Vor 180 Jahren wurde auf der Albhöhe das Gehöft „Engelhof“ gebaut – Erinnerungen an die beliebte Wandergaststätte
Der Engelhof im HimmelreichInfo

Lenningen. Wenn die linden Lüfte erwachen und mit ihnen die Wanderlust, bekommen Erinnerungsbilder einen goldenen Rahmen. Die schönsten Wanderungen vom Lenninger Tal


auf die Albhöhe führen über den Burgsteig zu den Wielandsteinen, am alten Schafhaus vorbei über den Engelhof zu den Diepoldsburgen. Von Unterlenningen aus bietet der Weg über den Sattelbogen zur Linken den Teckberg als Wanderziel oder er führt über die untere Diepoldsburg, auch Rauber genannt, und die obere Diepoldsburg zur weiten Fläche des Gewands „Himmelreich“ mit dem Engelhof. Burgruinen, Mauerreste, Steinhaufen und Burggräben erinnern an längst vergangene Zeiten, als Herzöge, Edelfreie, Ritter und Dienstmannen den Albtrauf mit ihren Burgen krönten. So waren sie immer auf der „Höhe ihrer Zeit“.

Ein Streifzug 
durch 
die Zeit

Drunten in den Albtälern war der Wohlstand der Bewohner niederer. Das war mit ein Grund, warum „viele Güter auf dem Alpgebirge liegen, welche nur mit großer Mühe und Arbeit gebaut werden können“, begründet der Pfand-Commissär Riecker in seinen „Beiträgen zur Geschichte der Stadt Kirchheim und ihrer Umgebung“, 1833 die bäuerliche Ansiedlung auf der Albhochfläche. Der damalige Unterlenninger Schultheiß Johann Kaspar Dangel hatte um 1820 nicht nur den Maierhof Sulzburg von den Freiherrn von Menzingen gekauft, sondern auch die Hofgüter auf der Albhochfläche, Ländereien, „die jetzt in den Händen mehrerer Besitzer sind“. 1832 baute ein Unter­lenninger das Hofgut Engelhof „ein 1  1/2halb stockiges Wohnhaus, mit Stall, Scheuer, Wasch- und Backhaus, im Nebengebäude eine Schmiedewerkstatt“. So hatte der damalige Besitzer, der Schmied Jakob Dangel, 1845 und 1853 im Teckboten das Anwesen zum Verkauf angeboten. Mehrfach wechselten die Eigentümer. Im Jahr 1880 kaufte der Bauer Johann Jakob Renz von Johannes Kächele das Hofgut. Drei Generationen blieb es im Besitz dieser Familie.

Den Namen „Engelhof“ habe man einer mündlicher Überlieferung zufolge gewählt, weil die Hofgebäude am Zugang zum Gewand „Himmelreich“ liegen. Der Oberlenninger Pfarrer Dr. Otto Rheinwald, Erforscher der Lenninger Flurnamen, deutet an, dass möglicherweise ein abgegangenes Hofgut Engelgereut, Ro­dung eines Engelharts, eine Namensspur hinterlassen habe. „Vom Engelhof ist geschichtlich nichts bekannt, dagegen ist das Himmelreich, eine ebene Ackerfläche mit freiem Blick in das Lenninger und Bissinger Tal, Fundstelle keltischer Scherben, der Brunnenrain römischer Gefäßreste“, schreibt er 1924 in seiner Dissertation. Diese Hinweise findet er begründet durch den Tübinger Archäologieprofessor Peter Goeßler: „Bei der Herstellung der Pumpstation für die Diepoldsburg westlich am Weg vom Sattelbogen zum Engelhof, sind auf einem für eine Siedelung geeignetes Plateau, römische Gefäßreste . . . gefunden worden“. Hans Schwenkel bestätigt im Heimatbuch des Kreises Nürtingen diese Funde; er erwähnt die Quelle bei der Diepoldsburg und dass der Engelhof bis Anfang der 1950er-Jahre noch aus Zisternen geschöpft habe. Die eindeutig keltischen Silbermünzen aus dem Schopflocher Moor mögen auf die handelstüchtigen vorchristlichen Albbewohner jenseits des Lenninger Tals hinweisen: Sie hatten mit ihren Handelsstraßen den Römern Wege weisende Dienste geleistet. Der fast vergessene Namen Eselssteige, eine Verlängerung der Hohen Steige auf die Albhochfläche, erzählt vom mühevollen Transport des Getreides vom Engelhof zur Mühle ins Tal.

