Kirchheim. Die Kirchheimer Klosterchronik der Magdalena Kremerin hat nicht nur die Fachleute des interdisziplinären Dialogs in Kirchheim – Historiker, Theologen, Germanisten und Kunsthistoriker – zwei
Andreas Volz
Tage lang beschäftigt, sondern auch zahlreiche historisch interessierte Kirchheimer. Einer der Höhepunkte der Tagung war der öffentliche Abendvortrag, den Professor Dr. Sigrid Hirbodian, die Direktorin des Instituts für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen, im Rahmen der Reihe „Geschichte vor Ort“ im Spitalkeller der Volkshochschule hielt. Ihr Thema lautete „Gefahr, Entbehrung und Rettung aus höchster Not: Die Reform des Kirchheimer Dominikanerinnenklosters im 15. Jahrhundert aus der Sicht der Magdalena Kremerin“.
Der Titel des Vortrags mag aufregend klingen, aber das, was die Chronik berichtet, ist nicht weniger aufregend. Für Sigrid Hirbodian handelt es sich um eine „außerordentlich gut und spannend erzählte Geschichte“, die zudem aus der Erlebnisperspektive einer Betroffenen geschildert werde und die Einblicke in das Innenleben eines Dominikanerinnenklosters im 15. Jahrhundert gewähre.
Folgendermaßen beschrieb Sigrid Hirbodian den Begriff der „Observanz“, der eine große Rolle spielt bei der Klosterreform, zu der es 1478 in Kirchheim kam: Es ging dabei um eine strengere Einhaltung der Ordensregeln. Die Schwestern der reformierten Klöster verschlossen sich nahezu vollständig vor der Welt außerhalb der Klostermauern. Selbst mit den eigenen Verwandten waren Gespräche nur über ein Redefenster möglich, das mit Tüchern oder gar Blechen versehen war. So war kein Blickkontakt möglich, und auch ein vertrauliches Flüstern wurde unterbunden – dadurch, dass diese Bleche mit einer Art Dornen gespickt waren.
Ein weiteres Augenmerk der Observanz bestand im strengen Einhalten der Speisevorschriften. Fleisch durfte eigentlich nie auf den Tisch kommen. Sigrid Hirbodian erwähnte zwei Ausnahmen, die in der Chronik der Magdalena Kremerin zu finden sind: Einmal muss es demnach der Laienschwester Fides gelungen sein, während der Belagerung Schweine auf das Klosterareal zu locken. Die ausgehungerten Nonnen machten sich nun aber nicht etwa über diese willkommene Speise her, sondern nutzten lediglich das Schmalz zum Kochen, während sie das Fleisch selbst nur den „Alten und Blöden“ gaben. „Blöde“ bedeutet nichts anderes als „Kranke“. Fastenvorschriften galten also auch im observanten Kirchheimer Frauenkloster nicht für diejenigen, die durch Alter oder Krankheit geschwächt waren.
Die andere Ausnahme bezieht sich auf die Befreiung des Klosters im Februar 1488, nach der letzten von insgesamt drei Belagerungen: Nachdem Truppen Graf Eberhards im Bart das Kloster entsetzt hatten, ordnete der Landesherr ein gemeinsames Festessen an. „Wir mussten alle Fleisch essen“, heißt es in der Klosterchronik sinngemäß. Erst wenn die Befreier abgezogen seien, „so könnten wir wieder fasten und geistlich sein, so viel wir wollen“.
Das „Geistlichsein“ war die Hauptaufgabe der Kirchheimer Nonnen. „Sie waren fast pausenlos mit Gebeten beschäftigt, aus Magdalena Kremers Sicht ist das ihre tatsächliche Bestimmung“, sagte Sigrid Hirbodian. Deshalb ist die Chronikschreiberin auch mehrfach empört über Anordnungen des eigentlichen Schutzherrn Eberhard des Jüngeren. So wünschte dieser, dass die Kirchheimer Nonnen ihm 20 Jagdhunde aufzögen, was keinesfalls der Bestimmung der Klosterfrauen entsprach und was für sie letztlich eine Zeitverschwendung darstellen musste.
Gleiches gilt für die detaillierte Rechnungslegung, die Eberhard der Jüngere 1486 für die Jahre seit der Reform des Klosters verlangt hatte. Erstens hielten die Nonnen diese Forderung für eine Einmischung in ihre internen Angelegenheiten, und zweitens stellt Magdalena Kremerin fest, dass die Mühe und die Zeit, die auf das Erstellen der Rechnung verwendet werden mussten, nur unnötig vom Gebet ablenkten.
Die Nonnen wenden sich hilfesuchend an Graf Eberhard im Bart, den Vetter Eberhards des Jüngeren, der sie schließlich aus ihrer Not befreit. Dramatisch geschildert ist die Szene, in der sich die Nonnen betend in den Chorraum ihrer Kirche flüchten und fürchten müssen, dass die Feinde bereits in das Kloster eingedrungen sind. Erst in der Kirche selbst können die bewaffneten Eindringlinge sich als Befreier ausgeben mit den Worten: „Wir sind alle von Stuttgart.“
Sigrid Hirbodian sieht in der Schilderung dieser dramatischen Ereignisse eine andere Intention als die bereits beschriebene Propagandafunktion für den von Gott ausersehenen Retter, als der Eberhard im Bart beschrieben wird. Für die Tübinger Professorin sollte die Chronik vielmehr „nachfolgenden Generationen vor Augen halten, mit welchen Opfern die Observanz im Kloster eingeführt wurde“. Der Text sollte demnach die späteren Nonnen dazu anhalten, auch weiterhin die strengen Regeln der Observanz zu befolgen. Möglicherweise wollte Magdalena Kremer in diesem Zusammenhang auch an die Ehre ihrer Geschlechtsgenossinnen appellieren, wenn sie schreibt, dass Männer in einem Kloster wohl nicht so lange ausgeharrt und gelitten hätten wie die bedrängten Kirchheimer Klosterfrauen.
Sigrid Hirbodian ging auch noch auf die engen Verbindungen der Dominikanerinnenklöster untereinander ein, im gesamten Gebiet zwischen Worms und Speyer im Norden und Basel im Süden sowie zwischen dem Elsass im Westen und Nürnberg im Osten. Auch der Austausch von Bildung war dabei selbstverständlich: Als nämlich Magdalena Kremerin mit sechs anderen Schwestern aus dem Reformkloster Silo oder „Syl“ bei Schlettstadt im Elsass auf dem gemeinsamen Weg nach Kirchheim Station in Pforzheim macht, gibt sie zwei dortigen Schwestern zwei Tage lang Unterricht. Geeignet als Lehrerin war sie allemal, denn – so heißt es in der Chronik – sie „konde wol textur schreiben und ouch molen“. Letzteres bezieht sich auf ihre Tätigkeit als Buchmalerin.
Auch wenn Magdalena Kremerin – den süddeutschen Gepflogenheiten entsprechend – deutsch geschrieben hat, stehe sie im Bildungsniveau anderen, insbesondere norddeutschen Klosterfrauen in nichts nach, meint Sigrid Hirbodian. Nichts spreche für fehlende lateinische Bildung. Es handle sich bei der Klosterchronik vielmehr um ein faszinierendes Werk, ja sogar um „ein einzigartiges Werk einer einzigartigen Frau“.