Serie über Migrantenvereine – Wo Muslime zum Gebet zusammenkommen (1)
Der Ruf des Muezzins

Menschen aus 110 Nationen haben in Kirchheim eine neue Heimat gefunden. Wie schaffen sie den Spagat zwischen alter und neuer Heimat? Wo pflegen sie ihre Traditionen, wo verrichten sie ihr Gebet? Diesen Fragen geht der Teckbote in einer neuen Serie nach. Der erste Artikel widmet sich den vier Moscheen in Kirchheim und Umgebung.

Kirchheim/Dettingen. Der Ruf des Muezzins erfüllt den Raum: „Allahu akbar“ („Gott ist größer“). Auf dem bunten Teppich des großen Gebetsraums in der Sultanahmet-Moschee kauern Männer aus unterschiedlichen Kulturen und Generationen – manche in Sakkos, andere in Kapuzenpullis. Sie alle warten auf den Beginn des Freitagsgebets. Die Männer sind unter sich, die Frauen beten in einem Raum im Erdgeschoss. „Allahu akbar“. Der Gebetsruf ist auf Arabisch, er ist überall auf der Welt gleich. Die Männer verneigen sich in Richtung Mekka.

Die Sultanahmet-Moschee in der Lohmühlegasse ist die größte Moschee in Kirchheim. Ihrer Namensgeberin, der prachtvollen Blauen Moschee in Istanbul, gleicht sie jedoch nicht. Die Sultanahmet-Moschee hat keine Kuppel und kein Minarett. Der Gebetsruf ist von au­ßen nicht zu hören. 310 Mitglieder zählt die Gemeinde, die als „Türkisch-islamischer Kulturverein“ organisiert ist. Frauen und Kinder werden in der Regel nicht als Mitglieder erfasst. Zählt man sie dazu, sind es etwa 900 Mitglieder, die die Moschee besuchen. Die meisten Gemeindemitglieder sind türkischstämmig, aber auch Pakistanis, Inder, Tunesier, Bosnier und Malaysier kommen zum Gebet. Die Sultanahmet-Moschee wird vom türkischen Staat anerkannt. Der Imam, der Vorbeter, Prediger und Koranlehrer in einem ist, wird aus der Türkei abgesandt. Alle fünf Jahre kommt ein neuer.

In der Sultanahmet-Moschee mögen sie ihren Imam. „Er ist sehr offen und liberal“, sagt Osman Erdin, stellvertretender Vorsitzender des Moschee-Vereins, über den Theologen. Allerdings spricht er nur ein paar Brocken deutsch. Dass er allein mit Türkisch nicht alle Gläubigen erreicht, weiß der Imam. „Es ist gut, wenn in ein paar Jahren die deutschsprachigen Absolventen aus Tübingen kommen“, sagt er in Anspielung auf den Studiengang, in dem in Tübingen, Münster und Osnabrück deutschsprachige Imame und Religionslehrer ausgebildet werden. Auch an türkischen Universitäten laufen ähnliche Studiengänge.

Yakub Kambir, der Vorsitzende der Sultanahmet-Moschee, steht der Idee ebenfalls offen gegenüber. Er weiß aber auch, dass das nicht alle tun. „An dieser Frage scheiden sich die Geister“, sagt er. „Ich persönlich gehöre zu denen, die sagen: Warum nicht?“ Spätestens die dritte Einwanderergeneration spreche besser deutsch als türkisch. Osman Erdin ergänzt: „Optimal wäre es, wenn einer beides kann.“ Die Predigten nur auf Deutsch zu halten, dafür sei es noch zu früh. Denn nach wie vor sprechen viele Gläubige, die aus der ersten Generation stammen, wenig deutsch.

