Kirchheim. Drei Denkmäler in Kirchheim erinnern an den Ersten Weltkrieg, und diese Denkmäler erzählen ihre jeweils eigene Geschichte. Eigentlich aber ist es Norbert Häuser, der frühere Schulleiter der
Kirchheimer Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule, der die Geschichte der Weltkriegsdenkmäler erzählt. Als Koordinator des Kleindenkmalprojekts im Landkreis Esslingen und Mitherausgeber des daraus entstandenen Buchs „Auf Spurensuche“ ist er im Gedenkjahr 2014 prädestiniert dafür, der Erinnerungskultur an den Ersten Weltkrieg im heutigen Kreis Esslingen nachzuspüren. Im August hält er im Freilichtmuseum Beuren einen Vortrag zum Thema „Kriegerdenkmäler im Landkreis Esslingen“. Vorab hat er schon einmal dem Teckboten gegenüber berichtet, was er über die Geschichte der drei Kirchheimer Denkmäler in Erfahrung gebracht hat.
Norbert Häuser beginnt mit seinen Überlegungen zum Thema „Kriegerdenkmäler“ lange vor dem Ersten Weltkrieg. Der entscheidende Wandel in der Einstellung zum Krieg war seiner Meinung nach mit der Abkehr von den Söldnerheeren gekommen und mit einer zunehmend nationalen Gesinnung. Ein erstes Beispiel dafür sind die Kriege im Anschluss an die Französische Revolution: Zunächst einmal kämpften die französischen Soldaten damals nicht mehr für ihren Herrscher, sondern für ihre Nation. In den folgenden Befreiungskriegen wiederum waren es viele junge deutsche Soldaten, die zwar nominell im Namen ihres jeweiligen Fürsten ins Feld zogen, ideell aber für ihre Vorstellung von einer geeinten deutschen Nation kämpften.
In diesem größeren Zusammenhang möchte Norbert Häuser auch die Denkmäler für den Ersten Weltkrieg sehen: Es wird nicht mehr der großen Feldherren und ihrer glorreichen Siege gedacht. Vielmehr stehen die Soldaten im Mittelpunkt – die Söhne einer Stadt oder eines Dorfs, die sich mit ihrer Heimat verbunden fühlten und glaubten, zum Schutz dieser Heimat in den Krieg ziehen und möglicherweise ihr Leben lassen zu müssen. Auch für die Hinterbliebenen sei das wichtig gewesen, sagt Norbert Häuser: „Ein solches Massensterben wie im Ersten Weltkrieg hatte es bis dahin nie gegeben. Danach musste man den Leuten in irgendeiner Form klarmachen, dass die unzähligen Toten nicht umsonst gestorben sind. Die Denkmäler sollten dazu beitragen, dem Krieg und dem Sterben einen Sinn zu geben.“
Inzwischen sei der Blick auf die Kriege und das Sterben im Krieg ein ganz anderer: „Heuten haben die Kriegerdenkmäler eher einen negativen Touch. Man sieht das mittlerweile eben anders. Die Denkmäler haben ja vieles geschönt. Dabei sind die Soldaten vergast worden, zerrissen und verschüttet. Viele hat man gar nicht mehr gefunden. Das alles stellen die Denkmäler nicht dar. Sie zeigen schöne, athletische Menschen.“
Die Zeit, in der die Denkmäler entstanden sind, war eben eine andere als die heutige: Der Zweite Weltkrieg lag noch in der ungewissen Zukunft. Die Gegenwart war bestimmt von einer Niederlage, die man in Deutschland nicht anerkennen und nicht hinnehmen wollte. Der Friedensvertrag von Versailles wurde allgemein als Demütigung des deutschen Volkes verstanden. Auch das drücke sich in den Kriegerdenkmälern aus: „Man wollte Deutschland mächtig darstellen und nicht als Verlierer.“
Auch die Religion habe die Gestaltung der Denkmäler beeinflusst: Oft sei eine Pietà-Darstellung gewählt worden: In derselben Haltung, in der Maria in religiösen Kunstwerken ihren toten Sohn Jesus im Schoß hält, trauert eine Mutter um ihren Sohn, in diesem Fall um den gefallenen Soldaten. Die Soldaten werden dadurch in ihrer Opferrolle in die Nähe des Erlösers gerückt, der sich ebenfalls für die Seinen geopfert hat. Exemplarisch dafür sei hier der Spruch genannt, der sich am Gefallenendenkmal auf dem Alten Friedhof in Kirchheim befindet: „Ehre und Dank denen, die für uns ihr Leben gaben“.
