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„Wir wollten eigentlich keinen Polizisten“

Günter Barz verließ wegen Differenzen mit dem Bürgermeister den Notzinger Gemeinderat

Ein spontanes Feuerwerk und seine ungeahnten Folgen: Nach 19 Jahren scheidet Günter Barz auf eigenen Wunsch aus dem Notzinger Gemeinderat aus, weil sein Vertrauensverhältnis zu Bürgermeister Sven Haumacher „unwiederbringlich zerstört“ ist.

Notzingen. „Ausscheiden von Gemeinderat Günter Barz und Nachrücken von Eugen Kälberer – Feststellung von Gründen nach den Paragrafen 16 und 29 der Gemeindeordnung“ war unter Punkt zwei der Tagesordnung des Notzinger Gemeinderats in schönstem Verwaltungsdeutsch zu lesen. In der Sitzung selbst redete Bürgermeister Sven Haumacher auch nicht lange um den heißen Brei herum und erklärte: „Ich habe Herrn Barz gefragt, ob ich den Grund für sein Ausscheiden aus dem Gemeinderat öffentlich nennen darf, und er hat dies bejaht.“

So erfuhren die Zuhörer, dass Günter Barz ohne Anmeldung ein Feuerwerk abgebrannt hat. „Ihm wurde daher von der Verwaltung eine Verwarnung mit Verwarnungsgeld angeboten und eine Anhörung übersandt. Die Handlung der Verwaltung weckte Unzufriedenheit, deshalb der Rücktritt“, so der Wortlaut der Sitzungsvorlage. Sven Haumacher erklärte, dass nach Paragraf 16 der Gemeindeordnung ein wichtiger Grund notwendig ist und es fraglich ist, ob der Sachverhalt einen wichtigen Grund darstellt. „Allerdings kommt es vorliegend nicht darauf an, da Herr Barz 19 Jahre lang Mitglied des Gemeinderats war. Nach Paragraf 16 Absatz 1 Nummer 3 der Gemeindeordnung liegt ein wichtiger Grund unter anderem vor, wenn man zehn Jahre dem Gemeinderat angehört hat. Ob ein wichtiger Grund vorliegt, entscheidet nach Paragraf 16 Absatz 2 der Gemeinderat“, führte Sven Haumacher aus.

Zu einer großen Aussprache im Gremium kam es nicht. Erhard Reichle wollte lediglich wissen, ob als Austrittsgrund eine zehnjährige Mitgliedschaft reicht. Als dies vom Bürgermeister bestätigt wurde, folgte die einstimmige Abstimmung zu folgendem Beschluss: „Es wird festgestellt, dass das Ausscheiden von Herrn Günter Barz aus dem Gemeinderat aus wichtigem Grund erfolgt.“ Unmittelbar danach stellte der Gemeinderat ebenfalls einstimmig fest, dass bei Eugen Kälberer kein Hinderungsgrund im Hinblick auf eine Tätigkeit als Gemeinderat vorliegt und er somit als Nachrücker für Günter Barz ins Gremium aufgenommen werden kann.

Günter Barz hatte mit einem Schreiben, datiert auf 22. Juli, sowohl Sven Haumacher als auch die Mitglieder des Notzinger Gemeinderat davon in Kenntnis gesetzt, weshalb er seinen Rücktritt erklärt. Gut eine Woche zuvor hatte er spontan ein noch vorhandenes Silvester-Feuerwerk im Notzinger Industriegebiet abgebrannt. Irgendwann erhielt er einen Anruf von Sven Haumacher, den er als vertraulich betrachtete. Dabei bestätigte er sein Tun, woraufhin der Schultes offen die Überlegung anstellte, ob er eine Verwarnung daraus basteln werde. „Dieses Wort ,basteln‘ hat mich ungemein gestört. Vor allem aber auch zwei weitere Begriffe. In der Verwarnung gab es die Vermerke ,Zeuge; Haumacher. Beweismittel; Telefonat‘“, sagte Günter Barz auf Anfrage des Teckboten.

In einem weiteren Telefonat erklärte er Sven Haumacher, dass ihm der mit umfangreichem Paragrafenwerk versehene Brief sehr wie ein Schreiben „Polizist – Verbrecher“ vorkomme. Dieses Vorgehen begründete der Bürgermeister mit seiner Eigenschaft als untere Polizeibehörde – und dass vor dem Gesetz alle gleich sind. „Daraufhin sagte ich ihm, dass wir eigentlich keinen Polizisten wollten, sondern einen Bürgermeister, der für die Menschen der Gemeinde da ist“, teilte Günter Barz seinen Kollegen in seinem Brief mit.

