Kirchheim. Die Kirchheimer Tamilen haben sich das Paradies in ihren Tempel geholt. Eine gemalte Lagune, Schwäne und exotische Früchte bedecken die karge Betonwand des Raums im Riethmüller-Areal, der den Hindus aus Sri Lanka als Gebetsstätte dient. Auf dem Boden liegen bunte Bastmatten, darauf kauern Frauen in Saris. In der Luft liegt der Geruch von Curry und Zimt. Gleich beginnt die Puja, die Verehrung der Götter.
Die Tamilen, die in Kirchheim und Umgebung leben, stammen aus Sri Lanka. Während des Bürgerkriegs, der 1983 zwischen dem sri-lankischen Militär und tamilischen Separatisten entflammte, suchten sie in Deutschland Asyl. Viele Tamilen der ersten Generation sind hier heimisch geworden. Sie haben ihre Kinder in Kirchheim großgezogen, haben Deutsch gelernt, eine Arbeit gesucht. Einige engagieren sich im Integrationsausschuss der Stadt. Doch die Sehnsucht nach Sri Lanka bleibt. „Der
Die Kirchheimerin, die an der Universität Stuttgart Informatik studiert, führt immer wieder Neugierige durch den Tempel. Im Frühjahr 2010 haben die Tamilen ihn eröffnet, vorher mussten sie mit einem beengten Raum in der Paradiesstraße vorlieb nehmen.
Im Hinduismus ist jeder Tempel einem Gott oder einer Göttin geweiht. In Kirchheim ist das Amman, die Frau Shivas, des wichtigsten Gottes im Hinduismus. Ihr gehört der Hauptschrein in der Mitte des Raums. Die anderen Götter sind Ganesha, der bekannte Gott mit dem Elefantenkopf, Murugu, der Sohn Shivas, und Vairavar, der Beschützer Ammans. Jeder Gott hat seinen eigenen, feierlich geschmückten Altar.
Seitdem hat sich einiges geändert. Beispielsweise ziehen nun ein Mal im Jahr die Tamilen in einer farbenfrohen Prozession durch Kirchheim. Vorbild ist der große Umzug europäischer Tamilen in Hamm, der einmal jährlich abgehalten wird. Der Verein hat aber noch mehr Pläne: Wenn es nach ihm geht, soll im Kirchheimer Industriegebiet Kruichling ein großer Hindu-Tempel im traditionellen südindischen Stil, ähnlich dem Tempel in Hamm, entstehen. Gespräche mit der Stadt hat der Verein bereits geführt, eine Entscheidung steht aber noch aus.
Eine feste Gemeinde gibt es im Tempel nicht. Im Hinduismus ist die Teilnahme an der Götterverehrung auch keine religiöse Pflicht, anders als beispielsweise die Teilnahme am Freitagsgebet im Islam. Vethiga Srikanthan geht nicht jede Woche zur Puja. „Ich habe zu Hause einen Gebetstisch, an dem ich für mich bete“, sagt sie. Auch die vielen Fastenzeiten, die es im Hinduismus gibt, hält sie nicht alle ein. Zurzeit fasteten beispielsweise Verheiratete, in der Hoffnung, dass ihnen die Götter ein gutes Eheleben schenken, erzählt die junge Frau. Andere fasten, um Unheil abzuwenden, das ihnen durch ihr Horoskop prophezeit worden ist. Allerdings sind auch diese Fastenzeiten keine Pflicht für gläubige Hindus. Vethiga Srikanthan hat eine individuelle Lösung gefunden. „Ich esse beispielsweise freitags nur vegetarisch“, sagt sie. Strenges Fasten ist für die junge Studentin mit einem modernen Leben ohnehin nicht vereinbar. „Ich kenne ein Mädchen, das während der Fastenzeit in der Schule umgekippt ist“, sagt sie. Man müsse also schon ein bisschen aufpassen.
„Ich kann von mir nicht behaupten, dass ich eine hundertprozentige Hindu bin“, sagt Vethiga Srikanthan über sich. Die Religion sei sehr komplex und lasse sich in der heutigen Zeit gar nicht mehr so ohne Weiteres leben. „Viele kennen die Zeremonien gar nicht mehr, weil sie nicht mehr von den Eltern oder Großeltern weitergegeben werden“, sagt Vethiga Srikanthan. Auch die Zahl der jüngeren Tamilen, die ihre Muttersprache nicht beherrschen, steigt. Vethiga Srikanthan, die sonntags in der Tamilischen Schule die Sprache unterrichtet, findet das schade. „Ich fürchte, dass die Tradition auf diese Weise immer mehr ausstirbt“, sagt sie.