Zugleich sieht Norbert Häuser aber ein großes Problem dieser Opferrolle. Die Soldaten seien dadurch auch als vorbildliche Charaktere dargestellt worden. Ebenfalls auf dem Denkmal am Alten Friedhof heißt es nämlich: „Sie gaben ihr Höchstes in Treue und Pflicht – vergesset sie nicht“. Für Norbert Häuser ist das „eigentlich schon ein Teil der Vorbereitungen auf den nächsten Krieg“.
Dass es in Kirchheim gleich drei Denkmäler gibt, die an den Ersten Weltkrieg erinnern, hat damit zu tun, dass Kirchheim auch Garnisonsstadt war. Das erste Denkmal ist denn auch vom Reserve-Infanterie-Regiment (RIR) 248 aufgestellt worden – am Sonntag, 3. September 1922. Das Regiment war im April 1916 von Kornwestheim nach Kirchheim verlegt und im März 1919 bereits aufgelöst worden. In kürzester Zeit sei es 1922 von der Idee zum fertigen Denkmal gekommen, sagt Norbert Häuser.
Die Darstellung ist eine ganz andere als gewöhnlich, weil sie keinen sterbenden Soldaten zeigt, sondern einen überlebenden, der „im Begriffe ist, einem gefallenen Kameraden die letzte Ehre zu erweisen“. So beschrieb der Teckbote das Denkmal vor dem Max-Eyth-Haus am Dienstag nach der Einweihung. Die Szene scheint durchaus aus dem Leben gegriffen zu sein, denn es heißt weiter, das Denkmal stelle „die lebensgroße, bronzene Figur eines feldgrauen Infanteristen dar in dem Anzuge, in dem sie draußen an die frischen Gräber der gefallenen Soldaten zu treten pflegten“.
Bei der Enthüllung des Denkmals wurde an die 2 417 Gefallenen und die 261 Vermissten des RIR 248 erinnert. Stadtschultheiß Andreas Marx erwähnte dabei auch „19 Söhne unserer Stadt“ – also 19 Kirchheimer Soldaten, die darunter zu betrauern seien. Offiziere hoben die Kameradschaft innerhalb des Regiments hervor und sprachen unter anderem von der „Seelengröße“, die darin lag, das Leben „in treuer Pflichterfüllung zu opfern“.
20 Jahre später wäre beinahe das Denkmal selbst dem Krieg zum Opfer gefallen: Norbert Häuser berichtet von einem Runderlass vom Oktober 1942, der auch das 248er-Denkmal betroffen hätte. Es sollte eingeschmolzen werden, weil das Metall dringend für Kriegszwecke benötigt wurde. Allerdings wurde das Kirchheimer Denkmal als künstlerisch so wertvoll eingestuft, dass es dem Schicksal des Einschmelzens entging.
Das Kriegerdenkmal auf dem Alten Friedhof hätte ebenfalls schon 1922 entstehen sollen, wie Norbert Häuser herausgefunden hat. Von Anfang an war es heftig umstritten. Es gab sogar Stimmen, die empfahlen, lieber eine Turn- und Festhalle zu bauen, „die gleichzeitig Gedächtnishalle für die Gefallenen sein könne“. Die Inflation verhinderte zunächst alle weiteren Pläne. Erst im Mai 1927 hat der Gemeinderat mit knapper Mehrheit das Modell abgesegnet, das heute noch auf dem Friedhof zu sehen ist.
