Manchmal liegt in einer einzigen Szene mehr Symbolik, als ein ganzes Spiel zu beschreiben vermag. Der stibitzte Ball von Kyle Leufroy, der anschließende Fastbreak, der nur durch ein unsportliches Foul zu bremsen war - die ersten zehn Sekunden im Spiel am Samstag gegen die Artland Dragons dienten dem Gegner als klarer Hinweis darauf, wo der sprichwörtliche Barthel den Most holt. Auch wenn US-Boy Leufroy dies vermutlich anders formuliert hätte, das Signal war kaum misszuverstehen: Wir sind hier diejenigen, die die Schlagzahl bestimmen.
Die Ritter aus Kirchheim haben die Lanzen geschärft, haben gelernt, wieder Stachel zu sein im Fleisch des Gegners, und sind deshalb seit vier Spieltagen ungeschlagen. Einem Verfechter kompromissloser Galligkeit wie Trainer Igor Perovic, der am liebsten jedem Gegner bei 70 Punkten den Stecker ziehen würde, verschafft das Genugtuung. Geschäftsführer Chris Schmidt redet vom Mantra, an dem man eisern festhalten wolle: Eine aggressive Verteidigung ist und bleibt das, was zählt. Lange war das nicht so, und wollten die Knights nun auch den letzten Zweifler überzeugen, dann war die Gelegenheit dazu nie günstiger als am morgigen Abend.
Der Vergleich mit Tabellenführer Rostock, der um 17 Uhr in der Sporthalle Stadtmitte antritt, lädt ein, Parallelen zum Fußball zu ziehen. Nicht nur, weil Rostocks Trainer Dirk Bauermann dereinst die Münchner Basketballer coachte. Die Ansprüche beider Klubs liegen im Moment etwa so weit auseinander wie Ostseestrand und Schwäbische Alb. Die Hansestädter drängen mit Macht in die erste Liga, verfügen über den mutmaßlich teuersten Kader in der Pro A und wurden mit staatlicher Hilfe zuletzt so sanft durch die Krise geschaukelt, dass vom Lack kaum etwas abgeblättert ist. Mehr als 700 000 Euro Corona-Hilfe aus der mecklenburg-vorpommerschen Landes-Schatulle war im Frühsommer auch überregional eine Schlagzeile wert. Das ist immerhin mehr als den Kirchheimern als Gesamtetat zur Verfügung steht. Als Ersatz für fehlende Zuschauereinnahmen, denn schließlich lockt die Rostocker Halle mit 4400 Sitzplätzen - Gartenstühle, wie sie in Kirchheim untergeschoben werden, nicht mitgezählt.
Chris Carter, Brad Loesing, Till Gloger, Jarelle Reischel, Sid-Marlon Theis oder Michael Jost - das sind Namen, die im deutschen Basketball jeder kennt. Dazu kommen Neu-Importe wie der lettische Center Ronalds Zakis, sein US-Pendant Keith Wright oder der erst 18-jährige serbische Auswahlspieler Filip Skobalj, auf den Igor Perovic große Stücke hält. Spricht man in Kirchheim in diesem Jahr von einem tiefen Kader, dann ist der Rostocker tiefer. Und noch etwas haben die Seewölfe, was Kirchheim nicht hat: einen waschechten Kirchheimer in ihren Reihen. Stefan Ilzhöfer dürfte das Gastspiel in seiner Heimatstadt mit einem kurzen Elternbesuch verbinden. Unter normalen Bedingungen genügt dafür die Halle. Vater und Mutter gehören zum festen Helferstamm der Knights.