Lokales

Weder harmlos noch legal

Sucht-Experten und die Landespolizei warnen vor dem Konsum sogenannter „Legal Highs“

Unter der verharmlosenden Bezeichnung „Legal Highs“ werden im Internet Designerdrogen als Kräutermischungen, Badesalz oder Raumerfrischer getarnt angeboten. Ihre Wirkung ist oft verheerend – die Behörden schlagen Alarm.

Als Räuchermischung, Badesalz oder Raumerfrischer getarnt, enthalten „Legal Highs“ neuartige, synthetisch hergestellte Varianten
Als Räuchermischung, Badesalz oder Raumerfrischer getarnt, enthalten „Legal Highs“ neuartige, synthetisch hergestellte Varianten von Cannabis oder Amphetaminen. Ihr Konsum kann unvorhersehbare, verheerende Auswirkungen haben.Foto: Fredrik von Erichsen/dpa

Kirchheim. Sie kommen in kleinen, bunten Tütchen daher, sind mit flippigen Namen versehen und werden als vermeintlich legale Alternative zu illegalen Drogen angeboten. Verkauft werden sie meist anonym über das Internet, was vor allem Jugendlichen die Beschaffung erleichtert. „Die sogenannten ‚Legal Highs‘ sind aber alles andere als harmlos oder legal“, betont Björn Reusch von der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit im Polizeipräsidium Reutlingen. Im offiziellen Sprachgebrauch der Polizei werden die Designerdrogen „neue psychoaktive Substanzen“ (npS) genannt, da die Bezeichnung „Legal Highs“ eine Scheinlegalität vortäuscht und verharmlosend wirkt.

Genaue Zahlen für den Landkreis Esslingen gibt es noch nicht. Laut Informationen des Landeskriminalamts sind allerdings alleine in Baden Württemberg im Jahr 2014 sechs Todesfälle im Zusammenhang mit den npS registriert und liefern so den traurigen Beweis dafür, dass die unberechenbare und lebensbedrohliche Wirkung der Rauschmittel unterschätzt wird. Die Opfer verstarben entweder aufgrund von Überdosierungen oder Herzrhythmusstörungen, zwei Drogenkonsumenten sind unter der Wirkung der Rauschmittel aufgrund von Panikattacken oder Wahnvorstellungen aus dem Fenster gestürzt und ums Leben gekommen.

Die Mischungen enthalten meist Betäubungsmittel oder ähnlich wirkende synthetische Cannabinoide oder Amphetaminderivate, die auf den Verpackungen nicht ausgewiesen sind, erklärt Thomas Neugebauer, Experte der Fachabteilung Rauschgift beim Landeskriminalamt. „Die Wirkstoffkonzentration der synthetischen Cannabinoide ist um ein Vielfaches größer, als etwa beim artverwandten Haschisch-Wirkstoff THC“, sagt Neugebauer. Die künstlichen Wirkstoffe sind jedoch nur wenig erforscht. „Da zum Teil weder Verkäufer noch Konsumenten exakt über die Zusammensetzung Bescheid wissen, stellen sie ein unkalkulierbares gesundheitliches Risiko dar.“

Der Nachweis der Illegalität gestaltet sich schwierig: Seit die neuen psychoaktiven Substanzen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Juli 2014 nicht mehr den Bestimmungen und Vorschriften des Arzneimittelgesetzes unterliegen, sind sie nur noch dem Betäubungsmittelrecht unterstellt. Verboten werden können die Mischungen erst, wenn ihre Inhaltsstoffe genau ermittelt wurden. Sie werden dann einzeln mit ihrer chemischen Formel in einen Anhang des Bundesbetäubungsmittelgesetzes aufgenommen (BtMG).

Vom Antrag, eine Mischung zu untersuchen, bis zur Aufnahme durch eine Verordnung der Bundesregierung kann es Monate dauern: Bis eine Mischung illegal erklärt wird, sind längst schon weitere Produkte mit unbekanntem Inhalt auf dem Markt. „Es entsteht ein Wettlauf zwischen immer neuen Varianten der Substanzen und deren Aufnahme in das Betäubungsmittelgesetz“, so Neugebauer.

Dennoch verzeichnet die Polizei wichtige Erfolge im Kampf gegen die Designerdrogen. „In Baden-Württemberg haben wir im Jahr 2013 insgesamt 113 Fälle registriert, die im Zusammenhang mit den neuen psychoaktiven Substanzen stehen“, erklärt Ulrich Heffner, Pressesprecher des Landeskriminalamts Baden-Württemberg. Im selben Jahr wurden fünf Kilogramm Kräutermischungen und 170 Gramm „Research Chemicals“, Reinsubstanzen der Wirkstoffe, sichergestellt. „Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Wir gehen von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus.“

„Konsumenten sind Versuchskaninchen der Drogenköche“

Kirchheim. Die „Legal Highs“ stellen die Sucht- und Drogenberatungsexperten im Landkreis vor besondere Herausforderungen. Seit 2011 beschäftigen sie sich intensiver mit der Materie, bieten Schulungen für Schulsozialarbeiter und Lehrer an. „Wir wissen, dass viele Jugendliche damit experimentieren“, sagt Gerhard Schmid, Leiter der Drogenberatungsstelle Kirchheim. Er schätzt, das etwa zehn Prozent der Menschen, die von der Beratungsstelle betreut werden, mit den vermeintlich legalen Rauschmitteln Erfahrungen gesammelt haben. Die meisten verfügen dabei bereits über Erfahrung mit Cannabis, welches in Sachen Beliebtheit von Rauschmitteln bei Jugendlichen direkt hinter Alkohol und Nikotin rangiert.

Gerade unter jungen Leuten werde die Gefährlichkeit der synthetischen Drogen he­runtergespielt. „Die leichte Verfügbarkeit, die professionelle Aufmachung und die vermeintliche Legalität üben einen besonderen Reiz aus“, erklärt Suchtberaterin Renate Mahle. Das gesundheitliche Risiko werde fatal unterschätzt. Dabei sind die Folgen unberechenbar: Symptome wie Zitteranfälle, Herzrasen, Halluzinationen und Angstzustände seien keine Seltenheit, wie Betroffene berichten. „Uns sind auch Fälle bekannt, in denen die Rauschmittel schwere Psychosen ausgelöst haben“, sagt Mahle. „Die Konsumenten sind in gewisser Weise die Versuchskaninchen der Drogenköche.“

Um junge Menschen vor dem Einstieg in eine Drogenkarriere zu bewahren, schärfen die Experten durch Aufklärungs- und Präventionsarbeit das Unrechts- und Gesundheitsbewusstsein der potenziellen Konsumenten. Hierfür wird auf eine objektive und sachliche Informationsvermittlung gesetzt, um die Bevölkerung für die Gefahren zu sensibilisieren, ohne zum Konsum zu animieren. So können sich Interessierte über die „Elternberatung bei Suchtgefährdung und Abhängigkeit (ELSA)“ und durch Seminare wie „Hilfe, mein Kind pubertiert“ Unterstützung in Fragen zu Drogenmissbrauch und Sucht holen. Außerdem informieren Webseiten wie www.legal-high-inhaltsstoffe.de über das Thema.rob