Ausstellung „150 Jahre deutsche Sozialdemokratie“ ist im Kornhaus zu sehen
Der Besuch der alten Dame

Die Wanderausstellung „150 Jahre deutsche Sozialdemokratie“ bietet keine multimedialen Erlebnisse. Sie besteht aus 19 Schautafeln mit Texten und Fotos. Doch diese bieten einen fesselnden Überblick über eineinhalb Jahrhunderte Zeitgeschichte – inklusive einiger selbstkritischer Töne der SPD.

Kirchheim. „Die Geschichte der Sozialdemokratie ist vielschichtig, zwiespältig und wechselhaft“, sagte Martin Mendler, Vorsitzender der SPD Kirchheim, bei der Eröffnung. Er erinnerte an große Wahlerfolge, an Verbot und Verfolgung. Er verwies auf dauerhafte Beiträge für Frieden, Entwicklung und Menschenrechte. Doch es habe wüste programmatische Grabenkriege, sogar Abspaltungen und das Verschlafen von Trends gegeben. Die eigentliche Konstante der SPD-Geschichte sei die Bereitschaft zum ständigen Wandel. Jede Zeit wolle eigene Antworten, habe Willy Brandt gesagt. „Eine Bestandsgarantie für die nächsten 150 Jahre gibt es nicht.“

Nach 1945 wurde, so Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker, „das beste Staatsgefüge geschaffen, das jemals auf deutschem Boden existiert hat“. Dies sei mit starkem Einfluss von 80 Jahren Sozialdemokratie geschehen. Je länger Abgeordnete regierten, so Matt-Heidecker, umso mehr wollten sie das Regierungshandeln erklären, statt auf das Volk zu hören. Die Parteien sollten sich ihrer Mittlerrolle bewusst sein. Sie gratulierte der „alten Dame“ SPD und erinnerte daran, „was Menschen ertragen mussten, damit wir heute in einer Demokratie leben können.“ Diejenigen, die sich 1865 in der Kirchheimer Linde zum Arbeiterbildungsverein trafen, seien unter Beobachtung gestanden. Das Frauenwahlrecht und die Pressefreiheit hätten erkämpft werden müssen. Dass einmal Erkämpftes nicht selbstverständlich ist, zeigte Matt-Heideckers Blick auf die ungarische Partnerstadt.

Auf ein weiteres gelungenes musikalisches Intermezzo von Johannes Stortz (Posaune) und Hans-Peter Weyhmüller (Gitarre) folgte Rainer Arnolds Hauptreferat. Die Brüche in der Parteigeschichte seien nie so groß gewesen, sagte er, „dass wir uns neu gründen mussten“. Die Partei sei „keine Retortengeburt, sondern Konsequenz des Frühkapitalismus und der Industrialisierung“. 14-Stunden-Arbeitstage, Ausbeutung von Frauen und Kindern, keine soziale Absicherung, katastrophale Wohnverhältnisse: Die damaligen Zustände waren krass. Nach der gescheiterten 1848er-Revolution erkannten die Arbeiter, dass sie ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen mussten. Am 28. Mai 1863 gründete Ferdinand Lassalle den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV), 1875 schlossen sich ADAV und SDAP in Gotha zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) zusammen. Bismarck reagierte mit Peitsche und Zuckerbrot: Ersteres war das Sozialistengesetz von 1878, zugleich wollte er der Bewegung durch seine Sozialgesetzgebung den Schwung nehmen. Die Verbote, so Arnold, führten zur Gründung von Arbeitersport-, Ausbildungs- und Gesangvereinen, in denen die Politik quasi nebenbei betrieben wurde. Gab es 1875 noch 38 000 Genossen, waren es 1890 schon 100 000 und zu Beginn des ersten Weltkriegs 1,1 Millionen. „Da träumen wir heute davon.“

Arnold verschwieg nicht, dass sich 1914 die meisten Sozialdemokraten von der Kriegsbegeisterung anstecken ließen. Er berichtete von den Angriffen, die Friedrich Ebert, ab 1919 Reichspräsident, mehr als 200 Verleumdungsprozesse brachten. Als die Sozialdemokraten 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis stimmten, riskierten sie ihr Leben. Kurt Schumacher, nach dem Krieg ein Gegenspieler Adenauers, hatte wie viele andere Sozialdemokraten das KZ durchlitten. Später legte Willy Brandt mit seiner neuen Ostpolitik die Wurzeln für das, was Helmut Kohl (CDU) als „Kanzler der Einheit“ ernten durfte.

„Demokratie ist verletzbar, wenn sie nicht breit und tief in der Gesellschaft verwurzelt ist“, betonte Arnold. Die aktuell tiefe Spaltung der Gesellschaft verlange nach sozialdemokratischen Antworten. „Sozial kann nur sein, was gute Arbeit schafft.“ Um ihre Dienstleistungen für die Menschen zu finanzieren, bräuchten die Kommunen genügend Steuern – auch aus Erbschaften, Vermögen und von den Finanzmärkten.

Die Ausstellung ist bis 11. Mai im Untergeschoss der Städtischen Galerie im Kornhaus zu sehen. Geöffnet ist am Dienstag von 14 bis 17 Uhr, von Mittwoch bis Freitag von 10 bis 12 Uhr und von 14 bis 17 Uhr und am Samstag von 11 bis 17 Uhr.

Am Mittwoch, 8. Mai, um 19.30 Uhr sind unter dem Titel „Lieder von Frieden und Freiheit“ Melodien aus 150 Jahren Sozialdemokratie zu hören. Der Abend wird von Rainer Arnold und dem Musiker Werner Dannemann gestaltet.

Am Freitag, 10. Mai, um 18 Uhr folgt eine Filmvorführung „Wenn du was verändern willst. Die SPD. Über uns und unsere Geschichte“.