Kaum eine Zäsur im Fußball war tiefgreifender als jene, die sich im Sommer 1995 im weltweiten Fußball vollzog. Drei statt zwei Punkte pro Sieg: Die vom Weltverband Fifa in die einzelnen Länder transferierte Reform polarisierte und führte zu einem heftigen Meinungsstreit zwischen Fußball-Puritanern und Pragmatikern. Begründet wurde diese Revolution vor allem damit, Sieger stärker zu belohnen und die Offensivfreude der Mannschaften zu fördern.
Auch im Bezirk Neckar/Fils fremdelte der ein oder andere Kicker anfangs noch gewaltig mit der Neuerung. Dass die Vorbehalte ans neue Bewertungssystem über die Jahre deutlich abnahmen, hat ganz entscheidend mit jenen wundersamen Geschichten zu tun, die die Zeit schrieb. Die verrückteste Story in der Teckregion lieferte diesbezüglich der Kreisliga-A-Klub SV Nabern in der Saison 2017/2018 ab. „Ohne Drei-Punkte-Regel wären wir damals abgestiegen“, erinnert sich Axel Maier, Sportlicher Leiter des SVN. Kein Sieg, nur vier Punkte aus 14 Partien - die Naberner gingen als Schlusslicht demoralisiert in die Winterpause. Doch in der Regenerationsphase war nicht nur Wundenlecken angesagt, sondern das Besinnen auf die Rechnerei. Elf Siege mussten noch her.
„Die Drei-Punkte-Regel war schließlich definitiv ein Motivationsfaktor für die Mannschaft“, sagt der 54-Jährige, in der damaligen Rückrunde in Kombination mit Torwart Marcel Geismann Coach des Teams. Mit satten 35 Punkten fixierte der SV Nabern letztendlich doch noch hauchdünn den Klassenverbleib.
„Axel hat recht. Wenn es eng in der Tabelle wird oder man vermeintlich aussichtslos zurückliegt, kann man durch eine Serie erheblich Boden gutmachen“, meint auch Viktor Oster. Mitte der 90er-Jahre kickte der heute 47-Jährige in der Bezirksliga, unter anderem beim VfL Kirchheim II, TSV Jesingen und den SF Dettingen. Die Regel insgesamt betrachtet der aktuelle Trainer der SG Ohmden/Holzmaden jedoch auch nach 25 Jahren mit einem Hauch von Distanz. „Für mich hat sich nämlich die grundsätzliche Herangehensweise an ein Spiel nicht geändert, weil ich immer gewinnen möchte“, sagt der 47-Jährige.
War womöglich ein Ziel der Reform, die Zahl der langweiligen Unentschieden zu reduzieren? Nach Oster ist dies jedenfalls „nur zum Teil gelungen“. Attraktiver seien manche Remis-Matches allerdings schon geworden. Im Bezirk Neckar/Fils pendelt die Zahl der Unentschieden seit Jahrzehnten um den Wert von 20 Prozent.
Teams gehen mehr Risiko ein
Cesare D‘Agostino erlebte die Reform einst 60 Kilometer südöstlich von Florenz als Linksverteidiger des Drittligisten US Arezzo. „Mir kam die Drei-Punkte-Regel entgegen, weil ich immer offensiv ausgerichtet war und somit durch gute Vorlagen zu drei Punkten statt zwei Punkten beitragen konnte“, rekapituliert der Trainer des TSV Schlierbach. Die weltweite Übernahme der Drei-Punkte-Regel sei der richtige Schritt gewesen, zumal England - das Mutterland des Fußballs - in der Saison 1981/82 in Eigenregie die neue Wertung bereits eingeführt hatte. „So herrschten international endlich gleiche Regeln“, betont D‘Agostino.
„Wie es bei uns Schwaben eben anfangs manchmal ist, war ich 1995 gegen die Reform“, denkt derweil Dieter Hiemer vom Bezirksligisten TSV Neckartailfingen schmunzelnd zurück. Doch schon bald habe er gemerkt, dass es eigentlich „keine schlechte Regelung ist“. Seine Einschätzung nach 25 Jahren: Die Teams würden tendenziell mehr ins Risiko gehen, um drei Punkte zu holen. „Grausame“ 0:0-Spiele ohne Strafraumszenen gebe es kaum noch.