Kirchheim. Zumindest eines der von Manz erstellten Gebäude ist heute fest im kollektiven Bewusstsein verankert: der Bau mit 312 Metern Länge und 62 000 Quadratmetern Fläche, den Manz im Ersten Weltkrieg für die Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik in Karlsruhe gebaut hat. Freilich ist das Gebäude längst nicht mehr wegen des einstigen Rüstungskonzerns bekannt, sondern wegen des „Zentrums für Kunst und Medientechnologie“ (ZKM), das seit 1997 dort untergebracht ist.
An weiteren „Highlights“ aus dem Büro Manz zählte Eberhard Sieber unter anderem die Zeppelin-Werkshalle in Friedrichshafen auf, für die es nach dem Echterdinger Unglück 1908 einen reichsweiten Architektenwettbewerb gab. „Dutzende von Architekten reichten ihre Entwürfe ein“, sagte Eberhard Sieber im Spitalkeller und ergänzte: „Gewonnen hat den Wettbewerb ein relativ unbekannter Industriearchitekt, Philipp Jakob Manz. Er errichtete die Kulisse, vor der sich hinfort Kaiser und Könige fotografieren ließen.“
In Augsburg ist bis heute der „Glaspalast“ ein Begriff, den das Büro Manz etwa zur selben Zeit wie die Zeppelinhalle in Friedrichshafen errichtete – für die mechanische Spinnerei und Weberei Augsburg (SWA). Eberhard Sieber leitet an diesem Bau ein Charakteristikum des Philipp Jakob Manz ab: „Hier zeigte sich deutlich das Prinzip von Manz, schnell zu bauen. Die Zeitgenossen nannten ihn ,Blitzarchitekt‘. Das Stahlskelett ermöglichte viel kürzere Bauzeiten als der Betonskelettbau, der lange Stampf- und Abbindezeiten erforderte. Baubeginn war im April 1909, der fünfgeschossige Rohbau stand im Dezember!“
Noch ein weiterer Bau sei erwähnt, bevor es um Manz‘ Biographie und um seine Bauten in Kirchheim gehen soll: der Terrassenbau für die Uhrenfabrik Junghans in Schramberg, der während des Ersten Weltkriegs entstanden ist. Eberhard Sieber stellte in seinem Vortrag fest, dass diesem Gebäude von Architekturfachleuten „Weltniveau attestiert“ werde. Der Terrassenbau sei eine „geniale Idee“ gewesen, durch die Manz eine „gewaltige Herausforderung“ gemeistert habe: „Das war technisch sehr schwierig, bot aber auch außer der Ausnutzung des Geländes den Vorteil der Energieeinsparung durch natürliche Belichtung.“ Anders aber als für den Augsburger Glaspalast oder für das Karlsruher ZKM gibt es für den Terrassenbau in Schramberg noch keine sinnvolle Nachnutzung. „Obwohl unter Denkmalschutz“, sei er deshalb „schwer bedroht“.
Nicht wenige Manz-Bauten sind bereits aus unterschiedlichsten Gründen abgerissen worden, was natürlich auch die wirtschaftliche Entwicklung widerspiegelt. „Es gab in Süddeutschland praktisch keine Textilfabrik, die Manz nicht gebaut hätte“, stellt Eberhard Sieber fest. Doch ohne sinnvolle Nachnutzung werden auch die alten Fabrikgebäude nicht mehr benötigt. Ein positives Beispiel aus Kirchheim ist in diesem Fall das kombinierte Geschäfts- und Wohnhaus, das Manz 1910 in der Paradiesstraße für die Firma J.J. Müller errichtete. Im Erdgeschoss gab es damals außer den Büros auch Pack- und Magazinräume, in der Bel Etage im ersten Stock lagen die Wohnräume. Heute gibt es die unterschiedlichsten Nutzungen – unter anderem durch eine Tanzschule. Eberhard Siebers Fazit zu diesem Backsteinbau: „Ein originelles, auch heute noch vielfältig genutztes Gebäude“.
Eine „methodische Schwierigkeit“ besteht in der Forschung über Philipp Jakob Manz in der mangelnden Quellenlage, wie Eberhard Sieber vorausschickte: „Manz hat nichts hinterlassen. Es gibt keinen Nachlass, er hat keine theoretischen Abhandlungen geschrieben wie andere Architekten, nichts für die Nachwelt, keinen Briefwechsel, nichts Privates. Sein Wohnhaus in Stuttgart wurde samt seiner Kunstsammlung total zerbombt, und was von seinem Büro in der Kronenstraße übriggeblieben ist, haben seine Nachfahren in den 90er-Jahren bei einem Umzug kurzerhand entsorgt.“
Das Material, das dem Referenten zur Verfügung stand, beschränkte sich deshalb auf eine Monographie von Kerstin Renz sowie auf Unterlagen, die sich in Kirchheimer Häusern erhalten haben oder auch im Kirchheimer Stadtarchiv, im Esslinger Kreisarchiv, im Wirtschaftsarchiv Hohenheim und beim Bauordnungsamt in Kirchheim. Alle diese Materialien, bei denen es sich um entsprechende Bauunterlagen handelt, haben Eberhard Sieber immerhin in die Lage versetzt, seiner großen Zuhörerschaft „einen anderen Blick auf Kirchheim zu bieten, auf die Gründerzeit, in der die Grundlagen unseres heutigen Wohlstands geschaffen wurden“.
