Rudolf Taschner las in der Kirchheimer Buchhandlung Zimmermann aus seinem Buch
„Die Zahl, die aus der Kälte kam“

Kirchheim. Der Mann kann reden. Kaum hatte Geschäftsführerin Sibylle Mockler den Gast in der Kirchheimer Buchhandlung Zimmermann begrüßt, so wurde das Mikrofon weggeräumt. Rudolf Taschner,

Mathematikprofessor aus Wien, hatte angekündigt, über Zahlen zu reden. Nun stand er auf dem leeren Podium. Kein Rednerpult, keine Tafel, keine Projektionswand für Power Point. Wie soll das funktionieren?

Das funktioniert durch den Rückgriff auf antike Redetradition. Der Redner bewegt sich mit vollem Körpereinsatz auf das Publikum zu, nach rechts, in die Mitte, nach links. Immer fühlten sich die Zuhörer, die die Buchhandlung Zimmermann komplett füllten, direkt und mit Augenkontakt angesprochen. Dazu trug auch die vertrauenserweckende Dialektfärbung des Redners bei. Er sprach völlig frei und exakt eine Stunde.

Doch es ging schließlich um Zahlen und die Vorstellung seines in diesem Jahr erschienenes Buches mit dem Titel „Die Zahl, die aus der Kälte kam“ – ein Anklang an John le Carrés „Spion, der aus der Kälte kam“. Die kalten Zahlen sollen ihre Kälte verlieren. Taschner verriet das Rezept dazu: Geschichten über Zahlen zu erzählen und dadurch die kulturelle Rolle der Mathematik herauszuarbeiten. Spaß sollte mit der Mathematik verbunden sein. Mit Spaß sind aber keine Witzeleien gemeint, sondern der Spaß am Verstehen. Das Erzählen dient also dem Verstehen.

Und so erzählte Taschner gleich einmal, wie die Zahlen entstanden sind. Erstaunlich: Bauern haben sie „entdeckt“. Mit dem ersten Bauern, der einen Zaun um sein Feld errichtete, ist so etwas wie eine menschliche Ordnung entstanden, siehe Rousseau. Man begann zu „rechnen“: Wie groß ist mein Land im Vergleich zu anderen? Auch die Nachbarn begannen dann zu rechnen.

Zum Rechnen braucht man Zahlen. Die Kulturgeschichte der Zahlen nahm sich Taschner in der nächsten Erzählrunde vor. Beginnend mit den Griechen – die Vorläufer sind natürlich im Osten zu suchen – machte er mit illustrierenden Armbewegungen klar, dass aus Buchstaben Zahlen entstanden sind. Bei den Römern ist zum Beispiel aus dem „V“, im Lateinischen gleich „U“, das Zeichen für eine Fünf entstanden, eine Verdoppelung ergab ein X. Heute gibt es noch den Spruch, dass man sich „kein X für ein U“ vormachen lassen wolle.

Eine entscheidende Entwicklungsstufe bildete das Werk von Adam Ries aus dem Jahr 1520, der die aus Indien stammenden „arabischen“ Zahlzeichen propagierte. Mit der „0“ wurde eine Grundlage für die heute noch gültigen Rechenarten geschaffen. Hier ist besonders greifbar, wie Zahlen die Kulturgeschichte beeinflussen: Dieses Werk beförderte die Aufklärung der Bevölkerung. Sie konnte nun selbst Berechnungen anstellen und war nicht mehr auf einen teuren „Cossisten“, einen Rechenmeister, angewiesen.

In einer weiteren Erzählrunde wurde die Zinseszinsrechnung konkretisiert. Ein fiktiver Bauer Simplicio, der sich Geld von der Bank geliehen hat, erfährt sie schmerzhaft am eigenen Geldbeutel, weil die Zinsen in höherem Maße gestiegen sind als erwartet. Andersherum: Hätte Joseph bei Jesu Geburt einen Sesterz angelegt, so wären seine Erben heute unendlich reich. Dem uferlosen Wachstum von Zinseszinsen haben aber Kriege und Währungswechsel eine Grenze gesetzt.

Zahlen gelten als sichere Grundlage. Wer Zahlen „auf den Tisch legt“, besitzt Macht. Bei Talkshows werfen die Diskutanten Zahlen um sich, um ihre Kompetenz zu beweisen. Doch sie können zu einem Nichts verschwinden, wenn, wie bei der Spekulation mit holländischen Tulpenzwiebeln im Mittelalter, eine Spekulationsblase platzt. Spekulationsblasen – wie aktuell!

Mit der Verschlüsselung von Zahlen und der Bedeutung der Zahlen begab sich Taschner in die Neuzeit. Primzahlen sind für Verschlüsselungen von entscheidender Bedeutung. In Sachen Computer stellte er klar, dass es ausschließlich um Zahlen geht. Sie leisten Erstaunliches, bis hinein in psychische, also eigentlich menschliche Bereiche.

Bei aller Macht der Zahlen bleibt Taschners Credo: „Zahlen haben uns zu dienen, nicht zu beherrschen. Zahlen sind nicht Fundament des Daseins, denn dieses ist sicher nicht ‚kalt‘“. Davon ausgehend stimmte Taschner ein Loblied auf das konventionelle Buch im Vergleich zu elektronischen Lesemedien an. Neben vielen bekannten Argumenten für das Buch gilt: Elektronisch gespeicherte Texte geraten aus dem Blickfeld, ein Buch bleibt konkreter geistiger Besitz.

Somit war die Überleitung gegeben zu seinem eigenen Buch, den schon Taschners Outfit nahelegte: Wie auf dem Buchcover trug er einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und eine lila Krawatte. Zum Schluss besann er sich also mit dem naheliegenden Hinweis auf die Attraktivität seines Buches doch wieder auf eine Zahl – die Verkaufszahl seines Buches.