Lokales

„Schwere Geburt – schönes Kind“

Festakt: Kreistag feiert 40 Jahre Landkreis Esslingen und 30 Jahre Partnerschaft mit Givatayim

Die Schar der Gratulanten war prominent und international: Beim gestrigen Festakt im Kreistag anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Landkreises Esslingen und der 30-jährigen Partnerschaft mit der israelischen Stadt Givatayim haben Innenminister Reinhold Gall und Givatayims Oberbürgermeister Reuven Ben Schachar die Leistung des Kreises und die Partnerschaft gewürdigt.

Kreistag  - Sondersitzung: 40 Jahre Landkreis Esslingen
Kreistag - Sondersitzung: 40 Jahre Landkreis Esslingen

Richard Umstadt

Esslingen. 40 Jahre sind den Schwaben allemal ein Jubiläum wert, denn wer ins Schwabenalter kommt, gilt hierzulande als „g‘scheit“. Und der Landkreis Esslingen, der 1973 durch die von der Landesregierung beschlossene Kreisgebietsreform entstand, feiert heuer sein 40. Wiegenfest. So blickte gestern in einer Sondersitzung des Kreistags Landrat Heinz Eininger sowie Frauen und Männer der ersten Stunde gemeinsam mit vielen Gästen aus der Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik sowie der Wirtschaft und den Partnern aus Givatayim/Israel und den Landkreisen Leipzig, München und Prus­zkow/Polen auf die vergangenen vier Jahrzehnte zurück.

„Der Landkreis kann stolz darauf sein, was in dieser Zeit aufgebaut wurde“, sagte Heinz Eininger. Nicht das Nummernschild mit einem ES oder NT sei entscheidend, sondern vielmehr was der Kreis geleistet habe in der Bildung, Krankenversorgung, sozialen Absicherung der Menschen, im öffentlichen Personennahverkehr, der Abfallwirtschaft und im Umweltschutz. „Nach 40 Jahren sind die Grenzen der Altkreise Esslingen und Nürtingen kaum mehr Thema der aktuellen Kommunalpolitik.“ Nach den Zeiten des Aufbaus und der Demokratisierung nach dem Weltkrieg, der Wiedervereinigung in den 80ern und 90ern gehe es in den nächsten Jahren darum Lösungen aufzuzeigen, wie es gelingen könne, unseren Wohlstand unter schwieriger werdenden Voraussetzungen zu halten. Nur eine realistische Politik des Möglichen und des Finanzierbaren könne hier den Weg zeigen. Dabei appellierte der Landrat einmal mehr an die Politik, die Kommunen und Landkreise finanziell verlässlich auszustatten.

Als Erfolgsgeschichte beschrieb Heinz Eininger die 30-jährige Partnerschaft zwischen dem Landkreis und Givatayim. Mit Leben erfüllt wird sie durch den kontinuierlichen beidseitigen Schüleraustausch. Eine dieser Schulen ist die Thelma Yellin High School of Arts in Givatayim, deren Jazzband „als Gastgeschenk“ die Festgäste vor dem Foyer des großen Sitzungssaals des Landratsamts in Esslingen musikalisch begrüßte.

Givatayims Oberbürgermeister Reuven Ben Schachar gratulierte auch im Namen der anderen Partner dem Kreis Esslingen zum Geburtstag und charakterisierte die Verbindung mit Givatayim als „eine Partnerschaft der Liebe und des Friedens zwischen zwei Völkern.“ Als eine Partnerschaft, die stark, stabil und sicher sei. „Wir werden daran weiterarbeiten, sie voranbringen mit aller Kraft – sie entwickelt sich – und so ist sie ein lebendiger Teil der Wirklichkeit.“ Er sei voller Hoffnung, dass auch im Nahen Osten „der Frieden, der so groß ist, dass alle ihn brauchen“, kommen werde.

Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall kannte die „schwere Geburt“ des Landkreises 1973. Das hing nicht zuletzt mit dem Sitz der neuen Kreisbehörde zusammen. Denn noch in der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs sollte dieser nach Nürtingen kommen. In der Schlussabstimmung am 23. Juli 1971 fiel die Entscheidung jedoch in letzter Sekunde zugunsten von Esslingen aus. Die Nürtinger waren sauer und der Start des neuen Kreises doch ziemlich holprig. Inzwischen spiel tdas nur noch marginal eine Rolle, denn wie der Innenminister versicherte, gilt auch hier die alte Hebammenweisheit: „schwere Geburt – schönes Kind“.

Durch die Kreisgebietsreform und die nachfolgende Gemeindegebietsreform wurde die historisch eher zufällig gewachsene territoriale Gliederung an die wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen angepasst und zugleich die Verwaltung für größere, kompliziertere und teurere Aufgaben zukunftsfest gemacht. Der Innenminister war überzeugt, dass dadurch die Verwaltungskraft gestärkt wurde, wodurch die Landkreise und unteren Verwaltungsbehören immer mehr Aufgaben schultern konnten. „Jetzt haben wir durch die Integration der meisten unteren Sonderbehörden in die Landratsämter eine viel einfachere und für den Bürger deutlich transparentere und effizientere Verwaltungsstruktur als noch vor vierzig Jahren“, stellte Reinhold Gall den Vorteil der Reform heraus.

