Sommerzeit ist Ferienzeit. Das war auch vor hundert Jahren schon so: Obwohl sein Neffe und designierter Nachfolger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo ermordet worden war, verbrachte der 83-jährige österreichische Kaiser Franz Joseph I. den dramatischen Krisenmonat Juli überwiegend in Bad Ischl – seiner angestammtem
Andreas Volz
Sommerresidenz. Auch sein „Kollege“ Wilhelm II. ließ sich von den Ereignissen, die zum Ersten Weltkrieg führen sollten, nicht davon abhalten, die „übliche Nordlandreise“ anzutreten, „nach der er sich alljährlich sehnt“ – wie der Teckbote am Donnerstag, 9. Juli 1914, berichtet. Eigentlich hätte Wilhelm ja kurz nach Süden reisen müssen, um an den Trauerfeierlichkeiten für Franz Ferdinand teilzunehmen. Ein „Hexenschuß“ aber war es, „der nach der offiziellen Darstellung den Kaiser verhindert hat“, dem Erzherzog die letzte Ehre zu erweisen.
Der tatsächliche Grund aber war ein anderer, denn die übrigen europäischen Monarchen glänzten ebenfalls durch Abwesenheit. Auch darüber schreibt der Teckbote am selben Tag: „Es ist kein Zweifel, daß die Absage jeder fürstlichen Beteiligung an der Beisetzung von den obersten Hofbehörden in Wien ausgegangen ist“. Was aber hatte dazu geführt, dass der Mann, der Kaiser hätte werden sollen, nur eine „prunklose Bestattung“ erhielt? Und das in einem Land, in der „a schöne Leich“ – also eine möglichst aufwendige Totenfeier – traditionell wichtiger ist als alles andere?
Der Grund war seine Hochzeit mit Sophie Gräfin Chotek: Sie stammte aus böhmischem Adel, wurde aber im habsburgischen Erzhaus als unstandesgemäß betrachtet. Auch ihre spätere Erhebung zur Fürstin und dann sogar zur Herzogin von Hohenberg änderte daran nichts. Der Preis, den Franz Ferdinand für diese Ehe zu zahlen hatte, war die Einwilligung, dass es sich nur um eine „morganatische“ Ehe handelte. Das heißt, dass seine Frau nicht den Rang einer Erzherzogin zugestanden bekam und dass die Kinder von vornherein von der Thronfolge ausgeschlossen waren.
Es ist eigentlich eine romantische, rührselige Geschichte – der Stoff, aus dem die Groschenromane und die Klatschblätter sind. Allerdings endete sie tragisch. Franz Ferdinand und Sophie waren nicht nur 14 Jahre ihres Lebens als Ehepaar vereint, sie sind es auch seit nunmehr 100 Jahren im Tod: Bestattet sind sie in einer Gruft in Franz Ferdinands Schloss Artstetten in Niederösterreich. Die „Kaisergruft“ bei den Wiener Kapuzinern wäre zwar für Franz Ferdinand der angestammte Platz gewesen, nicht aber für seine Frau. Bis heute erinnert dort nur eine Gedenktafel an die ersten Opfer des Ersten Weltkriegs.