In dieser Zeit habe Philipp Jakob Manz „wie kein Zweiter Kirchheim geprägt“. Geboren 1861 in Kohlberg, machte Manz nach der Volksschule in Urach zunächst eine Lehre als Steinbildhauer in Stuttgart, bevor er seine eigentliche Ausbildung in Form eines besonderen dualen Systems begann: Im Sommer gab es Praxis auf der Baustelle, während im Winter auf der Königlich Württembergischen Baugewerkeschule in Stuttgart die Theorie folgte, wie Eberhard Sieber erläuterte. Die Schule habe Philipp Jakob Manz zwar ohne den Abschluss eines „Bauwerkmeisters“ verlassen. Aber dennoch hat er dort sowie in der anschließenden neunjährigen Tätigkeit im Büro seines Lehrers Otto Tafel genügend Wissen und Erfahrung gesammelt, um sich 1889 in Kirchheim selbständig zu machen – mit der Idee, die Trennung von Planung und Ausführung aufzuheben und damit schneller, besser und billiger zu bauen.
Das schnelle Bauen kommt ja bereits in der Bezeichnung „Blitzarchitekt“ zum Ausdruck. Philipp Jakob Manz und seinem Büro, das mit bis zu hundert Architekten pro Jahr achtzig bis hundert Gebäude entwarf, sei es aber zudem auch immer gelungen, mit guten Materialien zu bauen und dabei den vorgegebenen Kostenrahmen einzuhalten. Das ist angesichts heutiger Kostenexplosionen bei Großbauten sicher ein ganz besonderes Merkmal.
1895 heiratet Philipp Jakob Manz die Kirchheimer Kaufmannstochter Elisabeth Nestel. 1901 verlegt er sein Büro nach Stuttgart, 1907 eröffnet er ein Zweigbüro in Wien und 1912 schließlich erhält der Architekt den Titel eines „Königlichen Baurats“. 1936 stirbt er, „von der Öffentlichkeit wenig beachtet“. Sein Sohn Max führt das Büro weiter. Heute fungiert es unter dem Namen „Architekten Manz Herdeg“ mit Sitz in Leonberg.
Dem Titel eines „Baurats“ für Architekten entsprach für Unternehmer der Titel eines „Kommerzienrats“. Die gründerzeitlichen Unternehmer strebten diesen Titel an wie führende Militärs oder Beamte eine Nobilitierung, also die Erhebung in den Adelsstand, erzählte Eberhard Sieber. Zur Repräsentation der Unternehmer gehörten entsprechende Bauten: „Die Verbindung von Fabrik, Arbeiterwohnungen und Fabrikantenvilla macht den patriarchalisch-fürsorglichen Unternehmensstil in der Zeit der Hochindustrialisierung deutlich.“
Bauten, die Philipp Jakob Manz in Kirchheim errichtet hat, sind folglich Fabrikgebäude wie für die Firma Gaier, die ab 1885 in der damaligen Bahnhofstraße (heute Kolbstraße) Haushaltsmaschinen und später auch Spiralbohrer herstellte. Für die Flanschenfabrik Emil Helfferich Nachfolger in der Dettinger Straße erstellte Manz ebenfalls verschiedenste Fabrikbauten, genau wie für den Herdfabrikanten Wiest oder auch für die Firma Ficker (heute Bless-OF). Letzteres ist wieder ein besonderes Beispiel für die Effizienz des Büros Manz: „In weniger als einem Jahr war der Bau fertiggestellt, er wurde bestückt mit den besten Maschinen, die auf dem Markt waren.“
Gleichfalls stadtbildprägend sind die vielen Villen, die Philipp Jakob Manz in Kirchheim gebaut hat – für Fabrikanten ebenso wie für Pfarrer, Ärzte oder Beamte. Bis heute bekannt unter dem Namen „Villa“ ist das Gebäude für Kommerzienrat Max Weise, der in den 1880er-Jahren die Firma Helfferich aufgekauft hatte. In unmittelbarer Nähe steht die Villa für Max Weises Sohn Fritz, in der heute das Polizeirevier Kirchheim seinen Sitz hat. Vor allem aber in der Paradiesstraße und in der nicht minder prominenten einstigen Bahnhof- und jetzigen Kolbstraße standen ursprünglich fast nur Manz-Bauten.
Eberhard Sieber verwies dabei auf eine wesentliche Gratwanderung, die Philipp Jakob Manz stets gut gemeistert habe: „Einerseits sollte das Bauwerk die Seriosität und Finanzkraft des Unternehmers zeigen, andererseits sollte es, zumal im pietistischen Württemberg, nicht zu protzig auftreten.“ Das Gebäude sollte also „solide und repräsentativ“ sein, gleichzeitig aber nicht den Anschein erwecken, „man ginge mit geliehenem Geld allzu verschwenderisch um“.
Wer nähere Details zu Manz-Bauten in Kirchheim erfahren will, darf gespannt sein auf eine „geplante Publikation“, die Eberhard Sieber in seinem Vortrag angekündigt hat.