Landschaft und Geschichte fordern heraus: Poeten und Maler haben sich für die schöne Gegend rund um die Teck nicht nur zur Kirschblütenzeit begeistert. „Hier ist Freude, hier ist Lust, wie ich nie empfunden . . “, schwärmte der Ochsenwanger Dichtervikar Eduard Mörike. Der älteste Wanderverein Deutschlands, der Schwäbische Albverein, hatte seine Mitglieder nicht nur zum Ausschwärmen gewonnen, der Gesundheit und des Wohlbefindens willen. Der Verein verstand sich seit seiner Gründung 1888 in Plochingen auch als Anwalt für den Naturschutz, für die Pflege der regionalen Kultur – im Wettstreit mit dem Schwäbischen Heimatbund.

Jakob Renz hatte „die Nase im Wind“. Um die Jahrhundertwende baute er einen Teil des Hauptgebäudes als Gaststätte aus. Der Schwäbische Albverein lobt 1908 den Engelhof: „Ein wackerer Aelbler und seine rüstige Gattin, Vater und Mutter Renz, begrüßen uns hier im Engehof . . . und bewirten uns mit einem Bratbirnenmost, gutem Hausbrot und schmackhaften, selbst bereiteten Würsten. Hat einer das Glück, zum Schlachtfest hier sich einzufinden, das alle 4-6 Wochen stattfindet, so wird er mit Behagen zurückdenken an die dampfenden Schüsseln mit Kesselfleisch und Sauerkraut . . . Nicht modern, aber freundlich und helle, reinlich und gemütlich ists hier im Nebenzimmer, das sich seit dem vor 3 Jahren erfolgten Neubau an das Wirtszimmer anreiht . . . Einige Bilder zieren die Wände, und der große eiserne Kachelofen in der Wirtsstube sorgt zur rauheren Jahreszeit für angenehme Erwärmung. Der Phonograph mit seinem riesigen Schalltrichter lässt zur Unterhaltung manch heitre Weise ertönen . . . Drunten im Garten mit den großen Linden und Kastanienbäumen steht uns ein Genuß für das Auge bevor . . . ein Rundblick vom Roßberg . . . bis zum stattlichen Hohenneuffen . . . bei weitsichtiger Luft gar bis zur Burg Hohenzollern . . . Der Sommerfrischler, der hier Einkehr hält, hat neben guter Verpflegung eine wohltuende Ruhe, eine herrliche Aussicht, eine vorzügliche Luft . . .“

Wandern zur Erholung, zur Erbauung, zur Geselligkeit – ist nun die Zeit vorbei, als Handwerksgesellen sich auf die Walz machten, um einen neuen Lehrmeister zu finden, oder Studenten zu Fuß in ihre Universitätsstädte reisten? Wegen der neuen Wander-Bewegung baute der Sohn Albert Renz 1936 ein Gästehaus mit Saal und 20 Fremdenzimmern dazu. „Große Flächen Busch und Ödland rodete er in unermüdlicher Arbeit und schaffte wertvollen Kulturboden. Er machte den übernommenen Hof mit 90 Hektar zu einem der größten Güter des Kreisgebiets“, würdigte sein Nachfolger den unternehmerischen Landwirt.

Eine andere „Bewegung“ jener Zeit lässt jedoch die Erinnerungen immer unschärfer werden, auch von Vereinen, die über sich als „Heimatfront im unerschütterlichen Vertrauen auf den Führer“ schrieben. In einem Brief des Schopflocher Bürgermeisters an den Reichsarbeitdienst vom September 1940 „heimattümelte“ es kräftig: „Gleich in den ersten Kriegswochen wurde auf dem Otto-Hoffmeister-Haus ein weibliches Arbeitdienstlager eingerichtet . . . Durch die zentrale Lage konnten die Maiden auch auf den Höfen Randeck, Die­poldsburg und Engelhof eingesetzt werden. Und schon bald waren unsere Maiden in ihrer schmucken blauen Arbeitskleidung und ihren bunten Kopftüchern bei uns heimisch . . . unsere allezeit munteren und mutigen Maiden.“

