Sibylle Mockler und Tina Drexler näherten sich mit Michael Kumpfmüllers fiktivem Roman dem Menschen Franz Kafka
Einblicke in „Die Herrlichkeit des Lebens“

Kirchheim. Auf ein sehr spannendes Projekt hatten sich Sibylle Mockler und Tina Drexler beim jüngsten Abend der Reihe literarischer Begegnungen im Buchhaus


WOLF-DIETER TRUPPAT

Zimmermann eingelassen. Ihr Ziel war dabei schlicht und ergreifend, die programmatische Vorgabe dieser beliebten Reihe einmal so wörtlich zu nehmen wie nie zuvor.

In einem kleinen verschworenen Kreis von erwartungsgemäß vorwiegend Besucherinnen wollten sie gemeinsam über ein auf den ersten Blick eher unscheinbar daherkommendes Taschenbuch ins Gespräch kommen – und genau das ist dann auch in aller Ruhe und unaufgeregt, sehr dezidiert und in erstaunlicher Offenheit passiert.

Dass dabei alle wohl schon hochgesteckten Erwartungen weit übertroffen wurden, überrascht nicht, denn mit Michael Kumpfmüllers „Die Herrlichkeit des Lebens“ drehte sich die keinesfalls kontroverse Diskussion um ein Buch, das eigentlich gar nicht polarisieren kann und zweifellos verdient, nicht nur wärmstens empfohlen, sondern vor allem auch konzentriert gelesen zu werden.

Sublimer, souveräner, nuancierter und doch auch nachvollziehbarer hätte der mutige Versuch einer zwar fiktiven, aber letztendlich doch ungemein stimmig wirkenden Annäherung Kumpfmüllers an einen schwierigen und sich dem direkten Zugang vehement entziehenden Autoren gar nicht ausfallen können. Von unkritischer und demzufolge auch uneingeschränkter Begeisterung war in der literaturkritischen Gruppe jedenfalls nichts zu spüren.

Michael Kumpfmüller hat mit seiner vorgelegten poetischen Liebesgeschichte offensichtlich mehrheitsfähig ganz genau das erfüllt, was auf dem Buchrücken vom Verlag auch werbewirksam versprochen wird. In seinem zwar fiktiven, aber tatsächlich nicht nur ungemein fundiert recherchierten, sondern auch sehr einfühlsam und voller Empathie geschriebenen Roman ist es ihm tatsächlich gelungen, den so berühmten wie geheimnisvollen Schriftsteller Franz Kafka in seinen letzten Lebensmonaten glaubhaft und überzeugend als erstaunlich glücklichen, wenn auch todkranken Menschen vorzustellen.

Am Ende eines viel zu kurzen Lebens hatte Franz Kafka im Ostseebad Müritz im Sommer des Jahres 1923 mit der damals erst 25-jährigen Dora Diamant tatsächlich die große Liebe seines Lebens gefunden und sich für den kaum für möglich gehaltenen Schritt entschlossen, Prag den Rücken zu kehren und sich mitten in der Wirtschaftskrise der Weimarer Republik, den Eltern und der tödlichen Krankheit zum Trotz, für ein Leben mit seiner Frau Dora in Berlin zu entscheiden.

Aufsehen erregte Michael Kumpfmüller durch sein erfolgreiches Debüt mit dem im Jahr 2000 erschienenen Ost-West-Roman „Hampels Flucht“. Vorwiegend kontrovers diskutiert wurde fünf Jahre später nach einem aufsehenerregenden authentischen Kriminalfall sein veröf­fentlichter Roman „Durst“. Mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet wurde Michael Kumpfmüller für seinen 2008 erschienenen Gesellschaftsroman „Nachricht an alle“.

Aktuell hat er sich äußerst erfolgreich an eine große Herausforderung gewagt, die ihresgleichen sucht, und einen „bewegend schönen, leisen Roman“ geschaffen, der nicht nur Elke Heidenreich begeisterte, sondern auch in der Süddeutschen Zeitung vor allem dafür gelobt wurde, alles nur „mit zarten Strichen“ zu skizzieren und dennoch „große Kraft, Menschlichkeit und Würde“ auszustrahlen.

Nach biografischen Informationen über den Autor und einer knappen Inhaltsangabe der bewegenden, Franz Kafka und Dora Diamant unsterblich machenden, fiktiven Liebesgeschichte waren sich Sibylle ­Mockler und Tina Drexler trotz unterschiedlichster Annäherung an dieses unauffällige Taschenbuch vollkommen einig darüber, dass es dieses Buch wert ist, einen kurzweiligen Abend lang gewissenhaft beleuchtet und mit seinen vielfältigen Facetten auch mit kompetenter literaturwissenschaftlicher Akkuratesse durchleuchtet zu werden.

Erstaunlich war vor allem die Intensität und Intimität, in der an diesem Abend über den äußerst zurückhaltenden Menschen Franz Kafka gesprochen wurde. Mit der Kreativität seines unglaublichen literarischen Schaffens hat er ganze Generationen von künftigen Abiturienten zwar stark verunsichert, ihnen aber vielleicht auch die Tür geöffnet für die unauslöschliche Bilder im Kopf weckende Magie der Literatur und für das Schicksal eines Gregor Samsa, „der eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, und sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt“ fand . . .