Autofahrer sehen kleine Schäden oft als Bagatellen – Experten der Polizei nehmen jede Form von Unfallflucht ernst
Ein Parkrempler ist kein Kavaliersdelikt

Eigentlich ist ein Auto ein Gebrauchsgegenstand, dem man es schon mal ansehen kann, dass er regelmäßig im Einsatz ist. Und dennoch ärgern sich viele, wenn sie alle naselang neue Dellen und Kratzer an ihrem „heiligen Blechle“ entdecken. Die Rechtslage ist klar: Wer einen Schaden verursacht, muss sich dazu bekennen und dafür sorgen, dass alles wieder in Ordnung kommt. Doch das scheint keine Selbstverständlichkeit mehr zu sein. Immer häufiger machen sich Autofahrer aus dem Staub, wenn sie ein anderes Fahrzeug gestreift, gerempelt oder angekratzt haben.

Kreis Esslingen. „Heute gibt es kaum mehr ein Auto, das schon länger gefahren wird und keine derartigen Spuren zeigt“, weiß Bernhard Block. Der Polizeioberkommissar ist seit 30 Jahren im Verkehrskommissariat Esslingen für „verkehrspolizeiliche Ermittlungen“ zuständig: Wenn knifflige Fälle von Unfallflucht angezeigt werden, die nicht sofort zu klären sind, greifen Block und sein Kollege, Polizeihauptmeister Christian Waibel, ein.

Es gibt viele Gründe, weshalb gerade die kleineren Unfallschäden nicht gemeldet werden: Manche denken, sie seien nicht beobachtet worden. Andere wollen sich Ärger in der Firma oder zu Hause mit dem gestrengen Ehepartner ersparen. Wieder andere fürchten den Ärger, manchmal kann Alkohol im Spiel sein. Und vielleicht ist bei einigen auch eine „Hoppla, jetzt komm’ ich“-Mentalität mit im Spiel. Doch das Kardinalproblem ist ein anderes: Die Autos werden immer breiter und die Parkplätze wachsen nicht im selben Maße mit. Da kann es eng werden. Bisweilen bekommt Block auch Erklärungen serviert, die viel über den Zeitgeist verraten: „Manchmal hören wir von Autofahrern, die wir nach einer Unfallflucht ermitteln, dass ihr Fahrzeug auch schon beschädigt wurde, ohne dass sich der Verursacher gemeldet habe. Davon leiten sie das Recht ab, selbst weiterfahren zu dürfen.“ Doch das kann ins Auge gehen: Unfallflucht wird hart bestraft.

Für die Polizisten heißt es stets, ganz genau hinzuschauen, denn kein Fall ist wie der andere. „Gerade die modernen Stoßfänger der Autos sind aus weicherem Kunststoff gefertigt, damit sie kleinere Rempler abfedern können“, weiß Christian Waibel. „Da kann es schon mal vorkommen, dass es ein Autofahrer – gerade wenn er nicht mehr ganz so gut hört - gar nicht bemerkt, dass er einen anderen Wagen angerempelt hat.“ Dann hätte er auch nicht wissentlich Unfallflucht begangen. Für den Unfallgegner ist das ein schwacher Trost. „Wenn man einen Stoßfänger in der Wagenfarbe neu lackieren muss, sind rasch einige Hundert Euro weg“, sagt Bernhard Block. Weil Stoßfänger ihrem Namen Ehre machen, kommt es manchmal zu kuriosen Situationen. „Wir hatten schon Fälle, da kamen Autofahrer auf die Wache und haben empört einen Unfallschaden angezeigt, den ihnen ein anderer zugefügt habe“, erinnert sich Waibel. „Hinterher hat sich gezeigt, dass der Fahrer selbst einen anderen Wagen angerempelt und das nicht gemerkt hatte.“ Trotzdem sollte keiner versuchen, sich damit herauszureden, er habe nichts gehört: Oft ist der Nachweis möglich, ob der Fahrer den Rempler bemerkt haben müsste.

Dass so mancher Autofahrer kleinere Kratzer und Dellen als Kavaliersdelikte empfindet, erleben die Unfallflucht-Experten der Polizei immer wieder. „Manche meinen, der gegnerische Autofahrer solle sich wegen eines kleinen Schönheitsfehlers nicht so haben“, bekam Christian Waibel schon häufiger zu hören. Doch das sieht er anders: „Jede Unfallflucht ist eine Straftat. Und es kann nicht sein, dass ein anderer Autofahrer für mich entscheidet, welche Kratzer und Dellen ich an meinem Auto akzeptieren muss und welche nicht.“

2013 deutlich mehr Fälle gemeldet

3 323 Fälle von Unfallflucht wurden 2013 im Kreis Esslingen gemeldet – fast 13 Prozent mehr als im Jahr davor. In den Jahren 2009 bis 2012 waren es stets zwischen 2 800 und 3 100 Fälle von „unerlaubtem Entfernen vom Unfallort“ gewesen, wie es im Amtsdeutsch heißt. Jeder dritte Unfallflüchtige wird ermittelt und zur Verantwortung gezogen. Deutlich höher liegt die Aufklärungsquote bei Unfallflucht-Delikten mit Personenschaden: 2013 wurden 53 Prozent dieser Fälle aufgeklärt – acht Prozent mehr als im Jahr davor. „Die wichtige Botschaft ist: Unfallflucht lohnt sich nicht“, sagt Andrea Kopp, Pressesprecherin des Polizeipräsidiums Reutlingen, das den Kreis Esslingen betreut.

