Die alte Schmiedewerkstatt in der Dettinger Straße in Kirchheim sieht so aus, als wäre der Meister nur mal kurz weggegangen
Ein Handwerk für starke Männer mit Gefühl

Siegfried Hauff und Kurt Eberle wollen gemeinsam eine Schmiede in der Dettinger Straße in Kirchheim erhalten. Sie planen dazu die Gründung eines Fördervereins, der die alte Handwerkertradition an historischer Stätte wieder aufleben lassen soll.

Kirchheim. Im September 2007 ist Karl Eberle, der letzte aktive Schmied des Familienbetriebs in der Dettinger Straße 37, im Alter von 94 Jahren verstorben. Bis zuletzt hatte er in seiner Werkstatt gearbeitet und zumindest noch Sensen gedengelt. „Mein Vater hat unter dem Haus ein Stück weit gelitten“, sagt Dr. Kurt Eberle, der als Geschäftsführer eines Unternehmens für Sprachsoftware-Entwicklung in Heidelberg lebt. „Es war immer die Frage, was soll daraus werden?“

Die entscheidende Weichenstellung hätte freilich schon viel früher erfolgen müssen, hätte der Schmiedebetrieb als solcher eine Zukunft haben sollen. „Das hätte dann in Richtung Bauschlosserei gehen müssen“, erzählt der Sohn des alten Schmieds. Aber dann wäre der ursprüngliche Standort in der Dettinger Straße trotzdem nicht mehr zu halten gewesen. Karl Eberle hätte seinen Betrieb in ein Industriegebiet verlagern und etwas ganz Neues aufziehen müssen. Mit seinem traditionellen Handwerk hätte das nicht mehr viel zu tun gehabt.

Aber gerade an der Tradition hielt Karl Eberle zeitlebens fest. So war sein wichtigstes Fortbewegungsmittel das Fahrrad. Als er mit 92 Jahren das Fahrradfahren aufgeben musste, sei ihm dies besonders schwer gefallen, berichtet sein Sohn Kurt. Was blieb dem Schmied also anderes übrig, als sein Handwerk weiterhin so zu betreiben, wie er es gelernt hatte? Er verlegte sich auf Kunstschmiedearbeiten und gestaltete kunstvolle Gitter oder Tore – vom Entwurf bis zum fertigen Produkt.

„Die Hoch-Zeit hatte der Betrieb unter meinem Großvater, der auch Karl Eberle hieß, in den 1920er-Jahren“, sagt der Nachfahre und kommt gleich auf einen besonderen Aspekt dieses Handwerks zu sprechen, der später freilich nicht mehr so gefragt war wie einst: „Im Gegensatz zu meinem Vater war mein Großvater mit Leib und Seele Hufschmied.“ Natürlich gebe es auch heute noch Bedarf für Hufschmiede, aber längst nicht mehr so wie noch im ausgehenden 19. Jahrhundert, als Karl Eberle senior die Schmiede von seinem Schwiegervater übernommen hatte. Ein Reitpferd unterscheide sich eben gewaltig von einem Ackergaul, meint Kurt Eberle und verweist damit auf einen hohen Spezialisierungsgrad in heutiger Zeit.

Doch nicht nur das Pferd als „Zugmaschine“ ist längst von Motoren abgelöst worden, auch die Wägen sehen inzwischen völlig anders aus als vor hundert Jahren. Auch in diesem Fall waren damals die Schmiede gefragt. Kurt Eberle erzählt von großen Rädern für starke Brauereiwägen, wo die Eisenreifen auf den Holzrädern zu verhämmern waren: „Das war nicht nur eine äußerst schwere Arbeit, sondern auch noch eine ziemliche Gefühlssache. Das Eisen musste auf dem Rad sitzen und passen, aber ohne das Rad zu zerdrücken.“

