Lokales

Tandem-Pilger-Tour: „Wir sind dann mal weg“

Teckboten-Serie „Beste Freunde“ – Heute: Gabi Kazmaier und Ewald Löw treten gemeinsam in die Pedale

Angekommen: Stolz postieren sich Gabi Kazmaier und Ewald Löw mit ihrem Tandem in Santiago de Compostela vor der Kathedrale ¿ dem
Angekommen: Stolz postieren sich Gabi Kazmaier und Ewald Löw mit ihrem Tandem in Santiago de Compostela vor der Kathedrale ¿ dem Ziel der ¿Euro-Tandem-Pilger-Tour 2012¿. Die Fotos unten zeigen (von links) Hilfestellung beim Anziehen des Regenüberzugs für die Schuhe, ein symbolträchtiges Radpilger-Bild der Kathedrale von León sowie Gabi Kazmaier und Ewald Löw auf ihrem Tandem, begleitet von einem ¿Einzelradfahrer¿. Fotos: privat

Lenningen. Über besonders gute Freunde sagt man landläufig: „Die haben sich gesucht und gefunden.“

Bei Gabi Kazmaier aus Oberlenningen und Ewald Löw aus Brucken trifft das in dem Sinn zu, dass sie sich perfekt ergänzen – sei es auf dem Tandem oder auch bei einem gemeinsamen Vortragsabend über ihre Pilgertour nach Santiago de Compostela. Gefunden haben sich in diesem Fall also zwei Freunde zum gemeinsam Radfahren. Aber gesucht?

Wirklich gesucht hatte zunächst nur Gabi Kazmaier. „Ich bin schon früher gerne Tandem gefahren“, erzählt sie beim Vortragsabend im Owener „Adler“, auf Einladung der Ortsgruppe Owen des Schwäbischen Albvereins, und ergänzt: „Mir hat nur ein Opfer gefehlt.“

Dieses „Opfer“ sollte schließlich Ewald Löw werden, der seit einem Arbeitsunfall vor 14 Jahren nahezu vollständig erblindet ist. Auf einem Auge ist ihm noch eine Sehkraft von etwa zehn Prozent verblieben. Um aber auf diese Sehkraft zurückgreifen zu können, muss er das Augenlid mit der Hand nach oben schieben.

Den Start seiner Tandemkarriere hat Ewald Löw seiner Frau zu verdanken: „Die hat sich das gemeinsam mit einer Kollegin ausgedacht, dass ich mit Gabi fahren könnte.“ Anfänglich hat ihn das gar nicht begeistert. „Als ich noch gesehen habe, ist mein Fahrrad kaputtgegangen – vom Nichtfahren“, berichtet er in seiner knitzen Art, „aber das Tandem geht dafür durchs viele Fahren kaputt.“

Zunächst einmal sah es überhaupt nicht danach aus, dass das Tandem viel benützt werden würde, wie Ewald Löw erzählt: „Anfangs bin ich mir wirklich wie ein Opfer vorgekommen. Ausgemacht war, dass wir jeden Mittwoch fahren. Deshalb habe ich dienstags schon immer gehofft, dass es am nächsten Tag regnet.“ Inzwischen hat sich diese Einstellung zum gemeinsamen Radeln bei Ewald Löw grundlegend geändert: „Heute hoffe ich, dass es nicht regnet.“

Die sportliche Freundschaft der beiden Lenninger ist also langsam, aber kontinuierlich gewachsen, so wie auch die sportlichen Ansprüche. Als „erste größere Sache“ nennen sie die Teilnahme am „Alb-Extrem-Radmarathon“. Dafür war bereits ein ordentliches Training nötig. „Einmal sind wir sieben Mal an einem Tag die Alte Oberlenninger Steige hoch und wieder runter gefahren, sodass uns die Leute für verrückt gehalten haben“, erinnert sich Ewald Löw.

Für ihr jüngstes Großprojekt war aber selbst die „Alb-Extrem-Tour“ nur eine bessere Trainingsfahrt: In den Pfingstferien haben sie an der „Euro-Tandem-Pilger-Tour 2012“ teilgenommen – organisiert von der HEM-Schwerger-Stiftung und mit dem Logo des Vereins „Pro Retina“ auf den gelben Einheitstrikots. Solche Touren gibt es bislang alle zwei Jahre. Gedacht sind sie für Blinde und Sehbehinderte, die mit der Hilfe eines sehenden „Piloten“ ordentlich in die Pedale treten können.

Wieder einmal hatte es Ewald Löw einfach so erwischt: „Gabi ruft an und erzählt vom Jakobsweg.“ Er selbst hätte nie damit gerechnet, dass er an einer solchen Tour teilnehmen könnte – war eine Pilgerreise nach Santiago für ihn doch etwas ganz Besonderes, seit er vor ein paar Jahren die Hörbuch-Version von Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg“ bekommen hatte.

Die Tour führte zunächst von Neuhausen auf den Fildern bis Straßburg. Von dort ging es in zwei Busetappen weiter bis kurz vor die spanische Grenze. Die eigentliche Pilgerfahrt sollte in Saint-Jean-Pied-de-Port im französischen Département Pyrénées-Atlantiques beginnen und in elf Tagen bis zum Wallfahrtsziel Santiago führen. Insgesamt legten die Radfahrer mehr als 1 000 Kilometer im Sattel zurück und bewältigten dabei fast 11 000 Höhenmeter. Alles in allem waren 20 Tandems auf der Straße: zwölf aus Deutschland und acht aus Spanien, die erst unterwegs dazustießen. Zuzüglich „Einzelradfahrer“ bestand die Gruppe aus circa 60 Personen. Dank ständiger Polizeibegleitung konnte der Pulk über rote Ampeln und teilweise sogar auf der Autobahn fahren.

