Lokales

Wenig schwätzen und viel schaffen

Teckboten-Serie „Nachtarbeiter“: Eine Nacht in der Backstube der Bäckerei Großmann in Bissingen

In einer Reportage-Serie stellt der Teckbote Menschen vor, die ihrer Arbeit nachgehen, während andere schlafen. Jüngst verbrachten wir eine Nacht in der Backstube des Bissinger Bäckermeisters Martin Großmann. Ihm haben wir – beispielhaft für alle Bäckereien in der Teckregion – bei seiner Arbeit über die Schulter geschaut.

Bäckerei Grossmann, Bissingen

Wenn andere schlafen, entstehen in der Bäckerei Grossmann leckere Brezeln. Foto: Jean-Luc Jacques

Bissingen. Bissingen schläft. Es ist 3.30 Uhr und stockfinstere Nacht. Nur durch die Rollladenschlitze in der Backstube der Bäckerei Großmann dringen kleine Lichtstrahlen nach draußen. Die 66 Jahre alte Mitarbeiterin Ingrid Heimann zieht den Rollladen hoch. Zum Vorschein kommt ein Schild am Hintereingang der Bäckerei mit der Aufschrift: „Wer reinkommen will, muss arbeiten!“.

„Ich steh‘ meistens um drei auf. Ab und zu nervt es zwar schon, aber ich habe mich dran gewöhnt. Außerdem bin ich ein Nachtmensch“, sagt Ingrid Heimann noch etwas verschlafen. „Guten Morgen“, ertönt schließlich die sonore Stimme des Bäckermeisters Martin Großmann, der mit dem Fahrrad von seinem 800 Meter entfernten Zuhause zur Backstube gefahren ist. Auch er sieht noch nicht ganz fit aus. Doch fünf Stunden Schlaf müssen reichen, denn die Arbeit ruft.

Ohne auch nur ein weiteres Wort miteinander zu wechseln, beginnen der Bäckermeister und seine Mitarbeiterin sogleich mit ihrer Tätigkeit. Martin Großmann befüllt zwei große Knetmaschinen mit Hefe, Wasser, Mehl, Salz, Gewürzen und sogenanntem Mutterteig, den er tags zuvor bereits vorbereitet hat. Dann schaltet er die Maschinen an, die den Teig für genetztes und halbweißes Brot einige Minuten lang kräftig durchkneten.

Währenddessen sind die Seelen und Knauzenwecken an der Reihe: Damit nachts alles schnell über die Bühne gehen kann, hatte der Bäckermeister den Teig dafür ebenfalls schon am Nachmittag zuvor zubereitet und ihn anschließend einige Stunden im Kühlschrank gelagert. Jetzt bringen Martin Großmann und In­grid Heimann die Backwaren nur noch in Form und bestreuen sie mit Salz und Kümmel. Alles geht in Windeseile vonstatten. Der Bäckermeister und seine Mitarbeiterin, die seit 30 Jahren ein eingespieltes Team bilden, arbeiten Hand in Hand. Jeder weiß, was der andere tut. In die Quere kommen sie sich nie.

Dennoch herrscht eine gewisse Hektik in der Backstube. Denn alles muss schnell gehen, schließlich öffnet das Geschäft um 6 Uhr seine Pforten. „Bei uns wird wenig g‘schwätzt und viel g‘schafft. In den ersten Stunden arbeiten wir mit 180 Prozent“, sagt der Bäckermeister, während er ganz nebenbei sein Frühstück genießt: eine Tasse pechschwarzen Kaffee. Der hält wach.

Dann ist der Brotteig in den beiden Knetmaschinen fertig. Ingrid Heimann wiegt Ein-Kilo- und Pfundlaibe ab, und Martin Großmann knetet die Laibe nochmals ordentlich mit seinen kräftigen Händen durch. Anschließend bereitet er den Teig für Roggenmisch- und Quarkfünfkornbrot zu. Derweil ist Ingrid Heimann schon wieder an einer anderen „Baustelle“ zugange: Sie bestreut Brötchenteiglinge mit Sesam und Mohn und bestreicht zahlreiche Butterhörnle mit Eigelb, „damit sie schön glänzen“.

