Dettingen. Man stelle sich vor, man besitzt in der Nähe seines Wohnhauses ein Wasserkraftwerk und kann damit seinen eigenen Strom produzieren und darüber hinaus sogar
noch Energie ins Stromnetz einspeisen. In Zeiten der Energiewende und steigender Strompreise ist das für viele sicherlich ein reizvoller Gedanke. Zu den stolzen Wasserkraftwerksbesitzern, welche die natürlichen Kräfte der Lauter nutzen, gehören Gottlob Hummel und Reinfried Kirchner aus Dettingen: Die beiden Männer stellen ihren Strom selbst her und versorgen noch zahlreiche weitere Haushalte in Dettingen mit der erneuerbaren Energie aus Wasserkraft.
248 000 Kilowattstunden Strom hat Gottlob Hummel im vergangenen Jahr produziert. „Das war aber ein schlechtes Jahr, weil es wenig Regen gab“, sagt der 76-Jährige. In guten Jahren kommt er auf 300 000 Kilowattstunden, 2009 waren es sogar 357 0000. Damit kann er seinen eigenen Haushalt sowie zwischen 70 und 80 weitere Durchschnittshaushalte versorgen. Pro Kilowattstunde, die er ins Netz einspeist, erhält Gottlob Hummel von der EnBW 7,67 Cent. Das sei zwar nicht viel – dennoch freut sich der Dettinger über die „kleine Nebenherrente“.
Auch Reinfried Kirchner, der im Jahr durchschnittlich 250 000 Kilowattstunden Strom erzeugt und damit 60 Haushalte versorgen kann, betont, dass man mit den 7,67 Cent keineswegs reich werde – zumal man ja auch Investitionen tätigen müsse. Zum Vergleich: Speise man Solarstrom ins Netz ein, erhalte man zwischen 23 und 48 Cent, weiß der 52-Jährige. „Das ist natürlich ein riesiger Unterschied und hängt damit zusammen, dass Solarstrom hoch subventioniert wird. Bei Wasserkraft war das nie der Fall.“ Reinfried Kirchner ärgert sich darüber, dass die EnBW den aus Wasserkraft erzeugten Strom für etwa das Dreifache an die Verbraucher weitergebe. Dennoch ist er ein überzeugter Wasserkraftwerksbesitzer. „Ich hatte schon immer Interesse an allem, was mit Wasser zu tun hat“, erzählt der Sohn einer Müllerstochter, und seine Augen strahlen vor Begeisterung. Freilich gehöre auch eine große Portion Idealismus dazu, fügt der Elektromeister hinzu, der darüber hinaus Mitgesellschafter zweier größerer Photovoltaikanlagen ist.
Die beiden Männer, die über einige Ecken miteinander verwandt sind und nur wenige Meter voneinander entfernt wohnen, nutzen denselben Kanal der Lauter für ihre Kraftwerke. Den Kanal gibt es in seiner jetzigen Form bereits seit dem 19. Jahrhundert, weiß Reinfried Kirchner. Er sei schon damals gebaut worden, um die Wasserkraft der Lauter zu nutzen.
Reinfried Kirchner betreibt seit 2008 das Wasserkraftwerk der ehemaligen Tuchfabrik Berger, das er gepachtet hat und das sich ganz in der Nähe seines Wohnhauses befindet. Seit gut 100 Jahren laufen die beiden Francis-Schachtturbinen des Kraftwerks, die früher die Tuchfabrik mit Elektrizität versorgten. Zu sehen sind diese Turbinen, in deren Innern sich jeweils ein Laufrad mit gewundenen Schaufeln befindet und die 2007 generalüberholt wurden, für den Besucher nicht. Denn sie sind in den Schacht der Anlage eingebaut. Sichtbar ist hingegen beispielsweise die große Rechenputzanlage, durch die das Wasser auf dem Weg zu den Turbinen fließt und die allerlei Müll wie Äste und Blätter, aber auch Tennisbälle oder Eimer abfischt. Bewundern kann man auch die Flachriemen, mit denen der Schwung der Turbinen auf den Generator übertragen wird. Dieser wandelt dann die Energie in elektrischen Strom um.