Heute spiele der Landkreis Esslingen bundesweit in der oberen Liga mit. Beim Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen in Deutschland liegt er im obersten Fünftel; nach Bevölkerungszahl und Bevölkerungsdichte ist er ohnehin bundesweit ein Schwergewicht. Nach dem Zukunftsatlas der Regionen, den die Prognos AG 2010 erstellte, gehört der Landkreis Esslingen im bundesweiten Vergleich zu den Regionen mit hohen Zukunftschancen. Der Land­kreis nehme nicht nur die aktuellen Herausforderungen in der vielfältigen Krankenhauslandschaft des Kreises an, um die finanziellen Risiken zu minimieren, lobte der Innenminister. „Auch in anderen wichtigen Aufgabengebieten des Landkreises – ich nenne hier nur stichwortartig den Schulbereich, die Sozial- und Beratungseinrichtungen, den öffentlichen Personennahverkehr oder die nachhaltigen Bemühungen zum Schutz von Landschaft und Natur – leistet er erfolgreich seine Arbeit.“

Innenminister Reinhold Gall blickte nicht nur auf die 40-jährige erfolgreiche Kreisgeschichte, sondern würdigte auch die 30-jährige Partnerschaft des Landkreises Esslingen mit der Stadt Givatayim in Israel. „Sie haben sich vor 30 Jahren in Ihrer Partnerschaftsvereinbarung vorgenommen, zu einer guten Verständigung zwischen den Menschen beizutragen“, so der Innenminister. Wie zentral die Verständigung für das Menschsein ist, hat der Stiefsohn eines Amtsvorgänger von Herrn Oberbürgermeister Heirich, Friedrich Hölderlin, prägnant in die Worte gefasst „ein Gespräch wir sind“. „Dass ein solches Gespräch überhaupt möglich ist, trotz des unermesslichen Leids, das das sogenannte Dritte Reich insbesondere über die jüdischen Bürgerinnen und Bürger gebracht hat, dafür müssen wir vor allem unseren israelischen Freunden danken“, sagte Reinhold Gall. Er war überzeugt davon, dass sich die gemeinsame Hoffnung auf eine friedliche gemeinsame Zukunft erfüllt.

„Die Rolle der Landkreise in einem modernen Regierungssystem“ beleuchtete in seinem Festvortrag Professor Dr. Dr. h.c. Joachim Jens Hesse vom Internationalen Institut für Staats- und Europawissenschaften der Freien Universität Berlin. Dabei brach der Wissenschaftler eine Lanze für die Kreise. Sie seien ein absolut unverzichtbares Bindeglied zwischen dem Land und den Kommunen.

Aufgrund ihrer Leistungen erachtete Hesse die Diskussion um die Abschaffung der Kreise als fragwürdig. Der Professor kritisierte aber auch deren „ausgesprochen ungleichgewichtige Ausgabenstruktur“. Es gebe Landkreise, die für sozialen Pflichtleistungen bis zu 70 Prozent ihres Haushalts aufbringen müssten. Die kommunale Selbstverwaltung erachtete der Redner als ein in jeder Hinsicht – „aber nicht um jeden Preis“ – schützenswertes Gut. Eine Gebietsreform sei nur dort sinnvoll, wo das Kosten/Nutzen Verhältnis erwiesen sei. „Es ist aber fahrlässig, wenn Großräumigkeit an Stelle der Kreise gesetzt werden soll und wenn nur deshalb fusioniert wird, weil wir die Landschaft bereinigen wollen,“ so Professor Hesse, der Großkreise für selbstverwaltungsfeindlich hielt.

Joachim Jens Hesse sah in Baden-Württemberg ein hochinteressantes Modell, lobte die Gebietsreform 1973 und die Auflösung der Sonderbehörden durch den früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel. Durch eine überragende Leistung der baden-württembergischen Kreise habe die phänomenale Effizienzrendite von 20 Prozent im vorgegebenen Zeitraum erwirtschaftet werden können. Diesem Reformansatz wies der Staatswissenschaftler historische Bedeutung zu. Landkreise im Ländle seien bundesweit führend. Hesse sah deshalb keinen drängenden Veränderungsbedarf, „erst recht nicht für den Landkreis Esslingen.“ Er gratulierte Landrat Heinz Eininger anerkennend zum „vorzüglichen Standort und den überzeugenden Strukturdaten“.

Der Festredner Professor Dr.¿Dr.¿h.c. Joachim Jens Hesse..
Der Festredner Professor Dr.¿Dr.¿h.c. Joachim Jens Hesse..