Pflege-Serie: Der Teckbote stellt die gesetzliche Betreuerin Rieke Müller vor
Die „Fremden“, die vieles entscheiden

Viele Menschen haben Angst vor ihnen. Denn die „Fremden“ kommen plötzlich in ihr Leben und können von heute auf morgen vieles entscheiden – sehr vieles. Die „Fremden“, das sind die gesetzlichen Betreuer.

Kirchheim. Rieke Müller aus Schlierbach ist eine dieser „Fremden“. Die 31-Jährige kümmert sich seit sieben Jahren um Senioren und kranke oder behinderte Menschen aus dem Großraum Kirchheim in allen rechtlichen Angelegenheiten. Sie spricht zum Beispiel mit Ärzten über notwendige Behandlungen oder Rehabilitationsmaßnahmen, verhandelt mit Banken über eine sinnvolle Verwaltung und Anlage von Vermögen, vertritt die Interessen des Betreuten bei Behörden und entscheidet darüber, welcher Aufenthaltsort der geeignete ist: die eigene Wohnung, ein Pflegeheim oder auch eine Klinik. Bei alledem „ist der Wunsch der Person ganz wichtig“, betont Rieke Müller. Sie versuche stets, zusammen mit dem Betreuten und oft auch mit den Angehörigen Entscheidungen zu treffen. Über den Kopf der Betroffenen hinweg werde nichts entschieden, ergänzt sie.

Grundsätzlich kommt ein gesetzlicher Betreuer immer dann zum Einsatz, wenn ein älterer, behinderter oder kranker Mensch eine rechtliche Betreuung benötigt, er aber keine Vorsorgevollmacht erteilt hat, keine Angehörigen hat oder diese aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage sind, diese Aufgabe zu übernehmen. In diesen Fällen wird vom zuständigen Betreuungsgericht ein gesetzlicher Betreuer bestellt.

Momentan betreut Rieke Müller, die Sozialpädagogik studiert hat, drei Frauen um die 80, drei Männer Anfang und Mitte 20 mit Behinderung oder psychischen Problemen sowie einen Mann Mitte 40 mit neurologischer Erkrankung. Sie ist beim Verein für Betreuungen mit Hauptsitz in Esslingen und Geschäftsstelle in Kirchheim angestellt. Neben ihr arbeitet noch eine weitere gesetzliche Betreuerin in Kirchheim, fünf sind in Esslingen tätig.

Wenn die junge Frau zum ersten Mal in das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen tritt, wird sie des Öfteren mit Misstrauen und Skepsis konfrontiert. „Diese Hürde kann man aber relativ schnell nehmen, indem man den Personen erklärt, dass man für sie da ist und sie unterstützt“, betont Rieke Müller. „Der erste Kontakt ist sehr wichtig. Dafür nehme ich mir viel Zeit, um im Gespräch Vertrauen aufzubauen.“ Oft seien die Menschen dann froh und dankbar dafür, „dass man vieles für sie regelt“.

Das bestätigt Bernd Seifriz-Geiger, Geschäftsführer des Vereins für Betreuungen: „Sie erleben unsere Hilfe oft als Erleichterung, weil sie zuvor überfordert waren.“ Er betont, dass die gesetzlichen Betreuer die Menschen nicht bevormunden und entrechten, „sondern wir ,berechten‘ sie – wir unterstützen sie also dabei, ihre Rechte wahrzunehmen“. Seine Mitarbeiter und er würden sich stets dafür einsetzen, dass die Betroffenen so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden leben können.

Wie lange Rieke Müller und ihre Kollegen eine Person rechtlich betreuen, ist unterschiedlich. „Bei älteren Menschen meistens bis zum Lebensende, bei jüngeren in der Regel sieben Jahre“, sagt die Schlierbacherin.

Rieke Müller hat sich zu Beginn ihrer Tätigkeit als gesetzliche Betreuerin schon etwas schwergetan, räumt sie ein: „Man trägt eine große Verantwortung.“ Mittlerweile hat sich die junge Frau, die sich im Betreuungsrecht fortbilden ließ und im Verein jederzeit die Möglichkeit zur Supervision hat, aber daran gewöhnt, auch mit negativen Erlebnissen umzugehen – zum Beispiel mit Vorwürfen der Angehörigen.

Immer wieder gebe es Fälle, bei denen entschieden werden müsse, den Betreuten im Heim unterzubringen und den Haushalt aufzulösen. Dann werden auch Immobilien verkauft, deren Wert von einem Makler oder freien Gutachter geschätzt werde. Das Geld fließe auf das Konto des Betroffenen und werde unter anderem für den Heimplatz verwendet, ergänzt Seifriz-Geiger. „Der Immobilienwert wird dann nochmals vom Gericht überprüft.“ Jeder größere Eingriff wie eine Haushaltsauflösung oder eine Klinikeinweisung müsse der gesetzliche Betreuer beim Betreuungsgericht beantragen, ergänzt der Vereinsgeschäftsführer. Ein neutraler Verfahrenspfleger prüfe dann, ob die Entscheidung die richtige ist.

Darüber hinaus müssen die gesetzlichen Betreuer jährlich beim Betreuungsgericht Rechenschaft über ihre Arbeit ablegen, informiert Rieke Müller weiter. „Wir stellen in einem Bericht unter anderem detailliert dar, was mit dem Geld des Betreuten passiert ist“, erzählt Rieke Müller. „Jeder Cent wird belegt“, betont Seifriz-Geiger.

Bis 1992 habe es die Kontrollen durch das Betreuungsgericht in diesem Umfang nicht gegeben, sagt der Geschäftsführer. „Dann wurde das Betreuungsrecht eingeführt, um zu verhindern, dass die Menschen zum Beispiel gegen ihren Willen ins Heim kommen.“ Bis 1992 habe man den betreuten Personen jegliche Rechte genommen. „Heute haben sie grundsätzlich alle Rechte.“ Der gesetzliche Betreuer habe sie aber auch und versuche, diese im Sinne der Betroffenen wahrzunehmen.

Bernd Seifriz-Geiger bedauert, dass der Beruf des gesetzlichen Betreuers nicht an eine bestimmte Ausbildung gekoppelt ist. Grundsätzlich könne jeder diese Aufgabe übernehmen – ob ehrenamtlich, freiberuflich oder als „Vereinsbetreuer“. Der Verein für Betreuungen, der nur Mitarbeiter mit abgeschlossenem Studium einstellt, kämpfe dafür, dass sich dies ändert. „Denn diese sehr verantwortungsvolle Aufgabe erfordert viel Wissen in unterschiedlichen Bereichen.“