In den Kriegsjahren fanden zahlreiche Gäste aus ganz Deutschland den Weg albaufwärts zur ländlichen Ruhe und frischen Luft. „Mir Kender hent dort Ähre lese dürfa und die Engelhofwirtin hat uns a guats Brot grichtet“, erinnerte sich eine alte Oberlenningerin. Der Kirch­heimer Maler Eugen Faber fand dort seine Farben und Motive. Für Sol­daten auf Heimaturlaub, für Firmengäste und Einheimische mit ihren einquartierten Ausgebombten war der Engelhof ein gutes Ausflugsziel. Unter den Gästen soll einer gewesen sein, einer ohne Vornamen, ohne Nachnamen, ohne besondere Marotten. Ein Schweiger, ein Stummer, vom Vergessen verdunkelt. Niemand kann sich an ihn erinnern. Nach der Bombardierung Stuttgarts 1944 kam er nicht mehr. Nur die Namen im Innenhof des Landgerichts erinnern an den Namenlosen.

Der Engelhof 
in den Jahren des 
Wirtschaftswunders

Der Albverein und die Jugendgruppen mit ihren Klampfen, die Bergwacht Esslingen, die Jäger, die Freunde von der Ulmer Hütte und die Familien vom Tal waren auch in den 50er-, 60er-Jahren „drhoim“ in den heimeligen Wirtsstuben des Engelhofs. Das Kinderglück für kleine Wanderer war einfach: „Zum Vesperbrot a Sinalco.“ – „Wir jungen Burschen kamen zum Frühschoppen an Sonn- und Feiertagen herauf, der Saal war immer voll, und ‘s Klärle aus Tübingen hat bedient“, erzählen die älteren Lenninger. Die Vereinsmusiker erinnern sich besonders an die 1.  Mai- oder Himmelfahrtstage, an denen sie ihren Festtagsjubel in die Täler bliesen und danach im Engelhof einkehrten. Manche Männerrunde habe von der einst jugendlichen Begeisterung, vom Schrecken des Fronteinsatzes, von Verwundung, vom Kriegsende berichtet. Die Erlebnisse rund um das verschwundene Wandergast- und Rasthaus bleiben bei vielen regelrecht Erinnerungskult.

Albert Renz hatte vergebens auf die Heimkehr seines ältesten Sohnes von der Ostfront gehofft; seine Frau war 1947 gestorben. „Der Engelhofbauer arbeitete tagsüber hart, abends und sonntags als Gastwirt. Er hat bis in die letzten Lebenstage seinen Humor zu erhalten gewusst“, ist in einem Nachruf zu lesen. Zwei Jahre vor seinem Tod traf ihn noch einmal ein Schicksalsschlag, als das landwirtschaftliche Gehöft durch Selbstentzündung des Heustocks im September 1958 niederbrannte. Das Anwesen hatte er an Emil Becker verpachtet, da sein Sohn Hermann aus gesundheitlichen Gründen den Hof nicht übernehmen konnte. Im Alter sei dieser im alten Gästehaus „eingedinget“ gewesen bei der Nachfolgerfamilie Wissler. Sie hatte 1973 das Anwesen übernommen. Der jetzige Engelhof-Landwirt ist bekannt für seine hochwertige Rinderzucht. Das Ehepaar Heinz und Hertha Wissler hatte nach Umbauten im August 1978 gegenüber dem alten abgerissenen Gasthof ein nobles Landhaus-Restaurant eröffnet. Über zwei Jahrzehnte war ihr Gastronomiebetrieb eine feine Adresse, auch für Feste und Feiern. Einer der Söhne ist heute ein Sternekoch im Bergischen Land. Der jetzige Engelhof-Landwirt ist bekannt für seine hochwertige Rinderzucht.

Drunten im Lindachtal lädt dagegen das Hotel Engelhof Weilheim seine Gäste zur Erkundung der Zähringerstadt ein und das Otto Hoffmeister-Haus weiß anscheinend die 180-jährige Tradition des „Engelhofs“ wohl zu schätzen. Es nennt sich seit geraumer Zeit „Alb-Engel – Landgasthof und Hotel“.

Quellen:

Teckbotenarchiv;

E. F. Hochstetter, Die Teck, Kirchheim,1864

Peter Goeßler, Aus der Vor- und Frühgeschichte des Kirchheimer Bezirks, Stuttgart, 1913

Blätter des Schwäbischen Albvereins, 1908, 1941

Otto Rheinwald, Die Flurnamen des Lenninger Tals, Tübingen, 1924;

Zeitzeugen