Lesezeit (2): Ein Nachmittag in der Stadtbücherei in Kirchheim - „Funktion als Aufenthalts- und Begegnungsort immer wichtiger“
Ein Treffpunkt für alle Generationen

Lesezeit (2): Ein Nachmittag in der Stadtbücherei in Kirchheim - „Funktion als Aufenthalts- und Begegnungsort immer wichtiger“

BŸchereiStadtbücherei
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Kirchheim. „Arbeitszone“ ist auf dem Schild zu lesen, das im Ruheraum in der Kirchheimer Stadtbücherei auf einem großen Tisch aufgestellt ist. Dort sitzt Sigrun Kubitza mit zwei 13 Jahre alten Mädchen, die konzentriert in das vor ihnen liegende Bilderbuch „Roter Mohn“ blicken. „Wir lernen die deutsche Sprache“, erklärt eines der beiden Mädchen, die aus Irak stammen und die Vorbereitungsklasse an der Alleenschule besuchen. Jeden Donnerstagnachmittag kommen die Schülerinnen in die Stadtbücherei, um bei Sigrun Kubitza aus Kirchheim, Lehrerin im Ruhestand, Nachhilfeunterricht zu nehmen.

„Bei uns treffen sich viele Schüler, um zu lernen oder Referate vorzubereiten“, erzählt Büchereileiterin Ingrid Gaus. Eine Gruppe älterer Frauen komme aber auch regelmäßig, um ein Schwätzchen zu halten. Und zahlreiche Zeitungsleser würden morgens schon vor der Tür warten, bis die Bücherei ihre Pforten öffnet. „Manche sind dann stundenlang bei uns und unterhalten sich über Börsenkurse“, sagt Ingrid Gaus, die sich keineswegs daran stört. Schließlich werde „die Funktion der Bücherei als Aufenthalts- und Begegnungsort immer wichtiger“.

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„Die Menschen halten sich länger bei uns auf als früher“, hat Ingrid Gaus beobachtet. Das liege daran, dass die Bücherei ein öffentlicher Ort sei, an dem man „nichts konsumieren“ müsse. „Man kommt aus den eigenen vier Wänden und kann am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.“

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Die Büchereileiterin hat in den vergangenen Jahren aber noch eine weitere Veränderung festgestellt: „Die Nutzung der EDV durch die Büchereibesucher wird immer selbstverständlicher.“ So gingen nur noch wenige an den Regalen entlang und ließen sich inspirieren. „Die meisten suchen gezielt am Computer nach einem bestimmten Buch, Autor oder Themenfeld.“ Am Bildschirm kann man sich anzeigen lassen, ob das Buch derzeit verfügbar oder verliehen ist, außerdem kann man Bücher vorbestellen und eine Verlängerung für ausgeliehene Bücher beantragen, fügt Ingrid Gaus hinzu. Dasselbe funktioniert übrigens auch zu Hause am heimischen Computer über die Internetseite der Stadtbücherei.

Eine „Online-Bibliothek“, wie es sie bereits in Esslingen, Göppingen und Geislingen gibt, ist in der Teckstadt bislang allerdings noch Zukunftsmusik, sagt Ingrid Gaus. „Sie ist für uns schlichtweg noch zu teuer“, unterstreicht die Büchereileiterin. In der „Online-Bibliothek“ können die Nutzer im Internet digitale Medien wie elektronische Bücher und Zeitschriften für einen begrenzten Zeitraum ausleihen - alles passiert von zu Hause aus, völlig unabhängig von den Öffnungszeiten der Bücherei.

