Lokales

Spielern den Spiegel vorhalten

Suchtberatungsstelle schult Personal von Spielhallen für den Umgang mit Süchtigen

Glücksspiel kann süchtig machen. Dieser Botschaft soll sich in den Spielhallen und bei anderen Glücksspielanbietern im Landkreis keiner mehr entziehen können. Die Suchtberatungsstelle schult künftig die Mitarbeiter. Sie sollen süchtigen Spielern den Spiegel vorhalten und sie an Beratungsstellen weitervermitteln.

Mitarbeiter von Spielhallen sollen künftig krankhaftes Spielerverhalten erkennen können. Einige Glücksspielanbieter klären ihre
Mitarbeiter von Spielhallen sollen künftig krankhaftes Spielerverhalten erkennen können. Einige Glücksspielanbieter klären ihre Gäste schon heute über Gefahren auf (kleines Foto), so wie hier in einer Kirchheimer Spielhalle.Fotos: Jean-Luc Jacques

Kreis Esslingen. Den Stein ins Rollen gebracht hat das Landesglücksspielgesetz, das seit November in Kraft ist. Es hat das Ziel, den Jugend- und Spielerschutz zu verbessern und Glücksspielsucht zu verhindern. Glücksspielanbieter sind künftig verpflichtet, ein Sozialkonzept zu erstellen. Es soll Auskunft darüber geben, welche Maßnahmen getroffen wurden, um krankhaftes Spielverhalten zu verhindern. In den letzten Jahren sind vor allem Spielhallen im Landkreis regelrecht aus dem Boden geschossen. 33 solcher Etablissements gibt es mittlerweile im gesamten Kreisgebiet, allein 13 in Kirchheim.

Das Sozialkonzept soll außerdem zeigen, dass die Mitarbeiter in der Lage sind, süchtige Spieler zu erkennen und sie an Beratungsstellen zu verweisen. Gefordert wird das nicht nur von Spielhallenpersonal, sondern auch von Mitarbeitern in Wettannahmestellen oder Staatlichen Toto-Lotto-Annahmestellen. Sie alle sind ab sofort verpflichtet, regelmäßig Schulungen zu besuchen, die von der Suchtberatungsstelle des Landkreises (PSB) veranstaltet werden. Welchen Umfang die Schulungen haben, richtet sich nach dem „Gefährdungspotenzial“ des jeweiligen Glücksspiels. Mitarbeiter von Toto-Lotto-Annahmestellen müssen acht Stunden lang die Schulbank drücken, Personal von Spielhallen oder Spielbanken 14 Stunden.

Ob die Schulungen wirklich dazu führen, die grassierende Spielsucht einzudämmen, daran gab es in der jüngsten Sitzung des Sozialausschusses erhebliche Zweifel. „Das Personal von Spielhallen besteht häufig aus Menschen, die selbst gerne spielen“, sagte Vize-Landrat Matthias Berg. Erich Bolich (SPD) brachte das Bock-Gärtner-Dilemma auf den Punkt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Spielhallenbetreiber ein Interesse daran hat, dass es keine Spielsüchtigen mehr gibt“. Vorsichtig optimistisch war Margarete Schick-Häberle (Grüne). „Vielleicht bewirkt die Schulung ja auch bei den Mitarbeitern selbst etwas“, sagte sie. Allerdings äußerte sie die Befürchtung, dass Spielhallenbetreiber versuchen könnten, das Schulungsangebot zu umgehen. Auch Frank Buß (Freie Wähler) zeigte sich skeptisch. „Es ist richtig, diese Maßnahmen zu treffen, aber man sollte sich nicht zu viel versprechen“, sagte er. Für ihn greift das Gesetz zu kurz. „Die Automaten, die in Gaststätten stehen, werden von der Regelung gar nicht erfasst.“ Die Forderung von Eberhard Haußmann vom Kreisdiakonieverband, die Kommunen müssten mehr tun, um die Ansiedlung von Spielhallen zu verhindern, wollte Buß so nicht stehen lassen. „Wir versuchen alles, aber unser Instrumentenkasten ist eher klein“, sagte er.

Kristin Schwarz vom Amt für besondere Hilfen verteidigte die Maßnahme. „Natürlich darf der Spielhallenbesitzer dem Spieler nicht seinen Geldbeutel wegnehmen. Aber er kann ihn dazu bringen, dass er sein Spielverhalten reflektiert“. Dazu dient auch der Flyer „Alles verzockt“, der sich an Betroffene wendet und Hilfeangebote auflistet. Bisher liegen laut Kristin Schwarz nur vier Anmeldungen für Schulungen vor. Angesichts der großen Zahl von Spielhallen dürfte die Zahl jedoch noch steigen.

Der Bock und der Gärtner

Von einem Spielhallenbesitzer zu erwarten, dass er seinen Gast auf die Gefahr des Automatenspiels hinweist, ist ungefähr dasselbe, als wenn man einen Wirt dazu aufforderte, dem Stammtrinker einen Flyer der Anonymen Alkoholiker in die Hand zu drücken. In Einzelfällen mag sich der Wirt dazu verpflichtet fühlen, ebenso wie der Spielhallenbesitzer, aber in den meisten Fällen wird die wirtschaftliche Vernunft siegen. Oder die Tatsache, dass die Grenze zur Sucht fließend ist und es viel Feingefühl bedarf, um zu erkennen, wann sie überschritten wird.

Eine Schulung wird daran wenig ändern. Das Konzept krankt nicht nur daran, dass der Bock zum Gärtner gemacht wird. Ein paar Stunden sind auch schlicht zu wenig, um zu Mitarbeitern durchzudringen, die – wie es bei Spielhallenpersonal häufig der Fall ist – selbst süchtig sind. Und dazu noch häufig wenig deutsch sprechen. Die Mitarbeiter der Suchtberatungsstelle tragen daran keine Schuld. Ihnen bleibt gar nichts anderes übrig, als die Maßnahme aus dem Landesglücksspielgesetz umzusetzen.

Die Schulungsverpflichtung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Glücksspielanbietern ist ein hilfloser Versuch, der grassierenden Glücksspielsucht Einhalt zu gebieten. Hätte es schon früher strengere Abstandsregelungen für Spielhallen gegeben, wie sie nun im Landesglücksspielgesetz verankert worden sind, wäre eine solche Maßnahme vielleicht nie nötig geworden. Das Land hat es versäumt, den Kommunen rechtzeitig Instrumente an die Hand zu geben, mit denen sie die Ausbreitung von Spielhallen ver­hindern oder zumindest eindämmen können. Wie es nicht sein sollte, kann man in Kirchheim besichtigen: 13 Spielhallen gibt es dort, und weil die Etablissements vorerst Bestandsschutz genießen, wird sich daran trotz des strengeren Gesetzes bis 2017 vermutlich nichts ändern. Bis dahin können noch viele Spieler die Existenz ihrer Familien aufs Spiel setzen. ANTJE DÖRR