Kirchheim. Der Weg ist zum Auftakt schon das Ziel, auch wenn es die Aussicht auf kleine Zicklein, große Pferde und eine mehr als geduldige und kinderliebe Katze als Motivation für den Anmarsch braucht. „Wenn wir hier ankommen, sind die Kinder dank des Spaziergangs schon ruhiger und nicht mehr überdreht – das tut allen Beteiligten gut“, sagt Susanne Schöllkopf, Leiterin der Konrad-Widerholt-Förderschule in Kirchheim.
Die Kinder erwartet ein erlebnisreicher Nachmittag, doch zunächst heißt es Ruhe bewahren, denn es gibt ein Ritual. Alle stehen im Kreis, begrüßen Familie Hepperle, und die Spielregeln werden in Erinnerung gerufen beziehungsweise neue aufgestellt. „Heute dürft ihr leider nicht unbeaufsichtigt in den Stall stürmen. Die Ziegen brauchen Ruhe, denn wir haben gestern einen Nachzügler bekommen“, kann Caroline Hepperle mit der frohen Kunde eines ein Tage alten Kitzleins aufwarten – und nicht zuletzt ist der Hof kaugummifreie Zone, weshalb sämtliche „vergessenen“ Exemplare im Papiertaschentuch sicher entsorgt werden.
Für diesen sonnigen und warmen Nachmittag hat sich die Hof-Chefin eine knifflige Aufgabe für die Jungs und Mädels ausgedacht: „Ihr seid heute Blumendetektive“, stimmt sie ihre jungen Gäste ein. Zwölf große, laminierte Fotos liegen auf dem Tisch unter der Linde, auf denen jeweils eine Pflanze – beispielsweise Scharbockskraut, Gundermann, Hirtentäschel, Löwenzahn, Gänseblümchen oder Sumpfblättriger Hahnenfuß – abgebildet und allesamt auf der Wiese gegenüber des Stalls zu finden sind. „Jetzt können wir noch auf die Wiese gehen, das nächste Mal ist das Gras zu hoch“, macht Caroline Hepperle auf den rücksichtsvollen Umgang mit der Vegetation aufmerksam. So ziehen die Kinder in Grüppchen und mit einer Betreuerin los, um immer nur ein Exemplar zu pflücken. Doch dabei ergibt sich schon das erste „Problem“, denn was ist eigentlich pflücken? „Nein, dazu brauchen wir keine Schaufel. Wir reißen vorsichtig den Stängel ab – wie bei einem Strauß“, erklärt Susanne Schöllkopf, als sich ein Junge nach einem Grabwerkzeug umschauen will.
Die botanische Aufgabe ist für die Förderschüler anspruchsvoll. „Bei den zwölf Kindern, die bei diesem Nachmittagsprogramm der Ganztagesschule vierzehntäglich hierherkommen, haben wir das Gefühl, denen tut der Aufenthalt hier besonders gut“, nennt die Schulleiterin das Auswahlkriterium. Das Altersspektrum reicht von der Eingangsklasse – einstmals Vorklasse – bis zur vierten. „Der Ganztagesbetrieb ist eine Herausforderung. Wir suchen nach sinnstiftenden Beschäftigungen für unsere Schüler und die regelmäßigen Besuche hier auf dem Hof sind ein Glücksfall“, freut sich Susanne Schöllkopf über die Bereitschaft von Caroline und Hartmut Hepperle, sich auf die Förderschüler einzulassen. Dem Projekt zudem überaus förderlich sind ihrer Ansicht nach auch die beiden Söhne Heinrich und Ferdinand, die recht großzügig ihr Reich an diesen Nachmittagen mit den älteren Gastkindern teilen.
„Wir beteiligen uns beim Lernort Bauernhof und haben immer wieder Schulklassen und Kindergärten hier. Die kommen aber immer nur einmal. Die regelmäßigen Besuche der Förderschüler sind neu für uns“, freut sich Caroline Hepperle über das neue Projekt und die langfristige Zusammenarbeit. So können die Stadtkinder die Jahreszeiten bewusst erleben und sehen, was es im Jahreslauf für den Landwirt so alles zu tun gibt. „Sie bekommen die Geburten der Kitze mit, sehen die kahlen Bäume im Winter, jetzt mit den Blüten oder Blütenansätzen, später mit Früchten, die immer größer werden, irgendwann geerntet und im Falle der Äpfel zu Saft werden. Dieses bewusste Erleben hat einfach noch mal eine ganz andere Qualität, deshalb waren wir gleich bereit, mitzumachen. Das ist sinnvoll investierte Zeit, uns macht das richtig Spaß – auch wenn wir ohne die Kinder genug Arbeit haben“, ist die Chefin gerne Gastgeber für die Schüler. Täglich müssen die Tiere versorgt und gemolken werden und die Herstellung eines Ziegenkäses erfordert Fingerspitzengefühl, von dessen Resultat sich jeder Besucher des Kirchheimer Wochenmarkts überzeugen kann.
Als die Aufgabe mit den Blümchen erfolgreich abgeschlossen ist, kommt für die Förderschüler der angenehmste Teil des Tages: Einfach tun und lassen können, was sie wollen. Schnell sind sie in alle Winde verstreut. Den Jungs steht der gesamte Fuhrpark des Hepperle-Nachwuchses zur Verfügung, Bäume zum Klettern und Platz zum Rumtollen gibt‘s genug, ebenso eine Schaukel. Streicheleinheiten bekommt nicht nur das kleine Kitz ab, „Tiger“ ist eine wahre Schmusekatze, die diese Zuwendung sichtlich genießt. Doch langsam heißt es Abschied nehmen. Im Kreis singen alle noch gemeinsam ein Lied, verabschieden sich von ihren Gastgebern und lassen sich auf die Bussitze fallen – den Rückweg zur Schule würden nicht alle mehr schaffen.