Lokales

Wenn sich das Spinnrad dreht . . .

Seit drei Monaten gibt es im Kreis Esslingen einen Spinnkreis - „Das Bewusstsein für das alte Handwerk wecken“

NŸrtingen, Neckarstr. 13, Spinnkreis, Wolle spinnen
NŸrtingen, Neckarstr. 13, Spinnkreis, Wolle spinnen

Nürtingen. Die elf Spinnräder drehen sich in Windeseile, während die Mitglieder des Spinnkreises mit einer Seelenruhe die Rohwolle in ihren Händen Stück für Stück langziehen und sich die Faser wie von Zauberhand auf die Spule wickelt. „Es gibt Menschen, die den Dreh sofort raus haben. Das war bei mir allerdings nicht der Fall“, erzählt Beate Herold schmunzelnd. „Das Rad drehte sich in die falsche Richtung, und der Faden riss ab oder war viel zu dick. Aber das sind Anfängerfehler. Man darf nicht aufgeben und muss dran bleiben“, fügt die Neckarhausenerin hinzu, die vor 15 Jahren das Spinnen lernte und mittlerweile vier Spinnräder und zwei Rohwolle spendende Schafe ihr Eigen nennt.

Zehn Frauen und ein Mann haben sich an diesem Abend im Gebäude des Vereins Werkraum Textil in Nürtingen eingefunden, um gemeinsam ihrem Hobby zu frönen. „Wir treffen uns erst zum dritten Mal. Es ist klasse, dass wir uns gleich so gut verstehen“, freut sich Beate Herold, die den Nürtinger Spinnkreis vor drei Monaten ins Leben gerufen hat. „Ich habe lange alleine gesponnen. Aber irgendwann fragte ich mich: Spinne ich richtig? Oder kann man es auch anders machen?“, erinnert sich die 49-Jährige. Daraufhin besuchte sie Treffen der deutschen Handspinngilde, die das althergebrachte Wissen sammelt und an Interessierte weitergibt. „Es war toll. Man kann so viel von anderen lernen“, schwärmt Beate Herold, die sich deshalb dazu entschloss, solche Treffen auch im Kreis Esslingen zu etablieren.

Gleichgesinnte waren schnell gefunden: Ute Gässler aus Notzingen, Brigitte Nimmrich aus Neckarhausen sowie Ursula und Georg Leichtlen aus Oberboihingen hatte Beate Herold auf dem Wollmarkt in Kirchheim im vergangenen Jahr kennengelernt, bei dem ein Spinnwettbewerb ausgetragen wurde. Die anderen Liebhaber des alten Handwerks, bei dem man lose Fasern zu einem Faden verarbeitet, den man anschließend verstrickt oder verwebt, stammen aus dem Bekanntenkreis der fünf Handspinner.

Die Frauen und der einzige männliche „Spinner“ sitzen im Halbkreis beieinander, alle blicken konzentriert zu den vor ihnen aufgestellten Spinnrädern. Die Spinnkreis-Mitglieder sind aber keineswegs nur am Werkeln - es wird viel gelacht und geredet. „Bei uns gibt es immer ein lustiges Geschnatter“, sagt Georg Leichtlen. Der 78-jährige gelernte Drechsler und Holztechniker hat sich als Rentner einen Traum erfüllt: Seit er im Ruhestand ist, baut er Spinnräder - sehr zur Freude seiner Frau Ursula, die ebenfalls leidenschaftlich gerne spinnt. „Das Spinnen ist beruhigend. Wenn man Stress hat, dann setzt man sich ans Spinnrad - und findet schließlich wieder zu sich selbst“, beschreibt Georg Leichtlen die Liebe zu seinem Hobby. Von der Idee des Nürtinger Spinnkreises war der Rentner von Anfang an begeistert. „Wir können uns austauschen. Und es ist immer interessant mit den anderen“, betont der 78-Jährige, der bei den Treffen stets Werkzeug in der Tasche hat. Für alle Fälle - falls ein Spinnrad zu quietschen beginnt oder nicht mehr rund laufen will.

