Altbach. „Klangwerkstatt“ heißt der große Übungsraum im Altbacher Eigenheim. Hier empfängt Andreas Baumann seine Klavierschüler, rechts sein guter Flügel und das Cembalo, links der letzte Flügel der berühmten Pianofortefabrik Schiedmayer, der in Altbach gebaut wurde.
Für einen gemütlichen Fernsehabend an Werktagen hat Andreas Baumann keine Zeit. Der 46-Jährige dirigiert montags den evangelischen Kirchenchor in Altbach, dienstags den Männerchor der Cäcilia in Wernau, mittwochs die 20 jüngeren Herren von Mann-o-Mann der Cäcilia, donnerstags den Weilheimer Frauenchor Salto vocale. Das Wochenende ist oft auch nicht ruhiger. Dann gibt der Musiker aus Wernau, der seit zwölf Jahren in Altbach wohnt, Konzerte. „Ab und zu schauen wir den ‚Tatort‘, der kommt ja sonntagabends“. Mit auf der Couch ist dann seine Frau, die Krimis auch ganz gern mag. Der Stuttgart-Tatort gehört zu seinen Favoriten. Nicht zuletzt, weil er den Schauspieler Richy Müller vor zwei, drei Jahren kennengelernt hat: In Mainz bei einer Fernsehaufzeichnung zu einer Sportlehrehrung. Damals gehörte Landratsvize Matthias Berg zu den Geehrten, durfte aber auch als hervorragender Hornist auftreten. Andreas Baumann begleitete ihn am Klavier. Mit Richy Müller hat er sich „nett unterhalten. Er hat auch mal Klavier probiert“, aber dann doch zu wenig Zeit, das Üben zu intensivieren.
Seinen eigenen ersten Fernsehauftritt hatte Baumann schon als Elfjähriger: Das Ensemble für Alte Musik Esslingen, das sein Flöten- und Klavierlehrer Gottfried Urban leitete, trat immer mit Perücken und in historischen Kostümen auf. Die wurden vor Auftritten im Obertürkheimer Kostümverleih geliehen. Das Jungtalent fand das weder klasse noch doof: „Ich hab‘s halt gemacht.“ Neben der Musik ging er aber durchaus mit den Kumpels kicken. Auf die Finger hat er aufgepasst. Stand er gerade im Tor, „hab‘ ich schon mal einen harten Ball vorbeigelassen“.
Im Kindergarten mochte der Vierjährige die Triangel, mit sieben lernte er Blockflöte, mit neun wollte er unbedingt Klavier spielen lernen. Dabei blieb er. Die Musik spielt für den Neu-Altbacher schon viele Jahre die Hauptrolle – zumindest im Berufsleben. Zusammen mit seiner Frau Ursula Reutter, einer promovierten Theologin und Lehrerin am Esslinger Schelztor-Gymnasium, hat er drei Kinder. „Die sind alle musikalisch“, sagt der Papa. Immanuel (11) spielt Cello, Emilia (9) Geige „und singt den ganzen Tag“ und Florentin (6) will Klavier lernen. Er kommt immer wieder in die „Klangwerkstatt“ und hört zu, wenn der diplomierte Musikpädagoge mit Auszeichnung seine Klavierschüler empfängt. In dem hellen Zimmer stehen zwei Flügel, zwei Klaviere und ein Cembalo. Der helle Flügel stammt aus der berühmten Pianofortefabrik Schiedmayer. „Das ist der letzte, der in Altbach gebaut wurde.“ 32 Kinder, Jugendliche und viele Erwachsene kommen auf den Altbacher Berg oder in das Unterrichtszimmer im Wernauer Elternhaus; von der Sechsjährigen bis zum 76-Jährigen, der aber jetzt aufgehört hat. „Geduld braucht man schon ein bissle“, sagt der Pianist. Ohrenschmerzen bekomme er aber keine. „Die dreschen ja nicht aufs Klavier ein“, sagt er und lacht. Gedrillt wird keiner, es soll Spaß machen.
Ausverkauft sind häufig auch die Konzerte, wenn Baumann auftritt, ob als eine Hälfte des Duo Vivace oder mit dem Ensemble Worton. Zusammen mit Albrecht Volz (Schlaginstrumente) spielt das Duo Vivace „ein Crossover von Barock bis Jazz“. Volz kennt er seit Kindertagen vom Allgäu-Urlaub der Familien. Beide haben später an der Stuttgarter Musikhochschule studiert, Baumann Klavier und Dirigieren. Vor der Aufnahmeprüfung übte Baumann täglich drei bis vier Stunden – und das nach den Acht- bis Zwölf-Stunden-Diensten bei der Amsel in Wernau, wo er seinen damals noch 20-monatigen Zivildienst leistete. „Das war schon sehr anstrengend.“
Die Strapaze hat sich gelohnt. Mit seinen vier Stücken aus vier Epochen bekam er einen von zehn Studienplätzen unter 100 Bewerbern. „Einen Plan B hatte ich nicht“, sagt Baumann. Scheitern war nicht vorgesehen. „Vielleicht wäre ich dann Architekt geworden.“ Keinesfalls aber Kfz-Mechaniker. Obwohl eine Leidenschaft Oldtimer-Autos sind. Einen 24 Jahre alten BMW mit Schiebedach zum Kurbeln hat er sich gekauft und eine Rückbank im 80er-Karo-Look eingebaut. „Den fahr‘ ich nur bei schönem Wetter“, sagt er mit leuchtenden Augen. Dann legt er alte Kassetten ein, mit der Band A-ha und Neuer Deutscher Welle.
Eine weitere Premiere steht auf dem Programm: Das Ensemble Worton wurde für eine zweiwöchige Kreuzfahrt gebucht, von Lissabon bis Hamburg. Bei den szenisch-literarischen Konzerten ist er der Mann am Klavier, Uriel Stülpnagel spielt Violoncello, dessen Bruder Michael Stülpnagel und seine Frau Andrea Hancke tragen die Texte vor. Für die Schifffahrt nimmt Baumann von allen Pflichten frei. Auch von den Kindern. „Dann müssen die Großeltern ran“, sagt er.