Die Brötchen und Butterhörnle sind bereits perfekt geformt – ebenso die Brezeln, Laugenwecken und sämtliche süßen Stückle. Sie wurden jedoch keineswegs industriell hergestellt. Martin Großmann backt alle Waren selbst, darauf legt er großen Wert. Die salzigen und süßen Teiglinge hat der Bäckermeister ebenfalls am Tag vorher zubereitet. Die Nacht verbrachten sie in einer sogenannten Gärmaschine. „Dadurch erhalten sie noch mehr Geschmack“, verdeutlicht der Bäckermeister. Außerdem spare es nachts wertvolle Zeit, wenn die Teiglinge bereits vorgeformt sind.

Schließlich kommt der große Augenblick: Die ersten Backwaren werden in die beiden Öfen, einen Etagen- und einen Schrankofen, geschoben. Zwischendurch hat Martin Großmann Zeit, um über seine Arbeit im Allgemeinen und sein Schlafbedürfnis im Besonderen zu philosophieren: „Es gibt drei Sorten von Menschen: diejenigen, die es gewohnt sind, jede Nacht um drei Uhr aufzustehen; diejenigen, die sich daran gewöhnen; und diejenigen – zu ihnen gehöre ich –, die sich nie daran gewöhnen.“ Nach wie vor sei es für ihn eine Tortur, sich mitten in der Nacht aus dem Bett zu quälen. „Trotzdem mache ich es schon, seit ich denken kann. Ich bin da reingewachsen“, fügt der 58-Jährige hinzu, der im Jahr 1983 den Betrieb von seinem Vater übernahm und zuvor eine Lehre in einer Kirchheimer Bäckerei absolviert hatte. „Mein Arzt hat einmal zu mir gesagt: Wer so wenig schläft wie Sie, der verändert seine Persönlichkeit“, erzählt der Bäckermeister und fügt schmunzelnd hinzu: „Ich weiß allerdings nur noch nicht, inwiefern – ob negativ oder positiv.“

Ein melodischer Klang reißt ihn plötzlich aus seinen Gedanken. Die Brötchen sind fertig! Martin Großmann öffnet den Ofen, und sofort strömt Hitze in die sowieso schon warme Backstube. „Jetzt wird die Hitze wieder lästig“, sagt der Bäckermeister. Noch vor wenigen Wochen während der heftigen Kälteperiode allerdings „haben wir sie gut gebrauchen können“, erinnert er sich.

Martin Großmanns Arbeitsalltag lässt wenig Zeit für Familie, Schlaf und Erholung. Um drei Uhr ist die Nacht vorbei, dann wird durchgearbeitet bis zur Mittagszeit. Ein, zwei Stunden legt sich der Bäckermeister nach dem Mittagessen aufs Ohr, um nachmittags schließlich erneut in der Backstube zu stehen. Feierabend hat der Vater zweier Kinder zwischen 18 und 19 Uhr. „Ins Bett gehe ich dann spätestens um 22 Uhr“, erzählt Martin Großmann.

Sonntags öffnet er seine Bäckerei nicht – „und zwar aus Überzeugung“. „Meine Innung empfiehlt mir, sonntags zu öffnen, weil wir dann einen guten Umsatz machen könnten“, verrät der Bäckermeister. „Das stimmt. Aber für was, um Gottes Willen, wäre ich denn dann noch auf der Welt?“ Ein freier Tag in der Woche müsse sein, betont der 58-Jährige, dem der Sonntag heilig ist. „Es ist nicht gut, den Sonntag zu einem normalen Tag herunterzustufen.“ Er sei dafür da, um Zeit mit der Familie zu verbringen – und auch, um in aller Ruhe auszuschlafen.

Dann kümmert sich Ingrid Heimann um die Mütschele: Sie holt die herrlich goldgelb gebackenen Leckereien aus dem Ofen. In der Backstube verbreitet sich ein verführerischer Duft. Anschließend geht alles Schlag auf Schlag: Es ertönt die „Brötchen-Glocke“, und auch die Brotlaibe und die süßen ­Stückle sind so weit. Martin Großmann bearbeitet derweil den Saftkornbrot-Teig.

