Der frühere Zahnarzt und Hobbyflieger Helmut Hammberger aus Kirchheim wird morgen 90 Jahre alt
Die Flucht des Dentisten aus der Kriegsgefangenschaft

Kirchheim. Am morgigen Mittwoch feiert der Kirchheimer Helmut Hammberger seinen 90. Geburtstag. 


Vor genau drei Wochen ist im Teck­boten bereits ein größerer Artikel über ihn erschienen. Dabei ging es um die Erinnerungen, die er an das Schicksal seines Vaters Christian im Ersten Weltkrieg hat. Am Rande war dabei auch von seinen eigenen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg die Rede und von der Flucht aus der Kriegsgefangenschaft. Dabei hieß es, das sei „eigentlich eine andere Geschichte“. Nun also soll diese Fluchtgeschichte im „Geburtstagsartikel“ erzählt werden.

Zur Vorgeschichte gehört, dass Helmut Hammberger 1939 als 15-Jähriger beim Kirchheimer Dentisten Richard Ladwig eine Ausbildung zum Zahntechniker und späteren Dentisten begonnen hatte. Damals gab es noch den Dualismus zwischen den eher praktisch ausgebildeten Dentisten und den Zahnärzten, die studiert hatten, erzählt der 90-Jährige.

Zahnarzt war nicht sein Traumberuf: „Ich wollte Pilot werden.“  Von der Fliegerei war er immer schon fasziniert, und sie hat ihm möglicherweise sogar das Leben gerettet: Weil Helmut Hammberger seit Dezember 1942 als Soldat im Zweiten Weltkrieg viel Zeit in der Fliegerausbildung verbracht hat, war ihm der gefährliche Fronteinsatz fast gänzlich erspart geblieben.

Der 20. April 1945 war der Tag, an dem für Helmut Hammberger der Zweite  Weltkrieg zu Ende ging: Südlich von Nürnberg geriet er in Kriegsgefangenschaft und kam in ein amerikanisches Lager bei Laon im Norden Frankreichs. Ein halbes Jahr später dachten er und etliche Mitgefangene, dass es endlich in die Heimat gehe. Stattdessen führte der Gefangenentransport aber in ein französisches Lager bei Bitche in Lothringen.

Auch in diesem Lager behandelte Helmut Hammberger seine Landsleute zahnärztlich – in einfachen Fällen. Ansonsten begleitete er sie in die Stadt, in die Praxis von französischen Kollegen. Diese haben ihn auch mit Arbeitsmaterial und mit Büchern versorgt. Als bei ihm ein Fachbuch entdeckt wurde, das den notwendigen Zensurstempel nicht aufwies, kam er im Lager in den „Bunker“. Vielleicht hat diese Erfahrung zusätzlich den Gedanken an Flucht aufkommen lassen – abgesehen von der Sehnsucht nach der Heimat und nach dem Ende der Gefangenschaft.

Am 1. Juli 1947 setzte sich Helmut Hammberger gemeinsam mit einem Mitgefangenen von der Arbeit in der Nähe des Stausees bei Haspelschiedt ab und schlug sich zur nahegelegenen Grenze nach Deutschland durch. Zu Fuß gelangten sie innerhalb weniger Tage an den Rhein bei Germersheim. Sein Fluchtgefährte wurde dort in der Nacht von einer Patrouille französischer Besatzungssoldaten gefasst. Er kam zurück ins Lager nach Bitche und wurde erst 1948 entlassen.

Für Helmut Hammberger dagegen ging die Flucht weiter: Ein Schiffer setzte ihn nachts über den Rhein. Anderntags bestieg er in Linkenheim einen Zug, und nach mehrmaligem Umsteigen kam er wohlbehalten per Bahn in Kirchheim an – eine Woche nach Beginn der Flucht. 64 Jahre später hat er noch einmal Bitche und Haspelschiedt aufgesucht und ist dort von alten Bekannten erkannt und freudig bewirtet worden.

In Kirchheim führte er seine Berufslaufbahn fort, ab 1952 schließlich in der eigenen Praxis in der Paradiesstraße. 1987 setzte er sich zur Ruhe.

In seiner Freizeit war er in der Fliegergruppe Wolf Hirth engagiert. Die aktive Fliegerei musste er vor rund 20 Jahren aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Sein Herz gehört aber nach wie vor dem Luftsport: Stolz ist er auf das „Internationale Segelflieger-Leistungsabzeichen in Gold mit drei Diamanten“, das er 1982 erhielt. Für jeden der Diamanten war eine besondere fliegerische Leistung erforderlich. Nicht dazugehörig, aber ebenfalls 1982 erreicht, war eine Flughöhe von 9 000 Metern. Auch darauf verweist Helmut Hammberger mit einem gewissen Stolz.

Den runden Geburtstag feiert er am Wochenende natürlich mit Fliegerkameraden, aber auch im Kreis der Familie: Seine drei Kinder und fünf Enkelkinder reisen allesamt an. Seit 1953 ist Helmut Hammberger verheiratet. Seine Frau Eleonore ist allerdings seit fünf Jahren pflegebedürftig. Auch seiner neun Jahre jüngeren Schwester geht es gesundheitlich nicht so gut, dass sie die Reise von Hamburg nach Kirchheim auf sich nehmen könnte. Deshalb sagt der rüstige 90-Jährige: „Dann muss ich sie halt demnächst mal besuchen.“