Kontroverse Diskussionen gab es aber immer noch, beispielsweise bei der Frage, ob die Namen der gefallenen Kirchheimer Soldaten aufgeführt werden sollten oder nicht. Im Teckboten vom 28. September 1925 ist davon die Rede, dass die Namen mit der Zeit ja doch in Vergessenheit geraten würden. Auch heißt es, dass militärische und patriotische Abzeichen wie „Adler, Kanonen, Schießgewehre“ auf einem Friedhof nichts verloren hätten. Eine andere Frage war die, wie der sterbende Soldat dargestellt werden sollte – in Uniform oder zumindest mit Stahlhelm?
Über die gewählte Variante eines nackten Mannes schreibt der Teckbote in seinem Bericht über die Denkmalseinweihung vom 30. September 1928 schließlich: „Die Figur drückt keine Wirklichkeit aus und stellt keinen abschiednehmenden, kämpfenden oder sterbenden Krieger dar: sie wirkt sinnbildlich.“ Die „edel durchgebildete Jünglingsfigur“ sei das Sinnbild der Hoffnung. In den entsprechenden Reden ging es natürlich wieder um die Opfer, die nicht umsonst sein sollten und nie vergessen werden dürften.
Das alles gilt noch in viel stärkerem Maße für das dritte Kirchheimer Denkmal, am Turm der Martinskirche. Errichtet wurde es durch das Landwehr-Infanterie-Regiment (LIR) 122, das zwar aus Ulm kam, aber im Dezember 1918 in Kirchheim demobilisiert wurde. Außerdem kamen viele Angehörige des Regiments aus der Kirchheimer Region, sagt Norbert Häuser. Auch in diesem Fall gab es lange Diskussionen. Allerdings ging es eher um die große Nähe zum 248er-Denkmal. Die Darstellung dagegen ist vergleichsweise unproblematisch: Oben auf dem Obelisken erinnern eine Kugel und ein Kreuz an den Weltkrieg und seine Opfer.
Als das Denkmal am 8. Oktober 1933 enthüllt wurde, herrschten in Deutschland bereits seit über acht Monaten die Nationalsozialisten. Entsprechend sind die Aussagen zu werten, die der Teckbote überliefert. Der Kampf, die Pflichterfüllung und der Opfertod für die Heimat – das alles steht jetzt in einem neuen Zusammenhang. So hieß es 1933: „Diese Heimat sollte eine andere werden, eine bessere, schönere.“ Und nicht nur Stadtschultheiß Marx ließ keinen Zweifel daran, dass man auch in Kirchheim die bessere und schönere Zeit für angebrochen hielt, seit der „Machtergreifung“ Adolf Hitlers. Der evangelische wie der katholische Stadtpfarrer äußerten sich öffentlich in gleicher Weise. Daran zeigt sich, wie richtig die Feststellung Norbert Häusers ist, dass die Denkmäler für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs bereits den Anlass für eine Rhetorik gaben, die den Zweiten Weltkrieg gedanklich vorbereiten half.
Das Erbe der Denkmäler bleibt den Kirchheimern erhalten. Sie müssen jedes Mal aufs Neue einen zeitgemäßen Zugang dazu finden. Aktuell heißt das wohl, die Denkmäler als Mahnmal zu sehen, ein solch sinnloses Massentöten wie im Ersten Weltkrieg zu verhindern und Konflikte möglichst ohne Waffengewalt zu lösen.
Norbert Häusers Vortrag über die Kriegerdenkmäler im Landkreis Esslingen beginnt am Sonntag, 10. August, um 11 Uhr im Beurener Freilichtmuseum. Für den Vortrag ist er noch auf der Suche nach zeitgenössischen Fotos von den Denkmaleinweihungen. Wer in seinen Privatbeständen fündig wird, kann sich direkt an Norbert Häuser wenden, telefonisch unter der Nummer 0 70 21/5 17 87 oder per E-Mail an die Adresse norbert.haeuser@web.de.