„Der arme Poet“: Die Theaterspinnerei gastiert im Sommer mit einem abendlichen Theaterspaziergang in der Nürtinger Altstadt
Dichterschatten geistert durch die Stadt

Nürtingen. Die Hölderlinstadt ist, wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat, ein gutes Pflaster für Theaterspaziergänge. Gern erinnert man


sich noch an den Hölderlin-Spaziergang, mit dem das Theater Lindenhof aus Melchingen im Jahr 2002 die Nürtinger Altstadt bespielte und damit einen Riesenerfolg hatte. Die Theaterspinnerei im Frickenhäuser Bahnhof knüpft im Kern an diese Idee an, geht bei der Umsetzung aber weit über einen Theaterspaziergang im üblichen Sinne hinaus und dringt mit einem groß angelegten multimedialen Projektionskonzept optisch und atmosphärisch in neue Präsentationsdimensionen vor. Premiere von „Der arme Poet“ – so der Titel des Stücks – ist am 31. Mai. Der Kartenvorverkauf ist gestartet.

Auch in dieser Theaterproduktion geht es um die Dichtkunst, wenn auch nicht vordergründig um Hölderlin. Die Theaterspinnerei hat sich des vielschichtigen Themas auf ihre Weise angenommen und wieder eine überaus fantasievolle Geschichte ersonnen. Und die geht in groben Zügen so: Eine Stadtführerin lädt ein zu einer abendlichen Stadtführung un­ter dem Motto: „Nürtingen – Dichterstadt zur blauen Stunde“. Dies ruft behördliche Kontrollinstanzen auf den Plan: Ein staatlich geprüfter Poesieprüfer soll herausfinden, ob Nürtingen überhaupt befugt ist, sich mit der Bezeichnung „Dichterstadt am Neckar“ zu schmücken. Für Verwicklungen sorgt prompt das plötzliche Auftauchen eines schiffbrüchigen und wohnsitzlosen Dichtergeistes auf dem Neckar, dem sein inspirierender Dichterschatten abhandengekommen ist. Die Darsteller und mit ihnen die Zuschauer, folgen dem entlaufenen Dichterschatten durch die Nürtinger Altstadt.

Typisch für alle Produktionen der Theaterspinnerei ist der penibel ausgetüftelte Einsatz von multimedialer Technik. Die in die Spielszenen hi­neinprojizierten Filmsequenzen ermöglichen spektakuläre visuelle Effekte und bescheren dem Zuschauer verblüffende traumartige Sinneseindrücke. Bei „Der arme Poet“ wird das nicht anders sein. Bemerkenswert ist dabei allerdings die Größe der Projektionsflächen: Unter anderem werden Filmsequenzen auf den Turm der Stadtkirche, die Lateinschule, das Rathaus und die Häuser am Marktplatz projiziert.

Natürlich wird bei diesem Theaterspaziergang auch Theater gespielt. Mehrere Spielszenen sind entlang der rund einen Kilometer langen Strecke – Start ist immer um 21 Uhr am Stadtmuseum, Ende am Marktplatz – vorgesehen. Es treten auf: Marilena Pinetti als Stadtführerin, Jens Nüßle als armer Poet und der Poesieprüfer (dessen Besetzung noch offen ist). Gespielt wird bei jedem Wetter.

Bemerkenswert an diesem Theaterprojekt ist neben der originellen Idee und dem spektakulären Einsatz von Projektionstechnik das Drumherum. Zunächst die Tatsache, dass das Landesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst das Vorhaben mit 45 000 Euro aus seinem Innovationsfonds fördert. Die Theaterspinnerei hat sich, nachdem sie zuvor bei Nürtingens Oberbürgermeister Otmar Heirich die grundsätzliche Machbarkeit des Projekts im öffentlichen Raum abgeklärt hatte, im August letzten Jahres mit einem Exposé des Vorhabens beim Ministerium für Mittel aus dem Fonds beworben – und bekam den Zuschlag. „Wir machen hier tatsächlich etwas völlig Innovatives“, schwärmt Theaterspinner Jens Nüßle. „Für Nürtingen ist es eine Riesenchance, so ein Projekt zu bekommen, das vom Land gefördert wird.“ Auch die Stadt unterstützt das Vorhaben – zum einen durch logistische Hilfeleistungen, zum anderen durch einen Zuschuss von 6 000 Euro. Nüßle konnte noch weitere Sponsoren für das Vorhaben begeistern, unter anderem das Haus Senner Medien.

Gleichwohl wäre das Vorhaben technisch nicht machbar, wenn nicht das Unternehmen Digital Projection aus Manchester der Theaterspinnerei acht nagelneue Großprojektoren kostenlos zur Verfügung stellen würde. Die Firma war in einer international erscheinenden Fachzeitschrift für Bühnentechnik auf die jüngste multimediale Theaterspinnerei-Produktion „Die Kleider der Kaiserin“ aufmerksam geworden und war davon so angetan, dass sie mit den Theaterspinnern Kontakt aufnahm. Bedient werden die Geräte natürlich von der Theaterspinnerei.

Auf die Mauern der Altstadt projiziert werden zum einen Spielszenen, zum anderen – auch das laut Nüßle ein innovatives Element – Interviews, die vorab mit Passanten geführt und aufgezeichnet wurden. Darin soll es, so Stephan Hänlein, Technischer Leiter bei der Theaterspinnerei und The­aterautor, unter anderem um die Frage „Was macht es aus, in Nürtingen zu sein?“ und den Umgang mit der Stadtgeschichte gehen. Das mobile Filmstudio der Theaterspinnerei wird also in der nächsten Zeit gelegentlich in der Nürtinger Fußgängerzone auftauchen und um Mitwirkung bitten.

Nicht zu unterschätzen ist bei ei­ner Produktion dieser Größe der organisatorische Aufwand. Im Stadtbild müssen zum Beispiel die wetterfesten Container mit den Projektoren für die Dauer der Spielzeit stationär untergebracht werden. Bärbel Igel-Goll von der Stadtverwaltung hat überdies die Bewohner der Innenstadt abgefragt und das Okay für die Projektionen auf ihre Hausfassaden eingeholt. Gesucht werden zudem Helfer, die während der Vorstellungen Ordnungsdienste übernehmen.

Premiere von „Der arme Poet“ ist am 31. Mai. Gespielt wird am 1., 2., 14., 15., 16., 21., 22., 23., 28., 29. und 30. Juni und am 5., 6. und 7. Juli, immer ab 21  Uhr. Karten gibt es bei der Theaterspinnerei unter der Telefonnummer 0 70 22/2 43 56 00 oder per E-Mail an kartenbestellung@theaterspinnerei.de.