Dass ein Schmied ein kräftiger Mann sein musste, das leuchtet wahrscheinlich jedem ein. So erzählt Kurt Eberle eine Anekdote von seinem Urgroßvater, dem bereits erwähnten Schwiegervater von Karl Eberle senior: „Der soll einmal im Wirtshaus gewettet haben, dass er seinen Hauptamboss über die Straße trägt und dann auf den Wirtstisch stellt.“ Ob das eine reine Anekdote mit den notwendigen Übertreibungen oder doch eine wahre Geschichte ist, sei dahingestellt. Aber selbstverständlich endet die Geschichte mit einer gewonnenen Wette und mit der Bemerkung des Urenkels: „So ein Hauptamboss wiegt über fünf Zentner.“

Dass ein Schmied aber auch mit viel Gefühl arbeiten musste, das dürfte weniger bekannt sein. Vom Gefühl für Reifen und Räder war bereits die Rede. Gefühl brauchte es aber schon beim Feuermachen für die Esse: Während Kurt Eberle und sein Bruder dem Vater in ihrer Jugendzeit immer wieder assistierten, vor allem als „Draufschläger“, so war das Feuermachen immer die alleinige Angelegenheit des Vaters. Das Gefühl für die richtige Glut war nicht weniger wichtig. Die berühmte „Weißglut“ ist nämlich tatsächlich ein Begriff für überlanges Strapazieren – wenn auch nicht das Strapazieren der Nerven von Mitmenschen, sondern das Strapazieren des Materials im Feuer. Bei der Weißglut war das Eisen viel zu heiß zum Bearbeiten.

Und noch ein Gefühl war wichtig, und auch das hatte vor allem der Meis­ter: Wenn er auf Gehilfen als Draufschläger angewiesen war, dann gab der Meister den Takt vor, an den sich die anderen halten mussten. Das war aber keine Schikane, sondern eine Notwendigkeit, um das glühende Eisen perfekt bearbeiten zu können. Reminiszenzen dieser „Taktvorgaben“ beim Schmieden finden sich noch in der Musik. Am berühmtesten ist wohl der „Zigeunerchor“ aus Verdis „Troubadour“. Aber selbst beim gestrigen Neujahrskonzert war es zu erleben: Mit Hammer und Amboss gab Mariss Jansons den Wiener Philharmonikern deutlich hörbar den Takt für die Polka „Feuerfest“ vor, die Joseph Strauß ausdrücklich „für Schmiede und Schlosser“ geschrieben hatte.

Zurück nach Kirchheim und zum Gefühl eines Schmieds: Kurt Eberle berichtet auch davon, wie er einmal selbst ein Salatbesteck als Geschenk schmieden wollte und damit nicht zurechtkam. Das Material wollte und wollte einfach nicht die gewünschte Form annehmen. „Mein Vater konnte es irgendwann nicht mehr mit ansehen und hat mir die Arbeit aus der Hand genommen.“ Mit wenigen gezielten Schlägen habe der Meister daraufhin das gewünschte Salatbesteck fertiggestellt.

Mit solchen Anekdoten ließe sich die Schmiede bestimmt lebendig darstellen, und das ist auch das Ziel von Kurt Eberle und Siegfried Hauff. Ihnen schwebt vor, einen Verein zu gründen, der sich ähnlich wie die „Freunde und Förderer der historischen Feuerwehrtechnik“ in Kirchheim oder wie der Kirchheimer Verein „Historische Dampftechnik“ um den Erhalt des historischen Technik-Erbes kümmert. „Es muss halt zischen und dampfen, wenn es Leute interessieren soll“, meint Kurt Eberle.

Siegfried Hauff ist der Initiator eines neu zu gründenden Vereins, der „Förderverein Alte Schmiede“ oder auch „Eberle-Schmiede“ heißen soll. Baurechtliche Voraussetzungen sind bereits abgeklärt, vor allem was Brandschutz und Gewerbeaufsicht betrifft. Nun geht es vor allem noch darum, eine Vereinssatzung zu entwerfen, nach Mitgliedern und Mäzenen zu suchen und anschließend den Verein zu gründen.

