Kirchheim. Kann man ein musikalisches Werk über den elektrischen Strom komponieren? Ja, Daniel Bukvich hat es mit viel Fantasie getan. Und die Stadtkapelle Kirchheim unter Teck schreckte vor dem knisternden Werk nicht zurück, wie noch vor mancher anderen Neuerung beim Weihnachtskonzert in der Stadthalle.
Es war ein großer Einschnitt: Im Frühjahr hatte die Stadtkapelle nach 38 Jahren ihren Dirigenten Harry Bath in den Ruhestand entlassen. Marc Lange übernahm die Leitung von Stadtkapelle, Jugendkapelle und Vorstufenorchester. Er sei genau der Richtige, hatte Bath damals befunden. Das rundum gelungene Konzert auf höchstem Niveau ließ daran nicht die geringsten Zweifel. Lange dirigierte mit großer Freude und Präsenz und sympathischer Bescheidenheit. Vor zwei Wochen wurde ihm eine Tochter geboren, dafür gab es einen Extraapplaus.
Den Auftakt des Doppelkonzerts am Samstag und Sonntag machte erstmals das Vorstufenorchester. Nach dem „March Along“ von Jacob de Haan mit viel Percussion machte sich das junge Dutzend auf eine Reise durch die Kontinente. Europa war leicht am Tanz auf der Brücke in Avignon und an „Rule, Britannia“ zu erkennen, „Oh Susanna“ stand natürlich für Amerika, in Afrika trompeteten die Elefanten. Die abwechslungsreiche Komposition zeigte das erstaunliche Können, das der musikalische Nachwuchs bereits erreicht hat.
Die Jugendkapelle füllte die gesamte Bühne, sie eröffnete mit den Susato-Variationen von Jan de Haan. Dann begann bei Daniel Bukvichs rhythmisch anspruchsvollem Werk „Electricity“ der Strom zu knistern. Zeitweise ging das Licht aus, einige Mitspieler begaben sich mit ihren Instrumenten und Taschenlampen hinunter zum Publikum. Nach ihrer Rückkehr wurde bei Taschenlampenlicht weitergespielt. Die Aufführung wurde mit verdientem, tosendem Applaus bedacht. Ebenso beachtlich die Leistung bei Ed Huckebys „Canticle of the Saints“, dem Gesang der Heiligen. In seinem „Tribute to Ray Charles” hat Johnnie Vinson mehrere Stücke des zeitlosen Jazzmusikers verarbeitet. Bei der Aufführung gab es einen wunderbar swingenden Big Band-Sound und ein Saxofon-Solo.
„Ich weiß jetzt nicht genau, wie es weitergeht“, meinte Moderatorin Stephanie Rauschnabel, die durch eine spontane Änderung der Reihenfolge kurz durcheinander kam. Doch ihr Gedicht von der Weihnachtsmaus, die zusammen mit den Süßigkeiten wieder verschwindet, passte gut zum folgenden Medley „A Swinging‘ Christmas“, ebenfalls von Johnnie Vinson arrangiert. Für das letzte Stück vor der Pause, einer kleinen Weihnachtsfantasie, taten sich Jugendkapelle und Vorstufe zusammen.
Kurz, aber mit Wow-Effekt war die erneute Eröffnung der Stadtkapelle mit dem Sonnenaufgang aus „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss. Mit Mario Bürkis „Szenen aus Max und Moritz“ folgte eine wahrhaft multimediale Präsentation. Zum einen waren auf der Leinwand die farbenfrohen Bilder zu sehen, die in den Remstal Werkstätten der Diakonie Stetten zu Wilhelm Buschs „Max und Moritz“ entstanden. Die Stadtkapelle und die Remstal Werkstätten haben diese Bilder als Kalender veröffentlicht.
Auf der anderen Seite der Bühne boten Denis Fink und Torsten Fuchs szenische Darstellungen der Streiche, vor der Leinwand genauso wie hinter der Leinwand als Schattenspiel. Gekonnt und sehr humorvoll hatten sich die beiden des Schicksals der Hühner, dem Sprengstoff in Lehrer Lämpels Tabakspfeife und der durch Maikäfer gestörten Nachtruhe von Onkel Fritz angenommen. Doch der letzte Streich folgte sogleich: Am Ende des viertelstündigen Meisterwerks stand der musikalische Nachruf auf die beiden Lausbuben.
Die sieben Melodien der „Polnischen Weihnachtsmusik“ von Johan de Meij sind zwar hierzulande nicht bekannt, wirkten aber dennoch vertraut. Das nun folgende Werk als „musikalischen Eintopf“ zu beschreiben, ist keine Abwertung: Nannte Guy Woolfenden es doch selbst „Gallimaufry“, was für ein Gemisch oder Durcheinander steht. Komponiert hatte er das beeindruckende Durcheinander für Shakespeares Drama „Henry IV“. Um in David Lovriens „etwas anderem“ Weihnachtsmedley „Minor Alterations“ das „We Wish You a Merry Christmas“ und anderes Bekannte herauszuhören, mussten die Zuhörer gut aufpassen. War doch der Komponist mit seinem Ausgangsmaterial recht freizügig umgegangen.
Bei den ebenfalls weihnachtlichen Zugaben schmetterten die Posaunen das „Herbei, o ihr Gläubigen“ heraus, bei „O du fröhliche“ durfte am Schluss der ganze Saal mitsingen. Nach knapp drei sehr kurzen Stunden war die konzertante Blasmusik auf Höchstniveau zu Ende.
Wollte man unbedingt etwas aussetzen, könnte es die Entscheidung für die vielen Medleys sein, die zahlreiche schöne Stücke nur anspielten. Aber einfach nur ein Lied spielen, mit durchgehendem Rhythmus, damit wären die musikalischen Könner der Stadtkapelle wahrlich unterfordert.