Wer sich jemals gefragt haben sollte, was Igor Perovic aus der Haut fahren lässt - hier gibt’s die Antwort: Die Tür zur Gästekabine im SNP-Dome war kaum ins Schloss gefallen, da hallte ein Schrei wie Donnerhall durch die Katakomben der Heidelberger Arena. Ein Trainer, der sich mit geballter Faust die Anspannung von der Seele brüllte und bei seinen Spielern für verdutzte Gesichter sorgte. So hatte den introvertierten Serben zuvor noch keiner erlebt. Perovic, der für Topklubs spielte, sechs Jahre lang in der BBL coachte und bis dahin kaum jemanden einen Einblick in sein Seelenleben gestattete, sprach hinterher vom besten Spiel seiner bisherigen Karriere.
Der Kirchheimer 118:114-Sieg nach dreimaliger Verlängerung im Play-off-Rückspiel gegen Heidelberg wird in Erinnerung bleiben. Als ein Sieg des unbedingten Willens, so pathetisch das klingen mag. Schließlich war die Szene, die in die erste Overtime führte, eine, die für vieles stand an diesem Abend. Fünf Sekunden hatten die Kirchheimer Zeit, um beim Stand von 83:83 zum Wurf zu kommen oder das entscheidende Foul zu ziehen. Doch Max Mahoney, der bis dahin eine überragende Partie geboten hatte, leistete sich den Schrittfehler.
Vor Beginn der Verlängerung hätte danach kaum noch jemand viel auf einen Kirchheimer Sieg gesetzt. Schließlich hatte Heidelberg mit Jordan Geist und Shy Ely eine Art Lebensversicherung auf dem Parkett und Kirchheim die wichtigsten Stützen mit vier Fouls und einem Bein bereits im Feierabend. Als Tim Koch seine Farben per Dreier in die zweite Verlängerung schoss, war plötzlich jedem klar: Aufgeben ist in dieser Kirchheimer Mannschaft für keinen eine Option. Deshalb machte auch kein Anderer als Richie Williams am Ende den Deckel drauf. Der Kleinste auf dem Spielfeld macht sich als Spielmacher, Taktgeber und Vollstrecker seit Wochen im Team unersetzlich. Oder wie Kirchheims Sportlicher Leiter Chris Schmidt es formuliert: „Richie strahlt mit jeder Faser seines Körpers diesen unbändigen Willen aus.“
Ein Charakteristikum, das an diesem Abend auf jeden zutraf. Auf den jungen Tidjan Keita, der sich über seine Rolle nie beklagt, sich seine Chance im Training hart erarbeitet und diese jetzt nutzt. Auf einen Kopfmenschen wie Till Pape, der am Montag vier Viertel lang mit sich selbst haderte und am Ende für die mitentscheidenden Rebounds und Punkte von der Freiwurflinie sorgte, oder auf einen Reservisten wie Andreas Nicklaus, der nach dem foulbedingten Aus für Kronhardt und Mahoney die Lücke unterm Korb elf Minuten lang zuverlässig schloss.
Igor Perovic fühlte am Ende auch mit seinem Freund und Landsmann Frenkie Ignjatovic auf der Gegenseite, der nun plötzlich wieder um den ersehnten Aufstieg bangen muss. „Heidelberg hätte den Sieg am Ende genauso verdient gehabt wie wir am Freitag zuvor“, sagt er. „Das ist eben Basketball.“ Das weiß auch Ignjatovic, für den die Nacht kurz war. Wer ihn kennt, der weiß, wie sehr ihm Niederlagen den Schlaf rauben, zumal nach einem solch „denkwürdigen Spiel“, wie er es nennt, das seine größte Tragik aus der Tatsache zieht, dass keine Zuschauer zugelassen waren. „Wir wussten, dass es schwer werden wird“, sagt Heidelbergs Coach. „Beide Mannschaften kennen sich gut und spielen auf einem vergleichbaren Niveau, das haben die letzten Spiele gezeigt.“ Was für ihn den Ausschlag gab? „Wir haben dem Gegner vor der Halbzeitpause wieder ein gutes Gefühl gegeben“, sagt Ignjatovic. „Nach der Verletzung von McGaughey hat sich gezeigt, dass Kirchheim auf den deutschen Positionen mehr Möglichkeiten hat als wir.“
Die heiße Phase beginnt
Jetzt geht der Kampf in die nächste Phase. Hinter Heidelberg hat neben den Kirchheimern auch das punktgleiche Team aus Bremerhaven noch Chancen auf den Finaleinzug. Beide Verfolger müssten allerdings ihre beiden restlichen Partien gewinnen und gleichzeitig darauf vertrauen, dass Heidelberg zumindest zwei Zähler liegen lässt. Gewänne Kirchheim beide Spiele am Donnerstag in Bremerhaven und am Sonntag daheim gegen Schwenningen, käme es zu einem dritten Aufeinandertreffen mit Heidelberg um den Gruppensieg - vorausgesetzt die Mannschaft von Frenkie Ignjatovic leistet sich noch einen Patzer.
Heute früh bereits startet der Knights-Bus in den kühlen Norden, wo Perovic gegen die Eisbären einen heißen Tanz erwartet. Den hatte auch der Topfavorit aus Rostock seinen Gegnern in Gruppe 1 versprochen. Die Mannschaft von Dirk Bauermann, die viele im Finale für gesetzt hielten, hat bisher am meisten enttäuscht. Nur Platz drei nach drei Niederlagen - an der Ostseeküste bleibt nur noch die Hoffnung auf einen Aufstieg am grünen Tisch. Während der geänderte Play-off-Modus fast überall Befürworter findet und für so viel Spannung wie noch nie in einer Finalrunde sorgt, übt Bauermann Kritik: „Dem Zufall wurde durch die Regularien Tür und Tor geöffnet“, sagt er. „Wir waren Hauptrunden-Erster. Das lasse ich mir von niemandem kaputtreden.“