Und das geschieht auch an diesem Abend: Das Rad von Elisabeth Mollenkopf aus Pfullingen rattert plötzlich sonderbar vor sich hin - klick, klack, klick, klack. . . Georg Leichtlen, der wie einige andere sockig durch den Raum geht, eilt zu Hilfe - ein wenig Öl, und das Rad läuft wieder. Weiter geht’s.

Fleißig bei der Arbeit ist auch Ute Gässler, die eine grün leuchtende Merino-Schafwolle verspinnt. „Die habe ich selbst gefärbt, mit Johanniskraut“, erzählt die 51-Jährige. Auf das Spinnen stieß die Notzingerin vor zwei Jahren, nachdem sie in der Scheuer ihres damals neu gekauften Bauernhofs zwei Kubikmeter Rohwolle entdeckt hatte. „Ich wollte an den Ursprung zurück. Es war einfach eine Herausforderung, einen Wollfaden herzustellen“, erinnert sich Ute Gässler. „Und außerdem bin ich sozusagen mit Stricknadeln auf die Welt gekommen“, fügt sie mit einem Lächeln hinzu. Die Kreativität und die Tatsache, dass man selbst einen Wollfaden anfertigt, haben es der begeisterten „Spinnerin“ an ihrem Hobby besonders angetan.

Das bestätigt Dagmar Mehlhorn-Schmidt aus Frickenhausen, die der Gründerin des Nürtinger Spinnkreises vor 15 Jahren das Spinnen beigebracht hatte. Zwar sei ihr Hobby eine sehr zeitaufwendige Angelegenheit, räumt sie ein. „Aber ich habe beim Spinnen noch nie auf die Uhr geguckt.“ Die 59-Jährige entdeckte die Faszination des Handwerks schon als Kind im Urlaub in Tirol. „Damals schaute ich einer Bergbäuerin beim Spinnen zu.“ Heute besitzt Dagmar Mehlhorn-Schmidt 15 Handspindeln. Im Spinnkreis fühlt sich die Frickenhausenerin sehr gut aufgehoben. „Wir haben immer was zum Fachsimpeln. Außerdem ist es auch eine Bestätigung dafür, dass man nicht die einzige ist, die spinnt“, unterstreicht sie schmunzelnd.

Für Beate Herold, die nebenan an ihrem Spinnrad zugange ist, ist das Spinnen „fast wie Fahrradfahren“. „Die Füße und Hände muss man miteinander koordinieren - dann klappt es“, sagt die 49-Jährige, die natürlich die Wolle ihrer eigenen Schafe verwendet. Durch die Beschäftigung mit textilen Fasern und deren Auf- und Weiterverarbeitung habe sich auch ihre Beziehung zu Kleidung verändert. „Kleidung ist heutzutage zum Wegwerfartikel verkommen. Die Leute sind es gewohnt, ein T-Shirt für zehn Euro zu kaufen. Aber das ist doch nicht normal“, ärgert sie sich. Deshalb hält sie es für wichtig, dass bei öffentlichen Veranstaltungen der Weg vom Schaf oder der Baumwollpflanze zum fertigen Kleidungsstück „erlebbar gemacht“ werde - zum Beispiel anhand des Spinnrads. Und genau das ist ein weiteres erklärtes Ziel der Spinnkreis-Mitglieder: Sie möchten nicht nur untereinander Erfahrungen und Ideen austauschen, betont Beate Herold - sondern auch das Bewusstsein für das Handwerk bei den Menschen wecken. „In einer Zeit, in der Kleidung nur noch als Durchlaufposten gesehen wird, ist dieses Ansinnen immer wichtiger.“

Wer Interesse hat, sich dem Nürtinger Spinnkreis anzuschließen, kann sich mit Beate Herold unter 0 70 22/5 51 18 oder per E-Mail an wollhexle@online.de in Verbindung setzen. Weitere Fotos zum Spinnkreis sind im Internet auf wwww.teckbote.de zu sehen.

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