Nichts ist, wie es scheint. Das gilt in der Pro A in dieser Saison, in der kein Spieltag ohne faustdicke Überraschung bleibt, im Allgemeinen. Für den ersten Heimsieg der Kirchheimer Basketballer am Samstag gegen Hanau ganz besonders. Ein 87:73, bei dem das bis dahin offensivschwächste Team der Liga ein Feuerwerk abbrannte, als gäbe es kein Morgen mehr: 69 Prozent verwandelte Dreier, 18:8 Rebounds bis zur Pause, Spieler in Vollstrecker-Pose, die Fans aus dem Häuschen. Und was tat der Trainer? Der brüllte und schlug um sich, als wäre ihm auf der Werbebande vor der Spielerbank der Teufel höchstpersönlich erschienen.
Mauricio Parra, der sanftmütige Spanier, der sich an der Seitenlinie Woche für Woche als tickender Sprengsatz entpuppt, hatte schon zu einem frühen Zeitpunkt genug gesehen. Sein Urteil über ein Spiel, in dem seine Mannschaft zeitweilig mit 21 Punkten in Führung lag, fiel für manche so drastisch wie überraschend aus: katastrophal, indiskutabel, schockierend. Gemeint war ausgerechnet die Offensive, wo am Ende immer noch 55 Prozent der Distanzwürfe saßen. So viel wie noch nie zuvor in dieser Saison in einem Kirchheimer Spiel. Was Parra meinte: Auf ein Dreier-Gewitter wie am Samstag kann sich kein Trainer wirklich verlassen. Auf Disziplin und eine klare Order bestenfalls schon. Tatsächlich war von gut gestellten Blöcken und einer Dominanz in der Zone diesmal wenig zu sehen. Das Erfolgsmuster beim Sieg gegen Karlsruhe, eingetauscht gegen „wilde Ballerei“, wie der Trainer es nennt. „Unser Spiel hat der Gegner diktiert“, sagt Parra. „Wir haben getroffen, aber wir haben keinen strukturierten Basketball gespielt.“
Für einen war der Abend trotzdem heilsam: Keiner verkörperte den Kirchheimer Wahnsinn in diesem Spiel so eindrücklich wie Andreas Kronhardt. Vier von vier Dreiern, teils aus abenteuerlicher Position und in spielentscheidenden Momenten. Das macht aus Kirchheims bulligem Center fürderhin wohl keinen ausgewiesenen Scharfschützen. Für Kronhardts angekratzte Seele nach glücklosen Wochen war es eine wirksame Kur.
Ein anderer dagegen wirkte, als kämpfe er verbissen um seine letzte Chance. Dabei war es wohl eher der Auftritt eines vom Druck Befreiten: In der Frage nach der Zukunft von Caleb Oetjen waren die Würfel gefallen noch ehe das Spiel begann. Der 24-jährige US-Guard kehrt auf eigenen Wunsch in die Heimat zurück und will sich dort um seine berufliche Zukunft abseits des Basketball-Courts kümmern. Ersatz ist bereits gefunden und auch schon in der Stadt. Er heißt Austin Luke, 24-jähriger Amerikaner, der nach dem Weggang vom College zuletzt in Riga in der ersten lettischen Liga spielte. Ein Pointguard, den die Knights schon im Sommer auf dem Schirm hatten. Damals fiel die Wahl auf Dajuan Graf. „Das Risiko, die Schlüsselstelle mit einem Rookie zu besetzen, erschien uns zu groß“, erklärt Mauricio Parra die damalige Entscheidung.
Der Schritt vom renommierten Belmont College in Ohio in die lettische Liga, die zu den stärkeren in Europa zählt, war für den 1,90 Meter großen Spielmacher dann allerdings doch zu groß. Richtig wohl gefühlt hat er sich im Baltikum nie, trotz beachtlicher 5,3 Assists bei durchschnittlich 16 Minuten Spielzeit. In Kirchheim gilt der Mann aus Dallas aufgrund seiner Umsicht und Passqualitäten als klares Upgrade gegenüber seinem Vorgänger. Während eines einwöchigen Probetrainings hat er auch die sportliche Leitung bei den Knights überzeugt. „Er spielt intelligent, hat ein gutes Auge und einen präzisen Wurf“, lautet das Fazit von Christoph Schmidt.
Hält der erste Eindruck dem Dauerbetrieb stand, könnte Luke die erhoffte Entlastung im Backcourt bringen. Dajuan Graf, der gegen Hanau mit 13 Punkten und zehn Assists sein zweites Double-Double in Folge auflegte, steht bisher durchschnittlich 35 Minuten auf dem Spielfeld. Rhondell Goodwin, seit Samstag Liga-Topscorer mit 19,4 Punkten, bringt es immerhin auf 31 Minuten Einsatzzeit.
Ob Luke schon am Freitag in Baunach wird auflaufen können, steht und fällt wie immer mit der Freigabe durch die Behörden. Zwei dicke Fragezeichen stehen vor dem Doppelspieltag hinter Brian Wenzel und Tim Koch. Wenzel fehlt nach einem Schlag in den Rücken diese Woche im Training, Kochs Nacken wird zum Dauerthema.