Über die Art der Bestattung zeigt sich die Presse sehr empört – auch der Teckbote an jenem 9. Juli 1914: „Einer der höchsten Generäle der [österreichisch-ungarischen] Armee hat sich geäußert, daß man dem Thronfolger eines Fünfzig-Millionenreiches, dem Mann, der nach dem Kaiser der höchste Kriegsherr der Armee war, dem Mann, der auf dem politischen Schlachtfeld in Ausübung des allerhöchsten Dienstes gefallen, eine Leichenfeier zugedacht hatte, wie sie einem 6jährigen Kinde auch gewährt wird, wenn es zu den Mitgliedern des kaiserlichen Hauses gehört hätte.“
Es folgt die Abrechnung mit dem Wiener Hof: „Das Ausland hatte über die Bedeutung des verstorbenen Erzherzog-Thronfolgers anders gedacht wie die Hofschranzen und Hofjuristen, die, weil der Erzherzog auch im Tode nicht von seiner Gemahlin getrennt sein wollte, nicht sie als die Gemahlin des Thronfolgers, sondern lieber ihn nur ,als den Mann der Hohenberg‘ unter die Erde gebracht haben.“
Noch ein weiteres Schmankerl fügt der Berichterstatter hinzu: „Die allerschönste Leistung des Wiener Hofzeremoniells ist aber: Die offizielle ,Wiener Zeitung‘ hat – pflichtgemäß – im amtlichen Teil nur die Ermordung des Erzherzogs und Thronfolgers gebracht und das Ende seiner tapferen, freilich nicht ebenbürtigen Frau erst im nicht-amtlichen Teil erwähnt. Die Herzogin von Hohenberg durfte sterben mit dem Thronfolger. In Serajewo, aber nicht im amtlichen Teil der ,Wiener Zeitung‘!“
Damit sind die unrühmlichen Umstände der Beisetzung im Teckboten von 1914 erschöpfend abgehandelt. Die drohende Kriegsgefahr dagegen ist in der zweiten Woche nach dem Attentat nicht wirklich aus der Zeitung herauszulesen. Erst im Nachhinein erkennt man gewisse Andeutungen auf die beiden wichtigsten Begriffe, die im Schulunterricht im Zusammenhang mit der „Julikrise“ fallen: auf das „Ultimatum“ Österreich-Ungarns an Serbien und auf den „Blankoscheck“ des Deutschen Reichs für die Donaumonarchie.
Am Freitag, 10. Juli 1914, schreibt der Teckbote nicht vom „Ultimatum“, sondern von einer „Demarche“ aus Wien, in der die serbische Regierung aufgefordert werden soll, „gewisse Sicherheiten zu bieten, daß auch in Serbien zukünftig die großserbische Propaganda [...] möglichst vermieden wird“. Zum „Blankoscheck“ und zur „Nibelungentreue“ zitiert der Teckbote tags darauf, am Samstag, 11. Juli, eine nicht näher lokalisierte deutsche Zeitung namens „Lokalanzeiger“: „In Deutschland, das in Serajewo einen Freund und Bundesgenossen verloren hat, würde, falls die Mitschuld einer offiziellen Persönlichkeit Serbiens erwiesen wird, jeder Schritt, welchen man von Wien aus gegen die Schuldigen unternimmt, volle moralische Unterstützung finden und auch das amtliche Deutschland würde dabei gewiß nicht nachstehen.“
Dass es genau so kommen und dass sich daraus der Erste Weltkrieg entwickeln würde, ahnte zu diesem Zeitpunkt sicher kaum ein Teckboten-Leser. Was Kirchheim und Württemberg sonst beschäftigte, war die Erinnerung an den Tübinger Vertrag von 1514 – wie dieser Tage auch – und die Sommerpause: Nicht nur der Kaiser ist auf „Nordlandreise“. Auch Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg „ruht aus auf seinem Sitz in Hohenfinow“, wie die Kirchheimer Zeitung am 11. Juli 1914 mitteilt.
Ebenfalls in den Urlaub hat sich Esslingens Oberbürgermeister Max von Mülberger verabschiedet. Nach schweren Konflikten mit seinem Gemeinderat geht es für ihn auf „eine vierwöchige Urlaubsreise nach dem schönen Engellande“ (Teckbote, 10. Juli 1914). Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass er diese Reise regulär beendet hat, denn vier Wochen später hatte „Engelland“ dem Deutschen Reich längst den Krieg erklärt.
Auch die Herbstmanöver, auf die der Teckbote am Freitag, 10. Juli 1914, ausführlich hinweist, sollten im September so nicht mehr stattfinden. Statt Manövern gab es – plötzlich und wohl kaum erwartet – den Ernstfall.