Kirchheim. Nach derzeitiger Lage des Verfahrens sieht es so aus, dass niemand mehr ernsthaft daran zweifelt, dass tatsächlich der 49-jährige Mann gefahren ist. Vor Ort hatte das Paar Anfang März der Polizei gegenüber noch angegeben, die 42-jährige Frau sei am Steuer gesessen. Aus diesem Grund war auch nur bei der Frau eine Blutentnahme erfolgt. Ergebnis: 1,62 Promille. Beim 49-Jährigen dagegen, der ja zunächst nur der Beifahrer zu sein schien, gab es für die Polizei keine Veranlassung und deshalb auch keine Rechtsgrundlage, um den Alkoholisierungsgrad hieb- und stichfest zu überprüfen.
Letzteres könnte das Kalkül des Ehepaars gewesen sein: Blutentnahme bei der vermeintlichen Fahrerin, die einige Tage später bei der Polizei angibt, doch nicht gefahren zu sein. Beim tatsächlichen Fahrer lässt sich dann aber nicht mehr feststellen, in welchem Maß beziehungsweise ob er überhaupt alkoholisiert war. Motiv: Der Berufskraftfahrer kann somit seinen Führerschein behalten, auf den er dringend angewiesen ist.
Für die Staatsanwältin ist die Sache eindeutig: Beim gesamten Geschehen handle es sich um lauter „Klassiker“. Dass der Mann betrunken war, ergebe sich unter anderem aus der gestrigen Aussage einer Polizistin, dass sie ihm mehrfach sagen musste, er solle von der Straße auf den Grünstreifen gehen. Er habe die vielen Aufforderungen gebraucht, bevor er überhaupt verstand, was von ihm verlangt worden sei. Außerdem sei er schwankend, langsam und wenig zielstrebig gegangen und habe nach dem Versuch, ein umhergeflogenes Plastikteil von der Straße aufzuheben, kaum mehr aufstehen können. Einen Verhandlungstag zuvor hatte bereits ein anderer Polizist ausgesagt, dass er beim Angeklagten gerötete Augen sowie Alkoholgeruch wahrgenommen habe.
Für die Staatsanwältin sind das Indizien, die eindeutig für eine Alkoholisierung sprechen. Die beiden Verteidiger dagegen forderten einen Sachverständigen, der klären soll, ob die geschilderten Indizien und Verhaltensweisen wirklich auf Alkohol zurückzuführen sind oder ob sie nicht auch Folgen eines psychischen Schocks gewesen sein könnten.
Strafrichterin Franziska Hermle meinte zunächst, dass die „Wertung der Ausfallerscheinungen“ auch ohne einen Sachverständigen möglich sein müsste. Schließlich aber stimmte sie zu, die Verhandlung auf Ende September zu vertagen und dann tatsächlich einen entsprechenden Sachverständigen zu befragen.
Das Kalkül, dem Berufskraftfahrer den Führerschein zu erhalten, ist indessen nicht ganz aufgegangen, denn die Richterin entsprach einem Antrag der Staatsanwaltschaft und zog den Führerschein des 49-Jährigen ein. Noch im Gerichtssaal kam die Fahrerlaubnis zu den Akten. Die Staatsanwältin hatte ihren Antrag folgendermaßen begründet: Nach derzeitigem Kenntnisstand sei davon auszugehen, dass der Mann am Steuer saß, obwohl er alkoholbedingt fahruntüchtig war.
Der 49-Jährige dürfte den Führerschein frühestens am nächsten Verhandlungstag zurückbekommen – vorausgesetzt allerdings, der Sachverständige käme zu dem Schluss, dass eine Alkoholisierung nicht zwingend angenommen werden muss. Nur in diesem Fall wäre der Führerschein gestern nämlich ohne hinreichenden Beweis beschlagnahmt worden.