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Was das „blaue Genie“ wohl „blau“ gemacht hat

Vortrag von Kurator Andres Vogt zur Wanderausstellung zu Hermann Kurz, die derzeit in Kirchheim zu sehen ist

Kirchheim. Noch bis Ende Juni gastiert die Wanderausstellung „Das

Thilo Adam

blaue Genie“ über den vor 200 Jahren in Reutlingen geborenen Hermann Kurz im Kornhaus. Gestern Vormittag sprach ihr Kurator Andreas Vogt über das bewegte Leben des Schriftstellers und dessen Zeit in Kirchheim.

Als eine würdige erste Station für die Wanderausstellung bezeichnete Vogt die Teckstadt. „Trotz der relativ kurzen Zeit, die Kurz hier verbracht hat, haben sich die Kirchheimer immer um sein Andenken bemüht.“ Nicht zuletzt dachte er dabei an die Verdienste des Verlegers Jürgen Schweier um Hermann Kurz‘ literarische Arbeit. Für den kleinen Kreis an Interessierten, die der Einladung des Literaturbeirats gefolgt waren, verbildlichte Andreas Vogt die Bedeutung des Kurz’schen Werkes, das der große Schatten seiner Zeitgenossen und der berühmten Tochter Isolde ständig aus dem allgemeinen Bewusstsein zu drängen droht. Von den Jugendjahren in Reutlingen, über den „typischen Bildungsgang für Schwaben, die damals etwas werden wollten“ – vom Seminar in Maulbronn ans Tübinger Stift – zu seiner ersten Phase literarischen Schaffens und seiner politisch-publizistischen Arbeit während der Revolution bis zur Zeit in Kirchheim und den späten Jahren als Universitätsbibliothekar in Tübingen zeichnete der Kulturwissenschaftler das Leben des Schriftstellers nach.

Zahlreiche Zitate aus Briefen und Notizen sorgten bei den Zuhörern für Heiterkeit. Etwa ein von gegenseitigem Respekt und Zuneigung zeugender Briefwechsel mit Eduard Mörike, in dem sich die beiden großen Schwaben über eine einige Jahre zurückliegende, anonyme Begegnung in Ochsenwang austauschen, oder eine Passage, in der sich Tochter Isolde auf Hermanns Schilderungen der Entstehung seines Spitznamens bezieht: So habe ihr Vater gern erzählt, dass sein Schnupftuch ab- und folglich seine Nase blau gefärbt habe. Sie selbst dagegen ahnt, dass wohl eher seine Vorliebe, sich mit blauer Kleidung inmitten der streng schwarzen Tübinger Stiftstracht als Nonkonformist zu profilieren, den Beinamen – und aktuellen Ausstellungstitel – begründete.

„Wenn man Hermann Kurz‘ Verdienste um das Literaturland Baden-Württemberg betrachtet, kommt häufig das politische Engagement dieses überzeugten Demokraten zu kurz“, meint Andreas Vogt. Die Arbeit als Redakteur für den demokratisch-oppositionellen „Beobachter“ habe ihn so sehr in Anspruch genommen, dass das künstlerische Schreiben in dieser bewegten Zeit zwangsläufig ruhen musste.

Auch seine gesellschaftstheoretische Schrift „Die Fragen der Gegenwart und das freye Wort“ erfahre bis in die heutige Zeit nicht die angemessene Würdigung ihres ideell-revolutionären Inhalts. „Die mehrwöchige Haft nach der gescheiterten Revolution in der Festung Hohenasperg darf nicht nur biografische Randnotiz sein“, findet Vogt.

Seine Ergänzung fand Kurz in der gebildeten, noch ideologischeren „roten“ Marie, die den Adelszusatz in ihrem Geburtsnamen „von Brunnow“ ablegte und sich lieber „Bürgerin“ nennen ließ. Mit den gemeinsamen fünf Kindern lebten die beiden 1863, also vor genau 150, Jahren in Kirchheim. Richtig wohlgefühlt hat sich besonders die Mutter dort jedoch wohl nie.

Was der Reutlinger Andreas Vogt vor Kirchheimer Publikum nicht erwähnen wollte, ergänzte am Ende Kirchheims Museumsleiter Rainer Laskowski: Während Marie Kurz in Notizen stets den positiven Einfluss, den die malerische Umgebung des Albvorlandes auf ihren kränkelnden Mann gehabt habe, betont, nennt sie „das Städtchen selbst ein elendes Nest“, ihre Nachbarn „Emporkömmlinge“ und „ganz gemein denkende Handwerker“.