Das „Vorleben“ von Sven Haumacher ist auf dessen Homepage nachzulesen: „Ausbildung als Polizeikommissar und Studium zum Diplom-Verwaltungswirt Polizei an der Fachhochschule Villingen-Schwenningen; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Tübingen; Juristischer Vorbereitungsdienst am Landgericht Hechingen mit Schwerpunkt Verwaltung. Stationen beim Verwaltungsgericht Stuttgart und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zweites juristisches Staatsexamen mit großem Prädikat.“

Eine Sonderbehandlung habe er weder erwartet noch gefordert, und formal-juristisch sei der Bürgermeister völlig im Recht, teilte Günter Barz auf Nachfrage mit. „Seither war es in unserer Gemeinde guter Brauch, mit den Leuten zu reden, bevor die Gesetzeskeule geschwungen wurde. Und wenn alle gleich sind, darf der Bürgermeister Gemeinderäte nicht schlechter behandeln“, so Günter Barz. Er fühlte sich jedoch schlechter behandelt, da Sven Haumacher ergebnislos Gespräche bezüglich bellender Hunde geführt habe, über die sich eine Bürgerin schon vor Monaten in öffentlicher Sitzung beschwert hatte, ohne bis zum damaligen Zeitpunkt eine Anzeige verschickt zu haben. „Nach reiflicher Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich in Gegenwart von Bürgermeister Haumacher künftig nicht mehr vorurteilsfrei und unbefangen zum Wohle der Gemeinde arbeiten kann. Das Vertrauensverhältnis ist unwiederbringlich zerstört“, begründet Günter Barz in seinem Schreiben den Rücktritt.

„Ich habe das Feuerwerk am 13. Juli gegen 22.30 Uhr wahrgenommen und entschieden: Sollte ich rausbekommen, wer es ist, wird es eine Anzeige geben“, erklärte Sven Haumacher auf Nachfrage des Teckboten. Ursprünglich habe er Günter Barz nur angerufen, um ihn als Zeugen zu befragen, ob er das Feuerwerk wahrgenommen habe. „Weil den Bürgern Selbstjustiz verboten ist, ist der Staat verpflichtet, Rechtsverstöße und Ordnungswidrigkeiten zu ahnden. Das ist mein Gerechtigkeitsempfinden“, so Sven Haumacher, der nicht mit zweierlei Maß messen will. Regelmäßig werde im Blättle vermeldet, dass Feuerwerke anzumelden sind. „Private Feuerwerke sind verboten, bei Vereinen ist es eine Einzelfallentscheidung“, sagte er weiter und zitierte aus der Verordnung zum Sprengstoffgesetz, wonach das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände in unmittelbarer Nähe von Kirchen, Krankenhäusern, Kinder- und Altersheimen sowie Reet- und Fachwerkhäusern verboten ist. „Es bestand zu dem Zeitpunkt eine abstrakte Brandgefahr, weil es davor ziemlich trocken war“, begründete er sein Vorgehen weiter und betonte: „Ich bin kein Gesetzesfanatiker.“

Kommentar: Überkorrekt

Manchmal würde man sich bei Notzingens Bürgermeister Sven Haumacher einfach mehr Fingerspitzengefühl, mehr Empathiefähigkeit und Lockerheit wünschen. Stattdessen verschanzt er sich hinter Paragrafen, Verordnungen und Bestimmungen – und hat damit zweifelsohne das Recht auf seiner Seite. Doch als Kommunalpolitiker muss er mehr als das Wissen um Gesetzestexte in seinen Kanon aufnehmen. Verhandlungsgeschick ist oberste Tugend eines Bürgermeisters.

An der Eskalation des Streits mit Günter Barz ist auch der Bürgermeister beteiligt. Geradezu krampfhaft versucht er, nur ja nicht in den Verdacht der Ungleichbehandlung und Bestechlichkeit zu geraten, und schießt dabei das eine oder andere Mal übers Ziel hinaus. Dies wurde bei einem weiteren Punkt in der Gemeinderatssitzung deutlich: Er wollte – „als Freund der sauberen Trennung“, wie er erklärte – eine Spende der Firma Magirus in Höhe von 1 000 Euro ablehnen, die diesen Betrag an die Jugendfeuerwehr als „Mietgebühr“ für eine zweitätige Messepräsentation des Notzinger Feuerwehrautos überwiesen hatte. Der Gemeinderat sah dies jedoch völlig anders und entspannt, da das Fahrzeug schon lange bezahlt ist und der Messeauftritt des Fahrzeugs nach den Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen der Jugendfeuerwehr im Juni war. Alle Gemeinderäte sprachen sich für die Annahme der Spende aus, Sven Haumacher enthielt sich. IRIS HÄFNER