„Wenn ich mich heute nochmals entscheiden könnte, dann würde ich den Beruf des Bäckers nicht mehr wählen“, sagt Martin Großmann nebenbei. Vor einigen Jahren habe er mit seinem Sohn über dessen Zukunft gesprochen. Er riet ihm davon ab, denselben Weg einzuschlagen wie er. „Denn eine Bäckerei bedeutet viel Arbeit für wenig Geld.“ Zwar gefalle ihm sein Beruf nach wie vor – vor allem wegen „dem Bezug zum Produkt und zum Kunden“. Von einem Traumberuf möchte Martin Großmann dennoch nicht sprechen. Denn wörtlich betrachtet hätten Träume beim Bäckerhandwerk sowieso nichts zu suchen, fügt er grinsend hinzu.

Die Uhr zeigt 5.30 Uhr. Verkäuferin Claudia Heer betritt die Backstube. Zusammen mit Ingrid Heimann bestückt sie die Verkaufstheke mit den bereits fertigen Backwaren. Währenddessen stellt Martin Großmann ein „Belaugungsgerät“ auf und schiebt zahlreiche Brezeln sowie Laugenwecken und -stangen unter den „Laugenstrahl“ der Maschine. Anschließend schneidet er die Brezeln ein und bestreut die Laugenwaren mit Salzkristallen. Danach geht‘s für die Brezeln und Co. ab in den Ofen.

Kurz vor 6 Uhr stehen schon die ersten beiden Kunden vor der Tür der Bäckerei. Alles ist rechtzeitig fertig geworden. Bissingen wacht langsam auf.

60 Laibe genetztes Brot, halbweißes Brot, Saftkornbrot, Quarkfünfkornbrot und Roggenmischbrot, 250 Brezeln, 700 Brötchen in allen Variationen, zehn Laugenstangen, 30 süße Stückle und zehn Seelen haben Martin Großmann und seine Mitarbeiterin in dieser Nacht produziert. Ihr Arbeitstag jedoch ist noch lange nicht zu Ende. Der Bäckermeister belädt nun den Transporter mit unterschiedlichen Backwaren, um zwei Gaststätten in Nabern und Weilheim sowie seine Filiale auf dem Weilheimer Egelsberg zu beliefern. Der Himmel ist wolkenverhangen, als Martin Großmann durch die langsam heller werdende Tecklandschaft fährt. „Ich bin froh, wenn alles läuft wie am Schnürle, so wie heute“, sagt der Bäckermeister, als er seinen Transporter vor dem Gasthaus in Nabern parkt und aussteigt.

Plötzlich beginnt der 58-Jährige zu pfeifen und schreitet auf etwas zu, das im Haus neben der Gaststätte an einer Schnur vom Fenster im Obergeschoss baumelt. Es handelt sich um ein Brotkörbchen, in das Martin Großmann zwei Brezeln und zwei Weltmeisterwecken legt. Dann pfeift er erneut – und so weiß die Bewohnerin des Hauses: Das Frühstück ist da! „Das machen wir bestimmt schon seit 20 Jahren so“, erzählt der Bäckermeister, der nun weiter nach Weilheim fährt. Mittwochs und samstags steuert er zudem Hepsisau und Ochsenwang an, um dort „aus dem Auto heraus“ zu verkaufen.

Um 7.15 Uhr ist der Bäckermeister zurück in seiner Backstube. Seine Gedanken sind allerdings schon wieder in der nächsten Nacht – denn jetzt gilt es, alles vorzubereiten, was um 3.30 Uhr erneut benötigt wird . . .

 

Fotos: Jean-Luc Jacques

Layout: Gaby Hanusch

BŠcker Grossmann in Bissingen Untere Str. 3,                 Serie Nachtarbeiter

Für Bäcker Martin Grossman beginnt der Arbeitstag um 3.30 Uhr am Morgen. Foto: Jean-Luc Jacques

BŠcker Grossmann in Bissingen Untere Str. 3,                 Serie Nachtarbeiter
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BŠcker Grossmann in Bissingen Untere Str. 3,                 Serie NachtarbeiterBäckereiBackstube
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