Gruibingen. 1 195 Meter tief im Berg ist es kühl, eng und staubig. Man kann ihn förmlich schmecken: den Dreck, der durch die Luft wirbelt. Hier und da erhellt ein Licht den Tunnel, der ansonsten ziemlich bedrückend und gespenstisch wirkt. Menschen mit Platzangst sollten sich hierher nicht verirren.
Die Mineure arbeiten sich derzeit im Boßlertunnel Stück für Stück vorwärts. Fotos: Jean-Luc Jacques Dunkel und staubig ist es 1195 Meter tief im Berg.
Einer von ihnen ist Günter Stranner aus Kärnten. Der 40-jährige Mineur und Sprengbefugte ist ein unaufgeregter, gelassener Typ, der das Leben nimmt wie es kommt. Warum diese doch recht außergewöhnliche Berufswahl? „Oh, das ist lange her“, erzählt er. „Es war wegen des Geldes, als Junger damals.“ Das war vor 20 Jahren. Irgendwann habe er sich dann auf das Sprengen spezialisiert, das ihn von Anfang an faszinierte. Bis heute ist er bei diesem Beruf geblieben, und vorstellen kann und will er sich nichts anderes mehr. „Vielleicht wenn ich mal im Lotto gewinne . . . aber sonst, nein“, winkt er ab.
Günter Stranner hat einen verantwortungsvollen und gleichzeitig gefährlichen Job. Er ist der Mann für die Munition, die er stangenweise aus einem Bunker holt und dann zu seinen Kollegen in den Boßlertunnel fährt. Dort werden mit einer großen Maschine passende Löcher für den Sprengstoff ins Gestein gebohrt. „Dann besetze ich die Löcher, stecke die Zünder in
Günter Stranner ist einer der Mineure, die den Boßlertunnel vorantreiben. Der 40-Jährige kommt, wie praktisch alle Arbeiter im Tunnel, aus Österreich.
„Bei der ganzen Sache bist du mit einem Fuß im Gefängnis. Wenn da etwas passiert . . .“, sagt
Günter Stranner hängt die Sprengschnüre zusammen.
Zehn Tage am Stück arbeiten Stranner und die anderen 17 Mineure, die derzeit im Umpfental tätig sind, am Bau des Boßlertunnels. Dann haben sie „Abgang“: Für fünf Tage geht es in die Heimat nach Österreich. Dekadenweise haben die Bergleute Tag- oder Nachtschicht. Die Sonne bekommen sie nur selten zu Gesicht. Günter Stranner stört das nicht. „Man gewöhnt sich dran. Ich kenn‘ nichts anderes.“ Auch für seine Frau gehört das Wanderleben ihres Mannes zur Normalität. Der 40-Jährige könnte es sich gar nicht vorstellen, „jeden Tag zu Hause zu sein“.
Für seinen siebenjährigen Sohn wünscht er sich trotzdem einen anderen Lebensweg. „Der soll einmal was Gscheits lernen“, sagt der Kärntener grinsend, der in seiner Freizeit gerne Motorrad fährt und mit seinem Sohn Fußball spielt. Bereut hat er seine Entscheidung aber nicht; seine Arbeit macht ihm Spaß. Jeder Tunnel sei anders und biete eine neue Herausforderung. Beteiligt war er schon am Bau von etwa zehn Tunneln in Österreich und Deutschland. Zwischen zwei und dreieinhalb Jahren ist er auf einer Baustelle beschäftigt; dann geht‘s zum nächsten Tunnel.
Seit Juli 2013 ist er nun auf der Schwäbischen Alb. Wie lange er dort gebraucht wird, „steht noch in den Sternen“. Voraussichtlich 1 400 Meter des Boßlertunnels, der insgesamt einmal 8 806 Meter lang sein soll, wollen sie mit den Sprengungen vom 920 Meter langen Zwischenangriff (Behelfstunnel) im Umpfental aus schaffen. Momentan sind sie bei 275 Metern. „Wir schauen, wie sich das Gebirge verhält“, erklärt Willibald Kap-ler, Polier und Vorgesetzter der Mineure. Passt alles, geben sie das Okay zum Start der großen Tunnelbohrmaschine. Diese soll ab November von der anderen Richtung aus loslegen: Sie frisst sich vom Portal Aichelberg aus ins Gestein.
Die Mineure, die im Boßlertunnel arbeiten, sind während ihrer Zeit auf der Schwäbischen Alb in einem eigens eingerichteten Wohncontainer in Hohenstadt untergebracht. Dort teilt sich Günter Stranner ein etwa sechs Quadratmeter großes Zimmer mit einem Kollegen. Im Zweischichtbetrieb wird nicht nur gesprengt, sondern auch geschlafen, sodass die beiden in ihrem Zimmer kaum Berührungspunkte haben.
Sicherlich: Dieses Leben muss man mögen. Günter Stranner hat keine Probleme damit. Ihm ist etwas ganz anderes wichtig: Er will seine Arbeit erfolgreich und unfallfrei erledigen. Ungern erinnert er sich an einen Vorfall auf einer früheren Baustelle, bei dem er unter einer ordentlichen Ladung Spritzbeton („sechs Quadratmeter mit einer Stärke von 20 Zentimetern“) begraben wurde. Zum Glück erlitt er trotz Helm „nur“ ein Schädel-Hirn-Trauma, erzählt der 40-Jährige. „Andere sind in unserem Job schon erschlagen worden.“