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Stärkung für die „Sprechende Medizin“

Neuer Hausarztvertrag der AOK Baden-Württemberg will die Versorgung von Kindern und Jugendlichen verbessern

Schlafstörungen, Aufmerksamkeitsdefizite, Kontaktschwierigkeiten – die Anlässe, weswegen Kinder psychologische Begleitung brauchen, werden immer zahlreicher. Dieser und anderen besorgniserregenden Entwicklungen wollen Kinderärzte und AOK jetzt entgegenwirken: Das Erfolgsmodell des Hausarztvertrages wird auf Kinder- und Jugendärzte ausgeweitet.

Besuch beim Kinderarzt: Nicht nur bei Krankheiten, sondern auch zu deren Verhinderung.Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques
Besuch beim Kinderarzt: Nicht nur bei Krankheiten, sondern auch zu deren Verhinderung.Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. „Die AOK Baden-Württemberg geht weiter den Weg der immer besseren Versorgung“, freut sich Dieter Kress, Geschäftsführer der AOK Neckar-Fils. Nutznießer sind nun Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern und Fachärzte. Denn das Charmante am Hausarztmodell, das die AOK vor fünf Jahren aus der Taufe gehoben hat, ist die Tatsache, dass es allen zugute kommt. Nicht zuletzt der gesamten Gesellschaft. Wie das? Indem beispielsweise verstärkte Prävention und fachkundige Begleitung im Kindesalter letztlich hohe Folgekosten sparen sollen.

Dass die Rechnung aufgeht, davon ist der Esslinger Kinderarzt Dr. Ralph Alexander Gaukler überzeugt, der unter anderem stellvertretender Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte ist. Er preist vor allem die Effektivität der Prävention. Die neuen Verträge mit der AOK beseitigten eine Vorsorgeunterversorgung, meint er. Bisher waren durch die üblichen Untersuchungen Kinder nur bis zum Alter von sechs Jahren bis zur „U 9“ abgedeckt und wurden dann im Regelfall noch einmal mit 13 beim Kinderarzt vorgestellt. Jetzt gibt es zwei weitere Vorsorgeuntersuchungen im Grundschulalter und eine abschließende kurz vor der Volljährigkeit. „So können wir zeitnah eingreifen, sobald sich Probleme zeigen“, betont der Kinderarzt.

Verbessert werden soll aber nicht nur die Situation der größeren, sondern auch der ganz kleinen Patienten. Hier gilt das besondere Augenmerkder intensiven Beratung desgesamten Umfelds. Arbeitszeit für die Kontaktpflege zu Erzieherinnen von schwierigen Patienten wird fortan berücksichtigt. Ferner gibt es das Stichwort „Medienerziehung“. Selbige kommt letztlich oft schon dem Neugeborenen zugute. „Es gibt Mütter, die schalten nachts um 3 Uhr beim Stillen ganz selbstverständlich und ohne böse Absicht den Fernseher ein“, erzählt Gaukler. TV-Konsum gibt‘s also gleich mit der Muttermilch. Bevor das Kleinkind in den Kindergarten darf, wird die Glotzkiste nicht selten zum Babysitter.

Generell sind oft die Eltern die eigentliche Zielgruppe der Kinderärzte. Viele treibt die Sorge um den Nachwuchs um, und aus einem scheinbar kurzen Impftermin wird im Nu ein halbstündiges Beratungsgespräch. Diesen Erfordernissen soll der neue Vertrag ebenfalls Rechnung tragen. Dahinter steckt nichts anderes als die Stärkung der sogenannten „Sprechenden Medizin“, die lange Zeit ein Schattendasein führte. „Bisher haben wir oft Elterngespräche abends in unserer Freizeit durchgeführt“, betont Gaukler, dass es höchste Zeit für eine angemessenere Vergütung ist. In der Vergangenheit mussten Kinderärzte immer für die öffentlich Wahrnehmung ihrer Fachrichtung als eigene Disziplin kämpfen. Doch diese Zeiten sind vorbei. So nennt Thomas Schneider, stellvertretender Geschäftsführer der AOK Neckar-Fils, den neuen Vertrag einen „Qualitätsvertrag“: Er ist nicht nur speziell auf die Bedürfnisse von Kindern und Familien ausgerichtet, die kleinen Patienten bekommen zudem qualifizierte Facharztbehandlung garantiert.

Doch die Mädchen und Jungen haben auch andere Vorteile. Beispielsweise sollen für sie die Wartezeiten im Regelfall auf maximal 30  Minuten reduziert werden. Ein Punkt, der den Praktiker Gaukler besonders freut, ist eine vertragliche Besonderheit, die ihresgleichen sucht: Apothekenpflichtige, aber nicht verschreibungspflichtige Medikamente bekommen, sofern ihr Einsatz medizinisch sinnvoll ist, Kinder bis zum Alter von 18 Jahren bezahlt. „Wenn etwa ein Entlausungsmittel aus Kostengründen nicht lange genug angewendet wird, hat das fatale Auswirkungen auf das gesamte Umfeld“, nennt der Kinderarzt ein plakatives Beispiel. Außerdem erfolge die Medikamenteneinnahme unter den Augen des Arztes kontrollierter.