1986 wurde die Moschee von türkischen Gastarbeitern gegründet, damals in der Jesinger Straße in einem angemieteten Gebäude. Doch die Gemeinde wollte Sicherheit, entschloss sich, ein Haus zu kaufen. In der Lohmühlegasse fanden sie ein ehemaliges Fabrikgebäude. Überhaupt einen Kredit zu bekommen, war nicht leicht, erzählt Yakub Kambir, dessen Vater zu den Gründern gehörte. „Die Gemeindemitglieder haben ihre Häuser als Sicherheit gegeben und große Opfer gebracht.“ Viele hätten weder richtig lesen noch schreiben können. Dennoch haben sie es geschafft: dank dieses Engagements ist die Gemeinde heute schuldenfrei.

In der Moschee hat mittlerweile die jüngere Generation das Ruder übernommen. Erstmals ist mit Kadriye Erdin eine Frau im Vorstand – eine junge Frau, die ihr Haar nicht bedeckt. Yakub Kambir, der Vorsitzende des Moschee-Vereins spricht makelloses Deutsch. Er ist in Deutschland geboren, viele seiner Vorstandskollegen sind es auch. „Es gab in der Gemeinde den Wunsch nach Erneuerung“, beschreibt Yakub Kambir die Stimmung vor der letzten Vorstandswahl. Kambir sprach eine Reihe von Freunden an, „die auch etwas besser gebildet sind“, und überredete sie, mit ihm zu kandidieren. Die Gemeinde sprach den Jungen das Vertrauen aus.

Natürlich ist die ältere Generation weiterhin im Vorstand vertreten. Aber die Jüngeren halten jetzt das Heft in der Hand. Yakub Kambir und seine Vorstandskollegen wollen sich noch stärker als bisher nach außen öffnen. Schritt für Schritt. Was nicht heißen soll, dass die Gemeinde sich bisher abgeschottet hätte. „Es gibt seit den 90er-Jahren einen christlich-islamischen Gesprächskreis“, sagt Yakub Kambir. Am „Tag der offenen Moschee“ hat die Gemeinde regelmäßig zu sich eingeladen. An Festtagen besuchen sich die christlichen und die islamischen Gemeinden wechselseitig.

Doch dem jungen Vorstand reicht das nicht. „Wir wollen unsere Gemeinde einbetten in die Gemeinschaft. Wir wollen fragen: Was können wir für die Gemeinschaft tun?“, beschreibt Yakub Kambir das große Ziel des Moschee-Vereins. Gemeinsam mit der Stadt und dem Integrationsausschuss überlegen die Vorstandsmitglieder deshalb, wie sie sich noch stärker einbringen können. Eine Blutspendeaktion in der Moschee ist bisher angedacht. Beim Stadtfest suchen Gemeindemitglieder den Dialog mit anderen Kirchheimern, „um aufzuklären und Spannungen abzubauen“. Gemeindemitglieder sollen sich mehr als bisher ehrenamtlich engagieren. Im Asylbewerberheim gibt es Muslime, die die Gemeinde unterstützen will.

Aber auch vor der eigenen Gemeinschaft macht der Reformeifer der Jungen keinen Halt. Eine Laufgruppe trifft sich einmal wöchentlich, um von der Moschee nach Lindorf und wieder zurück zu joggen. Ein Fußballturnier ist angedacht. An den Wochenenden soll es in der Moschee Nachhilfe geben. „Wir haben viele Ideen“, sagt Yakub Kambir.

Ortswechsel. In der Villastraße steht die Kirchheimer „Ur“-Moschee. Sie wurde 1975 von türkischen Gastarbeitern gegründet, die nicht länger jeden Freitag in die Moschee nach Stuttgart fahren wollten. 1979 kam es zur Spaltung: Eine Gruppe Gläubiger, die einen Islamwissenschaftler aus der Türkei als Vorbeter zugesandt haben wollte, trat aus der Gemeinschaft aus und gründete eine eigene Moschee – die Sultanahmet-Moschee, die heute in der Lohmühlegasse steht. Heute ist die Moschee in der Villastraße mit 70  Mitgliedern die weitaus kleinere Gemeinde. 90 Prozent der Gemeindemitglieder sind türkischstämmig. Aber auch Araber, Kosovaren und Bosnier besuchen das Gebet.