Ähnlich sieht es in der Anlage von Gottlob Hummel aus. Bei ihm gibt es allerdings zwei Generatoren. Das Gebäude, in dem sich das Kraftwerk befindet, war früher eine Getreidemühle, erzählt der Müllermeister. Bis 1947 verrichtete dort noch ein Wasserrad seine Arbeit, 1948 baute Gottlob Hummels Vater dann die beiden Francis-Schachtturbinen ein. „Mit den Turbinen bekommt man mehr Kraft raus als mit dem Wasserrad.“ Außerdem seien die Turbinen sehr langlebig. „Eine läuft seit 1948 ununterbrochen, die andere wurde 1988 überholt“, erzählt Gottlob Hummel. Insgesamt sei die Anlage nicht anfällig für Reparaturen. Um einiges mehr Geld koste indes der 600 Meter lange Kanal. „Wir haben schon einen Teil saniert, es kommen aber noch große Brocken auf uns zu“, sagt der Dettinger. Der Kanal steht zwar im Eigentum der Gemeinde – weil Gottlob Hummel und Reinfried Kirchner ihn aber nutzen, müssen sie für die Sanierungskosten aufkommen.
Die beiden Dettinger können sich übrigens an keinen Tag erinnern, an dem die Lauter nicht genügend Wasser geführt hätte. Die Wasserkraftwerke laufen rund um die Uhr. Befindet sich einer der beiden Männer im Urlaub, ist der andere vor Ort, um nach dem Rechten zu schauen. „Wir sprechen uns immer ab“, sagt Reinfried Kirchner. Schließlich müssten die Anlagen stets überwacht werden.
Reinfried Kirchner und Gottlob Hummel unterscheiden drei verschiedene Wasserstände der Lauter: Bei „Vollwasser“, wenn also über 2,4 Kubik pro Sekunde vorhanden sind, sind beide Turbinen jeder Anlage in Betrieb. Bei „Mittelwasser“, also bei 1,2 Kubik pro Sekunde, läuft die größere der beiden Turbinen. Und bei „Kleinwasser“ verrichtet nur die kleinere Turbine ihre Arbeit. „Wir können runter bis auf 350 Sekundenliter, die können wir noch ausnutzen“, informiert Gottlob Hummel. „Maximal schaffen die Turbinen 2 500 Liter in der Sekunde. Mehr geht nicht“, fügt sein Kompagnon hinzu.
Gottlob Hummel, der eine Brennerei betreibt und seit 1968 Strom ins Netz einspeist, stellt seine Brände im Übrigen auch mithilfe der Wasserkraft her. Er kann sich noch genau daran erinnern, dass es „zu Kernkraftwerkszeiten teilweise nicht erlaubt war, Strom einzuspeisen“. Er blieb aber hartnäckig und erhielt schließlich die Erlaubnis. „Die Energieversorgungsunternehmen sehen uns aber auch heute nicht gerne“, weiß der 76-Jährige. „Doch sie stehen unter Druck, sie müssen jeden Einspeiser nehmen.“ Das bestätigt Reinfried Kirchner: „Naturstrom hat Vorrang, und das ist auch richtig so.“
Allerdings könne nicht jeder einfach so ein Wasserkraftwerk betreiben, gibt Reinfried Kirchner zu bedenken. „Das ist nicht einfach, es hängt viel dran.“ Denn zum einen brauche man das nötige Verständnis für Mechanik und Elektrik. „Und zum anderen ist es auch von der Genehmigung her schwierig.“ Darüber hinaus müsse man irgendwo Wasser anstauen können und benötige eine gewisse Fallhöhe. Diese beträgt in der Anlage von Reinfried Kirchner 4,50 und bei Gottlob Hummel fast sechs Meter.
Die beiden Männer jedenfalls sind überaus stolz auf ihre Kraftwerke. „Man fährt günstiger“, freut sich Gottlob Hummel. „Und es ist einfach eine gute Sache, wenn man die Möglichkeit hat.“