Kirchheim. War da was? Ja doch, munkeln aufmerksame Zeitgenossen hinter vorgehaltener Hand. „Erotic“ heißt das Stichwort, das
Irene Strifler
auf einem Plakat in Kirchheims Süden hervorgeblitzt ist, keck und kurz, wie die Spitze einer Corsage.
Zwar glänzt der Lattenzaun vor der denkmalgeschützten Villa wieder in reinem Weiß. Doch die (Neu-)Gier ist geweckt. Wachsam beäugt das Umfeld die alte Weise-Villa. Bekanntlich war das Jugendstil-Gebäude schon immer für Überraschungen gut, sei es als Domizil für Karl May oder später unter der Ägide von Gastronom Michael Holz als Disco-Mekka. Im dritten Jahrtausend hielt das erste Liegerestaurant im Ländle hier Einzug. Spätrömische Dekadenz ließ grüßen – noch lang bevor der Begriff zum politischen No go wurde.
In mancherlei Hinsicht auch ans alte Rom erinnert fühlte sich, wer jüngst das Plakat las: „Wanga – erotic, lifestyle, lounges, coming soon“. . . Grund zur Besorgnis? Jein. Mit der Erotik ist das ja bekanntlich so eine Sache, speziell im Schwabenländle. Spätestens seit die Nürtinger Kabarettistin Christiane Maschajechi „Schwäbische Erotik“ analysiert hat, weiß man: Mit der Erotik verhält sich‘s wie mit der Schwarzwälder Kirschtorte – „a Schwarzbrod däd‘s au“.
Und doch macht die Verlockung hellhörig. Von Haus aus wachsam sind bekanntlich die uniformierten Ordnungshüter. Sie müssen von ihrem Dienstsitz nur einen Blick über den Zaun werfen. „Erotik ist ein weiter Begriff“, meint Revierleiter Thomas Pitzinger abwartend.
So sieht man‘s auch bei der Stadt, genauer beim Gewerbeamt: „Momentan besteht eine normale Konzession für eine Gaststätte“, betont Jürgen Kölle, Herr über Kirchheims Gastronomie. Vergnüglich darf‘s da zwar zugehen, für den Betrieb einer „Vergnügungsstätte“ ist aber ein anderer Behördenstempel vonnöten.
Auch Stadtplaner Gernot Pohl gibt Entwarnung. Er kennt sich von Amts wegen aus: Zum einen ist Kirchheim seit geraumer Zeit mit einer Vergnügungsstättenkonzeption beschäftigt, zum anderen durfte er sich in seiner Pfullinger Zeit schon mal mit einem echten Swinger-Club herumschlagen. „Städtebaulich höchst problematisch“, lautet sein Urteil. Vor allem die Anwohner ziehen nämlich erfahrungsgemäß das Schwarzbrot der Kirschtorte vor. Doch da die Villa formal im baurechtlichen „Mischgebiet“ liegt, kann‘s ohne Nutzungsänderung nur beim Gaststättenbetrieb bleiben.
Natürlich bieten auch Gaststätten Spielraum. Werbewirksamer klingt die Umschreibung „Bar mit erotischem Ambiente“, auf die der Internet-User schnell stößt. Soll man da etwa nur an „Hooters“ denken, die Bar-Kette mit aufreizend gekleidetem Personal, die selbst im prüden Amerika als Familienrestaurant durchgeht?
Aus der Deckung gewagt hat sich jetzt schon mal das Bauordnungsamt. Seine Anordnung: Das Plakat muss weg! Nicht wegen seines Inhalts, sondern weil der Gesamteindruck des denkmalgeschützten Ensembles beeinträchtigt sei. Seither ist der Lattenzaun wieder blütenweiß. – War da was?