Kirchheim. Sehr überrascht über den Rücktritt von Papst Benedikt XVI. zeigte sich der katholische Dekan des Dekanats Esslingen-Nürtingen, Paul Magino. Freilich sind ihm die Gründe einsichtig. „Mir ist in einem seiner Auftritte im Vatikan aufgefallen, wie sehr er gealtert ist“, sagt Dekan Magino.
Und im Rückblick, als was wird Papst Benedikt XVI. in die Kirchengeschichte eingehen? Paul Magino stellt den „Denker, den großen Theologen“, der sich mit Philosophie auseinandersetzt, in den Vordergrund und ist sich mit seinen Pfarrerkollegen in Kirchheim einig: „Er ist immer ein Stück weit Professor geblieben.“ Von einem Reformpapst Benedikt XVI. werde nie die Rede sein können. Die klassischen Themen Zölibat, Frauen im Priesteramt, die Einbindung der wiederverheirateten Geschiedenen und die Ökumene brachte er nicht weiter. Auch die Kurie klar zu strukturieren, sei ihm nicht gelungen, meint der Dekan.
Aus Paul Maginos Sicht könnte der nächste Papst entweder aus Lateinamerika oder aber aus Afrika kommen, und er nennt in diesem Zusammenhang die Namen Odilo Scherer aus Brasilien und Peter Turkson aus Ghana. „Es ist wichtig, dass in drängenden Fragen etwas weitergeht, vor allem im Blick auf die Menschen, die in einer Notlage stecken. Das wird in den Gemeinden erwartet“, sagt der katholische Dekan.
Zu den 32 Kirchengemeinden mit fast 120 000 Katholiken, die im Dekanat in 14 Seelsorgeeinheiten zusammengefasst sind, gehört auch die katholische Gesamtkirchengemeinde Kirchheim. Sie umfasst die Kirchengemeinde Sankt Ulrich in Kirchheim mit ihren Filialgemeinden Peter und Paul in Ötlingen und Lindorf, Heilig Kreuz in Schlierbach, Sankt Markus in Ohmden und Notzingen, sowie die Kirchengemeinde Maria Königin in Kirchheim mit ihren Filialgemeinden Sankt Nikolaus von der Flüe in Dettingen, Nabern und Bissingen und Sankt Lukas in Jesingen.
Zur Seelsorgeeinheit gehören ebenfalls die italienische katholische Gemeinde San Marco und die kroatische katholische Gemeinde Sveti Nikola Tavelic.
Franz Keil, Pfarrer von Sankt Ulrich, wurde vom spektakulären Rücktritt des Papstes kalt erwischt. Allerdings meint auch er: „Dass ein Mensch mit 85 Jahren sagt, er hat genug, ist mehr als rechtens.“ Zum jetzigen Zeitpunkt einzuschätzen, welche Rolle dem deutschen Papst in der Geschichte zugeschrieben werde, sei noch zu früh. Jedenfalls nicht die des Reformpapstes. „Er war nicht so sehr der Gestalter, sondern eher der Professor, der sich hinter seinen Büchern versteckt.“ Den Reformstau habe der Papst nicht bewältigt. Deshalb spielt es für Franz Keil weniger eine Rolle, aus welchem Kontinent und welchem Land der Nachfolger Benedikts XVI. kommt. „Wichtig ist, dass er die Reformen in Angriff nimmt.“
Im ersten Moment sei er schon überrascht gewesen von der Rücktrittserklärung des Papstes, sagt Pfarrer Winfried Hierlemann von Maria Königin. „Aber im zweiten Moment habe ich gedacht, warum eigentlich nicht? Sein Alter hat Spuren hinterlassen.“ Hierlemann wertet den Rücktritt Benedikts XVI. als mutigen Schritt und fügt an: „Er hätte mehrere solcher Schritte machen sollen.“
Nein, ein Papst der Reformen sei er nicht gewesen. Vielmehr werde er als „großer Theologe und Wissenschaftler“, der die Rolle des strengen Glaubensbewahrers innehatte, in die Kirchengeschichte eingehen.
Und sein Nachfolger? „Der sollte die Ideen des Zweiten Vatikanischen Konzils verwirklichen und die anstehenden Reformen in Angriff nehmen“, wünscht sich Pfarrer Hierlemann. Dabei könnte er sich am ehesten Kardinal Marc Ouellet aus Kanada oder einen Befreiungstheologen aus Lateinamerika vorstellen.
Pfarrer Hermann Ehrensperger von der Weilheimer Kirchengemeinde Sankt Franziskus kennt Papst Benedikt XVI. von mehreren privaten Begegnungen. Auch dessen Vorgänger, Johannes Paul II., ist er während seines „Auswärtsjahrs“ in Rom 1982/83 begegnet. „Zwei ganz unterschiedliche Charaktere“, erinnert sich Hermann Ehrensperger. Vom Rücktritt Benedikts XVI. sei er nicht überrascht worden. „Er hat ihn angekündigt, und ich respektiere das.“ Allein diesen spektakulären Schritt wertete der Weilheimer katholische Pfarrer bereits als Reform. Wie die Kirchenhistoriker einst den deutschen Papst beurteilen, müsse die Zeit weisen. Sein Wunschkandidat als Nachfolger? „Eine eierlegende Wollmilchsau, die es allen recht macht“, meint Ehrensperger scherzhaft. Er kenne zwar die Namen der Kardinäle, wisse aber nicht, welche Ziele sie verfolgen. Von daher wolle er sich nicht festlegen.
Nicht überraschen konnte der Papst durch seinen Rücktritt den Initiator der Esslinger Reformgruppe „pro concilio“, Wolfgang Kramer, früherer Pastoralreferent von Peter und Paul in Ötlingen und jetziger Krankenhausseelsorger im Esslinger Klinikum. „Ich habe immer schon gesagt, Benedikt XVI. wird der erste Papst sein, der zurücktritt. Überrascht hat mich lediglich der Zeitpunkt.“ Dabei vermutet Wolfgang Kramer, dass der frühere Chef der Glaubenskongregation immer noch im Amt wäre, wären nicht Themen wie der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche oder Vatileaks in sein Pontifikat gefallen.
Für den Initiator von „pro concilio“ bleibt Benedikt XVI. der konservative Glaubensbewahrer. „Ich hoffe, dass man nach 30 Jahren sagen kann, mit Benedikt hat eine Epoche der Kirchengeschichte geendet. Er hätte sich lieber Reformthemen zuwenden sollen, als theologische Bücher zu schreiben.“
Was die Nachfolge anbelangt, so hält Wolfgang Kramer alles für möglich, „von ganz rechts bis zu einem Reformer“.