Jürgen Lutz baut für sein Leben gerne ultraleichte Fluggeräte – Aktuelles Projekt: Nurflügler „Sky“
Der „Berblinger“ von Kirchheim

Kirchheim. Eigentlich hätte Jürgen Lutz, 52, mit Flügeln zur Welt kommen müssen. Als Vogelmensch. Denn er wünscht sich nichts sehnlicher, als dass ihm Schwingen „wachsen“. Wie Dädalus in der griechischen Mythologie, dem brillanten 


Erfinder, Techniker, Baumeister und Künstler, der aus Vogelfedern und Kerzenwachs Flügel für sich und seinen Sohn Ikarus bastelte.

Mit Wachs und Vogelfedern freilich hat der moderne Teckstadt-Dädalus nichts am Hut. Er greift viel lieber auf Glas- oder Kohlefasergewebe und Kunstharz zurück. Damit baut er Geräte, die ihn von der Erdenschwere befreien. Sein neuestes Projekt heißt „Sky“, ein sogenannter Nurflügler. Flapsig ausgedrückt: ein Flieger ohne „Schwanz“, sprich Leitwerk. Das Besondere daran: Der Pilot kniet bäuchlings in dem aerodynamisch optimierten Cockpit, die Flügel „wachsen“ ihm förmlich aus den Schultern, und er beobachtet wie ein Adler, Kopf voran, was unter und über ihm geschieht. Diese ungewöhnliche Pilotenposition im Cockpit schaute Lutz bei den „Horten“-Nurflüglern ab, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg erprobt wurden. Heinz Scheidhauer schrieb damit Fluggeschichte, als er im Oktober 1956 mit einer „Horten“ erstmals die Anden von Argentinien nach Chile überquerte.

Jürgen Lutz konzipierte den „Sky“ als ultraleichtes Segelflugzeug, das sehr leicht zu montieren ist und problemlos auf fast jedem Autodach transportiert werden kann. Was allerdings so leicht und handlich daherkommt, ist in Wirklichkeit harte Arbeit. Zu Hilfe kamen dem Tüftler Spezialisten, die sich für das „Sky“-Projekt begeisterten. Etwa Dr.-Ing. Werner Würz von der Uni Stuttgart, der für die Profilentwicklung der Flügel verantwortlich zeichnet, Dr. Martin Hepperle vom DLR, der die 3-D-Berechnung der Flügelauslegung übernahm, Airbus-Ingenieur Jon Meyer, der den Flügelgrundriss optimierte, UL-Segelfluglehrer Alexander Neuhaus, der für die Flugerprobung zuständig ist, sowie Falko Krüger und Gerhard Auerswald, die das „Sky“-Modell im Maßstab 1:2,5 bauten und damit das Trudeln simulierten. Um die juristische Seite des Projekts kümmert sich Rechtsanwalt Michael Stübing.

Wie der alte Dädalus ist Jürgen Lutz ein Meister seines Fachs, der in jungen Jahren das Flugzeugbauen von der Pike auf erlernte. Damals noch mit Birkensperrholz und Leim. Heute verdient er seine Brötchen im Prototypenbau bei einem weltweit bekannten Segelflugzeughersteller von hochmodernen Superorchideen – der Kirchheimer Firma Schempp-Hirth. Hier in der Krebenstraße über der Lackiererei und dem Versuchsbau unter dem Dach werkelt der 52-jährige Flugzeugenthusiast auch an seinem Nurflügler. Ein Raum, den bereits in den 1960ern der geniale Segelflugzeugkonstrukteur und Pilot Klaus Holighaus für den Bau seines Nimbus 1 nutzte.

Der Traum vom Fliegen ist so alt wie die Menschheit. Immer wieder versuchten findige Köpfe, es den Vögeln gleichzutun. Mit mehr oder weniger Erfolg. Entfloh Dädalus bekanntlich der minoischen Gefangenschaft, so stürzte sein Sohn Ikarus ins Meer, weil er der Sonne zu nahe gekommen war. Baden ging auch ein Schwabe beim Versuch, am 31. Mai 1811 mit einem selbstgebastelten Fluggerät von der Ulmer Adlerbastei die Donau zu überqueren. Der „Schneider von Ulm“ Albrecht Berblinger erlangte durch seinen Absturz traurige Berühmtheit. In Erinnerung an dieses historische Ereignis schrieb die Münsterstadt 175 Jahre später einen Flugwettbewerb aus. Von den 30 Teilnehmern, darunter auch Jürgen Lutz, erreichte nur einer mit seinem modernen Hängegleiter das gegenüberliegende Ufer. Der „Berblinger“ von Kirchheim musste sich mit einem zweiten Platz zufrieden geben. Nur wenige Meter trennten ihn von der rettenden Uferböschung. Zwei Jahre danach ging Jürgen Lutz mit dem von ihm gebauten ultraleichten Gleitflugzeug „JüLu-1“ in die Luft. Es wurde leider bei einem Sturm in Italien zerstört. 1992 entwarf Lutz den starren Drachen „Experience“, den eine hohe Gleitzahl auszeichnet, 1995 folgte der Starrflügler „Pegasus“.

Mit seinem Nurflügler will sich der Kirchheimer seinen Traum erfüllen, lautlos wie ein Bussard in der Thermik über der Alb zu kurbeln. Wann sich Jürgen Lutz allerdings im „Sky“ erstmals per Windenschlepp oder am Haken eines Motordrachens in den Himmel ziehen lassen kann, das steht noch in den Sternen.