Derweil füllt sich das zweistockige, 1 200 Quadratmeter große Gebäude zusehends. Die Sofas im Erdgeschoss sind voll besetzt, und auch an den Tischen haben es sich viele Besucher gemütlich gemacht und blättern in Zeitschriften oder Zeitungen. Zu ihnen zählt auch Bernd Schleiffer aus Kirchheim, der gerade über einem Kreuzworträtsel brütet. „Ich komme drei bis vier Mal in der Woche her, um Zeitung zu lesen“, erzählt der 66-jährige Rentner. Manchmal sei es zwar ein bisschen laut, wenn sich die Besucher miteinander unterhalten. Aber der Kirchheimer fühlt sich trotzdem wohl in der Stadtbücherei.

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Ingrid Gaus kennt das Problem, dass die unterschiedlichen Interessen der Besucher ab und zu aufeinander prallen. „Wenn sich eine Gruppe Jugendlicher in der Bücherei aufhält, kann es eben auch mal lauter werden. Das stört wiederum manche, die in Ruhe lesen wollen. Im Großen und Ganzen funktioniert es aber ganz gut“, betont die Büchereileiterin, die dieser Tage die Statistik für das Jahr 2010 ausgearbeitet hat. Demnach sind die Ausleihzahlen leicht zurückgegangen: Wurden in 2009 etwa 300 300 Bücher, CDs, DVDs, Hörbücher und Spiele verliehen, waren es im vergangenen Jahr rund 12 000 weniger. Ingrid Gaus vermutet, dass bei dieser Entwicklung das Internet eine große Rolle spielt. „Man kann so viele Informationen im Internet finden. Deshalb haben wir den Rückgang hauptsächlich bei den Sachbüchern und nicht bei den Romanen oder ­Biografien zu verzeichnen.“ Außerdem würden die Menschen gezielter auswählen und nicht mehr wie früher stapelweise Bücher mit nach Hause nehmen.

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Auch hätten die rückläufigen Ausleihzahlen nichts mit einem Ansehensverlust der Bücherei in der Gesellschaft zu tun, unterstreicht Ingrid Gaus. „Wir genießen hohes Ansehen in breiten Bevölkerungsschichten.“ So kämen Eltern mit Kleinkindern ebenso in die Bücherei wie Rentner, Jugendliche und Menschen mit Migrationshintergrund. Zu Letzteren gehören auch Saber Mostafazadeh aus Iran und Fraidon Mier Atah aus Afghanistan. Die beiden Männer leben in der staatlichen Gemeinschaftsunterkunft in der Charlottenstraße und verbringen jeden Tag ein paar Stunden in der Bücherei, um im Internet zu surfen, zu lesen und für ihren Deutschkurs zu lernen.

Einige Bücherregale weiter sitzt ein älterer Mann an einem der Computer und tippt mit konzentriertem Blick englische Wörter in ein Word-Dokument. „Ich mache bei der Volkshochschule einen Englisch-Kurs und schreibe jetzt meine Notizen ins Reine“, erklärt der 85-jährige Kurt Ludwig aus Wendlingen. Seit fast 20 Jahren fährt der Stammgast der Kirchheimer Bücherei zwei oder drei Mal wöchentlich in die Teckstadt, um am PC zu arbeiten und zu lesen. „So komme ich unter Leute. Außerdem gefällt mir die Atmosphäre.“

Regelmäßige Bücherei-Besucherinnen und begeisterte Leseratten sind auch die 42-jährige Birgit Hoff-Würzinger aus Kirchheim, die an diesem Nachmittag mit ihrem fünf Jahre alten Sohn Tim acht Bilderbücher ausleiht, und die 16-jährige Natalie Fichtner aus Dettingen. „Ich lese gern und viel - in den Ferien sind es bis zu fünf Bücher in der Woche“, sagt Natalie Fichtner, während sie mit ihrer Freundin Anja Eder aus Kirchheim in den Bücherregalen stöbert. Die junge Frau hat schließlich das Passende entdeckt: den Roman „Alles oder Nick?“ von Debbie Carbin und ein Buch mit Übungen für die Abschlussprüfung an der Realschule. „Ich finde es cool, dass es die Bücherei in Kirchheim gibt. Sonst müsste ich mir die ganzen Bücher kaufen.“