Gabi Kazmaier kam es vor „wie bei der Tour de France“. Was das Lenninger Tandem-Team aber auf jeden Fall verhindern wollte, das war die Schmach, zu langsam zu sein und dann unerbittlich vom Begleitbus aufgesammelt zu werden. Deshalb haben die beiden schon viele Monate vor Tourstart damit begonnen, noch intensiver zu trainieren als sonst. Bei der mühsamen Fahrt auf Passhöhen hinauf war die Gefahr, doch noch im Bus zu landen, am größten. Von zwei besonderen sportlichen Krisen berichteten die Tandemfahrer nun in Owen.

Die unnötigste Krise kam einen Tag vor Santiago. Alle waren schnell unterwegs, als am Tandem von Gabi Kazmaier und Ewald Löw wieder einmal die Kette von den Zahnrädern sprang. Irgendwie haben sie es aber geschafft, noch rechtzeitig wieder fahrbereit zu werden, denn für beide galt: „Das darf einfach nicht sein, dass wir am vorletzten Tag noch in den Bus sitzen müssen, nur weil die Kette runtergeht.“

Die andere kritische Situation war dagegen schon stärker an die Substanz gegangen: „Einmal hätte ich fast aufgegeben“, erzählt Ewald Löw. Die anderen Tandems waren weit voraus, und seine „Pilotin“ Gabi Kazmaier munterte ihn immer wieder mit Sprüchen auf wie: „Ewald, auf geht‘s, ich seh‘ die anderen schon, wir sind bald wieder dran.“ Ewald Löw blieb trotzdem skeptisch und hat sich angesichts der kurvenreichen Strecke gefragt: „Wie sieht die eigentlich, kann die auch um Kurven sehen?“

Als Sonderschullehrerin und Diplom-Sonderpädagogin versteht es Gabi Kazmaier ohnehin, andere zu motivieren und zu besonderen Leistungen anzuspornen. Zudem hat sie während der Ausbildung auch einmal ein halbes Jahr in einem Behindertensportzentrum in den USA gearbeitet. Weil es in Deutschland aber schwierig bis unmöglich ist, mit einem solchen Tandem-Pilot-Angebot oder ähnlichen Aktivitäten Geld zu verdienen, radelt Gabi Kazmaier eben in ihrer Freizeit und als Hobby.

Profitiert haben von ihrer Art auch viele andere Teilnehmer der Euro-Tandem-Pilger-Tour, die unter dem Motto stand: „Gemeinsam eigenständig sein“. Wenn es nicht zu heftig bergauf geht, beschreibt Gabi Kazmaier ihrem Mitradler nämlich, was es gerade zu sehen gibt. Andere „Piloten“ sind da viel schweigsamer. Deshalb hätten sich immer wieder Tandems und Einzelradler an das Lenninger Team angeschlossen, weil sie sagten: „Gabi, du erzählst so viel.“

Aber auch Ewald Löw hat während der Tour viel erzählt – und zwar seinem Tagebuch. Seine Eindrücke hat er mündlich mittels Aufnahmegerät festgehalten. Somit konnte er auch beim Vortrag in Owen sein Reisetagebuch perfekt wiedergeben. Besonders beeindruckte er die Gäste mit seiner Lebensfreude, wenn er dem Tagebuch beispielsweise nach einer eher erholsamen Etappe mit nur wenigen Höhenmetern anvertraute: „Heute war ein ruhiger Tag mit viel Zeit zum Nachdenken. Ich habe dabei festgestellt: Wir können mit dem Leben sehr zufrieden sein.“

Und dann erzählt Ewald Löw noch von dem Mann, der nicht nur blind ist, sondern auch noch taub, und der sich mit seinem Piloten über Wörter verständigt, die ihm dieser „in die Hand schreibt“ – natürlich nicht während der Fahrt: „Ich seh‘ ja nicht viel“, sagt Ewald Löw, „aber sooft ich das Auge aufgemacht habe – der hat gelacht. Das war faszinierend.“

In Spanien haben übrigens sehr viele Menschen die Tour als faszinierend erlebt oder zumindest geschildert bekommen: Jeden Tag gab es Pressetermine, und über die Ankunft in Santiago hat ein Fernsehkanal sogar live berichtet. Wegen der festgelegten Sendezeit mussten die Tandemfahrer sogar „bummeln“.

Ziel erreicht, was will man mehr? Für Gabi Kazmaier und Ewald Löw geht es auch nach Santiago weiter auf Tour. Als Nächstes steht im Mai das Lenninger Partnerschaftsjubiläum mit der Gemeinde Pouilly-en-Auxois an. Natürlich wollen beide mit dem Fahrrad anreisen – dieses Mal allerdings getrennt. Ewald Löw will sich auf dem Tandem von seiner Frau steuern lassen. Gabi Kazmaier dagegen wird eher nicht mit ihrem Mann auf dem Tandem sitzen können. Sie kümmert sich nämlich als Begleitperson um die Schüler der Fahrrad-AG ihrer Schule. Die Grenzen zwischen Dienst und Hobby sind in diesem Fall fließend.

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