Generationsübergreifende Gedenkfeiern zum Volkstrauertag auf den Friedhöfen der Stadt
Dem Vergessen bewusst begegnen

Die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft standen am gestrigen Volkstrauertag wieder im Mittelpunkt der Gedenkfeiern auf den Friedhöfen der Stadt. Neben der Erlebnisgeneration des Zweiten Weltkriegs nehmen dabei von Jahr zu Jahr immer mehr Jugendliche teil, die durch ihre Präsenz und ihr aktives Mitwirken deutlich machen, dass auch die kommenden Generationen sich ihrer Verantwortung stellen und sich der Verpflichtung ihres Erbes bewusst sind.

Dem Vergessen bewusst begegnen
Dem Vergessen bewusst begegnen

Kirchheim. Besonders lange wird diese Tradition des Zusammenspiels von jungen und älteren Menschen in Ötlingen gepflegt, wo auch am gestrigen Friedenssonntag im Anschluss an die Feierstunde auf dem Friedhof von der Ötlinger Jugend wieder gemeinsam mit allen Besuchern ein Friedensbaum gepflanzt wurde. Neben Vertreterinnen des Jugendrats waren dort auch

Schüler der Eduard-Mörike-Schule dabei, während sich in Jesingen S

chüler der Werkrealschule und in Lindorf Konfirmanden an der Gedenkstunde beteiligten.

Nach der musikalischen Eröffnung durch die Stadtkapelle unter der Leitung von Harry D. Bath rezitierten auf dem Alten Friedhof in Kirchheim drei Schülerinnen des Ludwig-Uhland-Gymnasiums ein Gedicht von Annegret Kronenberg. Der dort angesprochene „bezaubernde Frühlingstag im Mai“ passte ideal zu den aktuellen Temperaturen und der dort thematisierten „eigentümlichen Stille“ des Friedhofs.

Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker mahnte vor der Gedenktafel für die Kriegsopfer, dass die mit den „898 in Stein und Metall verewigten Namen“ verbundenen Schicksale nie vergessen werden dürfen – auch nicht von den 5 600 Kirchheimer

Schülern, die sich vielleicht fragen würden, wie man um Menschen trauern soll, die man gar nicht kennt und zu denen es keinen persönlichen Bezug gab. Eine Umfrage unter 14- bis 19-Jährigen habe aber ergeben, „dass zwei Drittel von ihnen es als Pflicht ihrer Generation sehen, dafür Sorge zu tragen, dass die NS-Geschichte und der Holocaust nicht vergessen werden.“

Das mache Mut und stärke die Hoffnung, dass millionenfaches Sterben nicht umsonst gewesen sei, stellte Kirchheims Oberbürgermeisterin fest und appellierte an alle Besucher der Gedenkfeier: „Lassen Sie uns nicht aufhören, uns mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, lassen Sie uns nicht aufhören, uns zu erinnern“. Am Beispiel der Kirchheimer Mitbürger jüdischen Glaubens, denen ihre Abstammung zum Schicksal wurde und der an sie erinnernden „Stolpersteine“ sensibilisierte sie für die Bedeutung von Respekt und Achtsamkeit.

Sie berief sich auf den Soziologen Richard Sennet der beschreibe, „dass unsere Gesellschaft auf dem Grundgedanken fußt, dass wir gegenseitigen Respekt bekunden, indem wir uns einander als gleich behandeln“. Wenn Menschen einander oft nicht verstehen, müsse Raum geschaffen werden, sich respektvoll anzunähern und einander dabei dennoch Raum zu lassen und mit dieser gegenseitigen Achtung auch das Wohl der Gesellschaft zu verbinden. Dabei gelte es „nicht die bedingungslose Mischung zu erzwingen, sondern auf ei­nander zu hören und gemeinsam unterschiedlich zu sein“.

Am Friedenstag stünden die Erinnerung und der Wunsch nach einer gemeinsamen Zukunft im Mittelpunkt, stellte Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker abschließend fest und zitierte aus der Rede, die Shimon Peres am 27. Januar dieses Jahres vor dem Bundestag gehalten hat. Danach müssten „Holocaust oder Shoa dem menschlichen Gewissen als ewiges Warnzeichen stets vor Augen stehen, als Verpflichtung zur Heiligkeit des Lebens, zur Gleichberechtigung aller Menschen, zu Freiheit und Frieden“.

Dass in Europa das Wissen um die Vergangenheit eine der Grundvoraus­setzungen für die geistige Mündigkeit einer jeden Generation sei, betonte Jesingens Ortsvorsteher Michael Möslang in seiner Rede. Wo dieses Wissen fehle, sei die Gefahr groß, Fehler zu wiederholen. Lindorfs Ortsvorsteher Stefan Würtele zeigte auf, dass Konflikte zwischen Menschen und ganzen Völkern „seit jeher zum Leben gehören“. Der Mensch sei aber in der Lage, Konflikte auch gewaltfrei zu lösen. „Jeder hat die Möglichkeit, sich für den Kompromiss zu entscheiden und guten Gewissens sein Leben zu verantworten.“