Wie der Chefarzt der Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin in Kirchheim hervorhebt, würde eine ausgereifte eGK bei Notfällen im Krankenhaus wichtige Infos liefern, zeitintensive Doppeluntersuchungen könnten vermieden werden. – „Mit der jetzigen Ausgestaltung der Karte geht es eher um ein möglichst sicheres Ausweissystem.“

 

Eine eGK ohne Foto erhalten Kinder bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres und Versicherte, denen das Erstellen eines Fotos nicht möglich ist sowie Schwerpflegebedürftige. Akzeptiert werden unter anderem auch religiöse Gründe.