Bissingen. „Ich und meine Geschwister sind alle im Winter geboren.“ Insgesamt zwei Buben und vier Mädchen brachte Kathrina Herrmann, die Frau des Schuhmachermeisters Georg Herrmann
, in der Bissinger Mühlstraße 9 zur Welt. Doch nur die kleine Emma Kathrina tat ihren ersten Schrei sozusagen unterm Christbaum. Und obgleich Emma am Tag der Geburtsfeier Jesu das Licht der Welt erblickte, wurde sie deswegen nicht doppelt beschenkt. „Die Zeiten waren Anfangs hart, und wir haben nicht viel Geld gehabt“. Nicht selten wurde der Vater, der die „Eisala“ auf die Sohlen nagelte und Absätze reparierte, in Naturalien bezahlt. Noch gut erinnert sich die rüstige Rentnerin an die Werkstatt ihres Vaters und den Berg Schuhe, der meist vor ihm lag. Georg Herrmann, er war vom Unterland gekommen, um eine Bissingerin zu heiraten, schusterte bis ins hohe Alter. Als ihre Mutter 1962 mit 73 Jahren starb, kümmerten sich Emma Herrmann und ihre Schwester um den Vater.
Sieben Jahre lang drückte die Jubilarin in jungen Jahren die Schulbank in der Bissinger Volksschule. Anschließend arbeitete sie in Deizisau bei einer Bauersfamilie, in Kirchheim in einem Privathaushalt und in Hepsisau im Hans-Ludin-Haus in der Küche. Dort kochte sie für die Schüler und Pädagogen der Lehrerbildungsanstalt Esslingen. Mit Kriegsende wurde das Hans-Ludin-Haus – der spätere Michaelshof – geschlossen und Emma Herrmann ging zurück nach Bissingen. In ihrem Heimatort arbeitete sie 32 Jahre lang in der Stückputzerei der Fima Kolb & Schüle. Sommers wie Winters lief oder radelte sie durch den ganzen Flecken vom Oberdorf ans andere Ende des Ortes in den Bissinger Ableger des Kirchheimer Textilunternehmens. Arbeitsbeginn: 5.30 Uhr. 1980 ging sie in den wohl verdienten Ruhestand. Das hieß aber nicht, dass sie die Hände in den Schoß legte. In Haus und Garten gab es genügend Arbeit. Außerdem war sie damals noch gut zu Fuß und unternahm mit Freundinnen ausgedehnte Spaziergänge. So ist es kein Wunder, dass sie Bissingens idyllische Landschaft wie ihre Westentasche kennt.
Apropos Westentasche. Natürlich ist auch Emma Herrmann, wie andere Kinder, Schlitten gefahren und auf dem See Schlittschuh gelaufen. Trotz der „richtig kalten Winter“ hatten die Buben und Mädchen keine Daunen gefütterten Jacken an. In Strickwes
ten und Röcken sausten die Mädchen „den Hahnenkamm ra.“ Auch an den Heiligen Abend erinnert sich Emma Herrmann noch sehr gut. Dann durfte von den Kindern niemand in die Stube. Die Mutter schmückte den Christbaum und die Kleinen mussten ins Bett. Erst am Weihnachtsmorgen gab es für die Kinder die freudige Bescherung. „Wir waren gespannt, was das Christkendle bringt.“ Auch eine Puppenstube und ein Kaufladen standen schon mal unterm Weihnachtsbaum.
Emma Kathrina Hermann war das zweitjüngste Kind. Heute lebt von ihren Geschwistern außer ihr noch eine Schwester. „Auf‘d Teck naufsprenga“, das geht jetzt nicht mehr. Seit einem Jahr macht die Hüfte nicht mehr mit. Ihre Nichte kommt und bringt ihr das Essen. Doch obwohl die Beine nicht mehr so richtig mitmachen wollen, ist sie geistig fit und freut sich auf morgen. Dann feiert sie nicht nur Heiligabend, sondern gemeinsam mit Nichten und Neffen und deren Kindern vor allem ihr 90. Wiegenfest.