Vorgesehen ist es, die eigentliche Schmiedewerkstatt so zu erhalten, wie Karl Eberle sie verlassen hat. Immerhin hat sich am Zustand der Werkstatt seit 2007 nichts mehr geändert. Im Schurz steckt noch das Hufmesser, wie wenn es jederzeit wieder gebraucht werden könnte. Karl Eberle scheint nur mal kurz weggegangen zu sein. Er könnte jederzeit wieder anfangen, in seiner alten Werkstatt zu hämmern. Ein rostiges Eisenschild ist immer noch von seiner Hand mit Kreide beschriftet: „Bin in der Scheuer“ steht darauf.

Außer der Werkstatt, die mit Schauvorführungen für Besucher offenstehen soll, würde in dem Gebäude aus dem Jahr 1708 nicht mehr viel an das Traditionshandwerk erinnern. Aber Kurt Eberle und seinem Bruder geht es auch gar nicht um mehr als um den Erhalt der Werkstatt. In den oberen Stockwerken richtet ein Bauträger zeitgemäße Wohnungen in historischer Bausubstanz ein. Hätten die Brüder Eberle das gesamte Gelände zur Neubebauung verkauft, hätten sie wesentlich mehr dafür bekommen. Es wäre dann aber ein Stück Kirchheimer Geschichte abhanden gekommen.

Zur Kirchheimer Geschichte in der Dettinger Straße kann Kurt Eberle auch so noch einiges erzählen. Die Anekdote mit der Wette seines Urgroßvaters spielt nämlich nicht zufällig im Wirtshaus gegenüber. Die Wirtschaften waren ein wichtiger Ort, um Aufträge zu erhalten. Was heute deutlich gehobener als „Geschäftsessen“ bezeichnet wird, hieß einstmals schlicht „Kundentrinken“. Es verfolgte aber denselben Zweck, geschäftliche Verbindungen anzubahnen oder zu erhalten.

Außerdem gab es für die beiden Karl Eberles (Vater und Sohn) keinen großen Grund, die Dettinger Straße zu verlassen, denn dort gab es alles, was sie brauchten. Kurt Eberle und sein Bruder beispielsweise waren es gewohnt, mit dem Handwagen das benötigte Eisen beim Händler in derselben Straße abzuholen. Und auch das soziale Leben war früher ganz anders mit dem Arbeitsleben verbunden. „Die Werkstatttür stand immer offen“, erinnert sich auch Siegfried Hauff, der 1958 nach Kirchheim kam, sowohl an die alte Schmiede in der Dettinger Straße als auch an Zeiten, in denen Leben, Arbeiten und Freizeit noch eine Einheit waren.

Bekannte schauten immer in der Schmiede vorbei, wenn sie in der Dettinger Straße waren, berichtet Kurt Eberle. Sie besuchten auch seine Mutter regelmäßig, und dieser Kontakt zu vielen Leuten habe auch dann nicht nachgelassen, als seine Mutter nach einem Schlaganfall nicht mehr sprechen konnte: „Die Leute sind gekommen und haben sie immer noch besucht, so wie früher eben auch.“ Die Schmiede als eine Art lebendiges Museum könnte also auch auf die sozialen Netzwerke verweisen, die es früher einfach gab, ohne dass sie eigens geknüpft zu werden brauchten.

Zu diesen sozialen Netzwerken gehörten – wie bereits erwähnt – immer auch die Wirtschaften. Und deshalb ist es ein durchaus naheliegender Gedanke von Kurt Eberle und Siegfried Hauff, im restlichen Erdgeschoss ein Café oder ein Bistro unterzubringen, wobei auch allerhand sonstige Ideen realisiert werden könnten – bis hin zum Schokoladeladen oder auch zur Kleinkunstbühne. Es kommt nur darauf an, jemanden zu finden, der bereit ist, seine Geschäftsidee in und mit der alten Schmiede zu verwirklichen.