Wie hoch die Dunkelziffer ist, kann keiner seriös sagen, denn längst nicht jeder, dessen Wagen von einem anderen Autofahrer auf dem Parkplatz angerempelt oder beim Vorbeifahren mit dem Rückspiegel gestreift wurde, geht zur Polizei. Je geringer der Schaden und je älter das beschädigte Auto, desto geringer dürfte auch die Motivation sein, die Polizei zu bemühen. „Manche Autofahrer meinen, wir hätten ohnehin genug zu tun, und wollen uns nicht belästigen“, weiß Bernhard Block. Doch sein Kollege Christian Waibel macht klar: „Unfallflucht ist eine Straftat, und die muss geahndet werden. Jeder Fall, der ermittelt wird, hat auch abschreckende Wirkung und kann dafür sorgen, dass ein anderer Autofahrer beim nächsten Mal nicht einfach davonfährt.“

Und wenn mein geparktes Auto über Nacht von unbekannten Passanten im Vorbeigehen mit einem Schlüssel mutwillig zerkratzt wurde? „Auch dann würde ich zur Polizei gehen“, empfiehlt Waibel. „Vielleicht ist der Schaden in meinem Fall nicht allzu groß und lässt sich mit dem Lackstift notdürftig ausbessern. Aber wer sagt mir, dass der Verursacher nicht 30 weitere Autos in meiner Straße ebenfalls zerkratzt hat? Mit jedem Fall, der gemeldet wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir den Täter ermitteln können.“

Die technischen Möglichkeiten der Polizei wurden zusehends verfeinert. Mal bringt ein Glassplitter vom Rücklicht des Unfallverursachers die Polizei auf die richtige Spur, mal helfen Lackspuren, die nicht nur die Wagenfarbe, sondern oft auch den Hersteller und manchmal sogar den Wagentyp verraten. Weil jeder gemeldete Unfallschaden von der Polizei genau dokumentiert wird, können die Beamten überprüfen, ob die Spuren zusammenpassen, wenn sie erst mal einen Verdächtigen ermittelt haben. In vielen Fällen können die Ermittler anhand kleinster Unfallspuren sogar sagen, welcher der beiden Wagen die Kollision verursacht hat. Wichtiger als alle technischen Finessen ist jedoch das Näschen, das erfahrene Polizisten in langjähriger Erfahrung entwickeln. „Selbst wenn ich privat durch die Stadt laufe und im Vorübergehen Kratzer oder Dellen an einem geparkten Auto entdecke, beginne ich unwillkürlich zu überlegen, wie sie wohl zustande gekommen sein könnten“, schmunzelt Block.

Unfallflucht ist kein Kavaliersdelikt – auch wenn der Schaden auf den ersten Blick nicht allzu groß zu sein scheint. Wer nach einem Parkrempler einfach weiterfährt, begeht bereits eine Straftat. Ein Zettel mit der eigenen Anschrift oder eine Visitenkarte, die hinter den Scheibenwischer des Unfallgegners geklemmt werden, reichen nicht aus. Wer Unfallflucht vermeiden will, muss warten, bis der Fahrer des anderen Autos oder jemand aus seinem Umfeld kommt. Am besten informiert man die Polizei.

Geldstrafen, Punkte in Flensburg, Fahrverbote und in besonders schweren Fällen mit Personenschaden sogar Haftstrafen können Folgen von Unfallflucht sein. Die Höhe des Schadens ist entscheidend für das Strafmaß. Bei mehr als 1 200 Euro Schaden sind die Folgen Führerscheinentzug für mindestens sechs Monate und mehrere Tausend Euro Geldstrafe. Wer nach einem Unfall in Panik davongefahren ist, kann unter Umständen sein Fehlverhalten noch korrigieren, wenn er sich binnen 24 Stunden bei der Polizei meldet. Dann wird meist auf eine Strafverfolgung wegen Unfallflucht verzichtet. Das gilt aber nur bei kleinen Blechschäden außerhalb des fließenden Verkehrs, und wenn die Polizei noch nicht ermittelt.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Versicherung bei Unfallflucht oft nicht den ganzen Schaden übernimmt. Der Täter wird beim Schadenfreiheitsrabatt zurückgestuft, und er muss den eigenen Schaden tragen, wenn die Vollkasko-Versicherung die Zahlung verweigert. Das kann sie auch, wenn das Verfahren wegen geringer Schuld gegen Geldauflage eingestellt wird.