Gericht verurteilt Stalker zu sechsmonatiger Bewährungsstrafe
Der Mann im grünen Auto

Zum ersten Mal fiel ihr der Mann vor sechs Jahren auf. Sie dachte sich nichts dabei, auch nicht bei dem durchdringenden Blick, den er ihr zuwarf. Er schien etwas zu suchen oder hatte vielleicht etwas verloren.

Nürtingen. Unruhig wurde die verheiratete Frau aus einer Nürtinger Nachbargemeinde erst, als sich die Begegnungen häuften. Manchmal sah sie ihn viermal die Woche, dann wieder zwei Wochen lang nicht. Oft stand er mit verschränkten Armen neben seinem grünen Auto und grinste sie an. Er tat ihr nichts und sprach sie auch nicht an, war immer freundlich. Einmal fuhr er, mit schiefem Lächeln herausblickend, so langsam an ihrem Haus vorbei, dass das Auto fast stehen blieb. Die Begegnungen, die nicht zufällig sein konnten, waren ihr nicht geheuer, langsam bekam sie Angst. Sie erzählte ihrem Mann von den unguten Zusammentreffen, aber er wusste auch keine Patentlösung. Als sie ihren Hund auf einem Waldweg ausführte, fuhr er in einem Abstand von vielleicht 15 Metern hinter ihr her.

Ein Dorf ist eine kleine Welt, in der jeder jeden kennt. So konnte die Art und Weise, wie er ihre Nähe suchte, nicht verborgen bleiben. Manchmal wurde sie von Bekannten angesprochen, was der Mann denn von ihr wolle. Sie musste passen, sie wusste es nicht. Sie hatte ihn vor dem ersten durchdringenden Blick nie gesehen gehabt. Er stammte aus Nürtingen, war in zweiter Ehe verheiratet und hatte eigene Kinder. Einmal verlor sie den Nerv und schrie ihn an, was er denn von ihr wolle, er solle sie in Ruhe lassen. Es konnte geschehen, dass sie aus dem Haus trat, sein grünes Auto sah und daraufhin gleich wieder ins Haus zurückging. Mit der Zeit bekam sie Angstzustände und litt unter Schlafstörungen. Als sie einmal mit Kindern hinauf zum Wald ging, sah sie schon von Weitem oben sein Auto stehen.

Es geschah auch diesmal, was sie erwartet hatte: Er blickte sie mit seinem schiefen Lächeln aufdringlich an. Diesmal meldete sie es der Polizei. Die Beamten stellten den Mann zur Rede, aber es war ihm nichts nachzuweisen. Er hatte die Frau weder beleidigt noch angerührt. Bei seinen Kundenbesuchen, sagte er, müsse er schon mal eine Stunde oder zwei überbrücken, dann könne es zufällig durchaus geschehen, dass er die Frau sehe. Er wolle nichts von ihr, alles sei reiner Zufall. Seine Vorstrafenliste wies drei Einträge auf, doch es handelte sich ausnahmslos um leichtgewichtige Dinge, die auch schon weit zurücklagen. Die Beamten konnten der Frau nur raten, ihm aus dem Weg zu gehen.

Vier Monate lang hatte die Frau daraufhin ihre Ruhe, dann begann der Ärger von Neuem. Die Belästigung bekam sogar eine zusätzliche Dimension, als der Kleine der Frau in den Kindergarten kam. Ihr Verfolger fand bald heraus, wann sie den Kleinen abholte. Jetzt stand das grüne Auto immer mal wieder vor dem Kindergarten. Auch ein Wechsel des Kindergartens änderte nichts an der Situation. Der fremde Mann blieb ihr auf den Fersen. Er blickte sie vor dem neuen Kindergarten siegessicher an, als wollte er ihr zu verstehen geben, dass alle Bemühungen, ihm zu entrinnen, vergeblich seien. Überflüssig, zu sagen, dass die Ausweichmanöver und angestrengte Eile seiner Mutter dem Kleinen nicht verborgen blieben. Der fremde Mann wurde Teil auch seines Lebens – und seiner Ängste, er bekam Angst vor dem Fremden. „Ich möchte nur“, sagte sie, „dass mein Kind und ich wieder unbelastet und ohne Furcht leben können.“

Als sie einmal zusammen mit ihrem Mann den Kleinen abholte und er auf Hinweis seiner Frau auf das grüne Auto zuging, gab der Lenker Gas und fuhr davon. Für die Familie stellte sich immer dringender die Frage, was man tun konnte, um dem unerträglichen Zustand ein Ende zu setzen. Ein Schatten hatte sich über ihr ganzes Leben gelegt. In einem zivilrechtlichen Verfahren erwirkte die Frau eine einstweilige Verfügung auf ein Annäherungsverbot von 50 Metern, der Belästiger müsse der Familie fernbleiben.

Die Wirkung war gleich null. Es änderte sich auch nichts, als der Kleine in die Schule kam. Plötzlich stand er dort neben ihr an der Garderobe. Ein andermal stellte sich der Stalker in der Schule vor den Kleinen und stampfte mit dem Fuß auf, dass der Junge in Tränen ausbrach. Die Schule verhängte über den Fahrer des grünen Autos Hausverbot. Wenige Tage später lief er im Supermarkt ganz eng an der Mutter vorbei. Nach sechs Jahren immer neuer Bedrängnisse erstattete die Mutter Anzeige wegen Nachstellung. Der Mann bekam einen schriftlichen Strafbefehl über 4 440 Euro. Er legte Einspruch ein und ließ es damit auf eine Verhandlung am Nürtinger Amtsgericht ankommen. Bei seinen Einkünften könne er eine solche Summe nicht aufbringen, begründete er seinen Einspruch.

Bei der Verhandlung machte er von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch. Die Staatsanwältin legte ihm vor allem zur Last, dass er den Jungen in seinem Urvertrauen gestört habe. Sie beantragte sechs Monate Haft auf Bewährung und eine Geldbuße von 1 200 Euro. Der Nebenkläger warf ihm vor, nicht nur die Frau in seelische Nöte gebracht, sondern auch ihr Kind in seine üble Rechnung mit einbezogen zu haben. Der Verteidiger betonte die Geständigkeit seines Mandanten und dass er die Klägerin nie beleidigt oder angerührt habe.

Richterin Astrid Hagen erkannte auf sechs Monate Haft, ausgesetzt zur Bewährung für drei Jahre, sowie die Kosten des Verfahrens und der Nebenklage. Eine Geldauflage von 1 200 Euro kam hinzu. Das schon vorher ausgesprochene Annäherungsverbot bleibt in Kraft. Der Angeklagte habe mit seinem Verhalten, sagte die Richterin in der Urteilsbegründung, das Leben der Klägerin komplett auf den Kopf gestellt. Der Mann gelobte Besserung. „Wenn es künftig wieder zu einer Begegnung kommen sollte“, sagte er, „dann wirklich rein zufällig.“ Warum er die Frau sechs Jahre lang nicht in Ruhe gelassen hat, darüber verlor er nicht ein Wort.