Fikret Yumak ist der Vorsitzende des „Kulturellen Bildungs- und Integrationsvereins“, der die Moschee trägt. Auch hier haben die Jüngeren das Ruder übernommen. Sein Vater, Ahmet Yumak, gehörte zu den Gründern der Moschee in der Villastraße. Sie liegt Wand an Wand mit dem Christusbund und relativ zentral in der Kirchheimer Innenstadt. Fikret Yumak ist darüber froh. „Oft werden den Moscheen Randplätze zugewiesen. Das erschwert die Integration“, sagt er.

In der Moschee gibt es einen Gebetsraum für Männer und einen für Frauen. Einmal im Jahr richtet die Gemeinde ein Nachbarschaftsfest aus, beteiligt sich am Haft- ond Hokafescht. Ein Schwerpunkt des „Bildungs- und Integrationsvereins“ ist die Mädchenarbeit. Im zweiten und dritten Stock des Gebäudes ist ein Internat untergebracht, in dem muslimische Mädchen leben. Sie stammen aus Elternhäusern, in denen die Eltern entweder beide arbeiten oder aus anderen Gründen nicht in der Lage sind, ihre Töchter so zu fördern, dass sie einen erfolgreichen Schulabschluss machen können. Zusätzlich erhalten die Mädchen Religionsunterricht.

Die dritte Moschee befindet sich in der Dettinger Ortsmitte. Jeden Freitagnachmittag versammeln sich Bosnier, Serben und Montenegriner dort zum Freitagsgebet. Im Erdgeschoss verkauft eine Imbissbude Cevapcici, Hähnchenspieße und Döner. Freitags zwischen 14.30 und 15.30 Uhr, wenn der Muezzin zum Gebet ruft, ist der Imbiss geschlossen.

Das Einzugsgebiet der kleinen Moschee ist relativ groß. Die meisten Mitglieder kommen zwar aus Kirchheim und dem Lenninger Tal, aber auch Plochinger und Esslinger kommen zum Gebet nach Dettingen. „Das liegt daran, dass die nächsten bosnischen Moscheen in Stuttgart und Reutlingen sind“, erklärt Bejamil Mojala, der Sekretär der „Islamischen Gemeinschaft Kirchheim/Lennin­gen“. 190 Mitglieder zählt die Gemeinde, dahinter stehen jedoch weit mehr Menschen, weil in der Regel nur die Familienväter Mitglied sind.

Die Moschee wurde 1993 von Bosniern, die aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland gekommen waren, gegründet. Der Vorbeter Paso Fetic kommt ebenfalls aus Bosnien, lebt aber mit seiner Familie seit 15 Jahren in Deutschland. Das Freitagsgebet wird auf Bosnisch und Arabisch abgehalten. Bejamil Mojala sagt, dass sich das irgendwann ändern muss. Seine Tochter spricht besser deutsch als bosnisch, den meisten Jüngeren geht es so. Allerdings passieren Veränderungen nicht von heute auf morgen. „Die Älteren wollen immer das Alte behalten. Aber wir finden es wichtig, dass auch auf Deutsch gepredigt wird“, sagt Mojala.

In der Moschee in Dettingen wird jedoch nicht nur gebetet. Das Haus dient auch der Pflege der bosnischen Kultur. Ein Chor gehört zur Islamischen Gemeinschaft ebenso wie eine Folkloregruppe, ein Frauentreff und – noch relativ neu – ein Jugendtreff. Zu den anderen Moscheen unterhält man freundschaftliche Beziehungen. „Wenn unser Vorbeter verhindert ist, gehen unsere Mitglieder zum Gebet in die türkischen Moscheen“, erzählt Bejamil Mojala.

Die vierte Moschee ist zugleich die kleinste. Sie wurde von Albanern gegründet, die aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Kirchheim gekommen sind. In dem Gebetsraum in der Heinkelstraße in Kirchheim finden unregelmäßig Freitagsgebete statt.