Kirchheim. Tagsüber hatte man die Schule mit einem Tag der offenen Tür präsentiert, zur abendlichen Geburtstagsfeier kamen nun die Stunden der Grußworte. Feierlich eröffneten Chor und Orchester den Abend mit einem „Kyrie“. Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker würdigte das außerordentliche Engagement, das Eltern vor mehr als 20 Jahren an den Tag gelegt hatten, und wünschte, dass „diese Tat der vielen Träumer“ auch in Zukunft gut umgesetzt werde. Entstanden ist die Kirchheimer Waldorfschule, weil die in Nürtingen keinen Platz mehr hatte und viele Schüler abwies. Eltern taten sich daraufhin zusammen, studierten die anthroposophischen Schriften des Waldorf-Begründers Rudolf Steiner, nahmen Kontakt zu Gemeindeverwaltungen auf. Der Gemeinderat von Kirchheim überließ das gewünschte Grundstück stark verbilligt, die erste Kirchheimer Waldorf-Klasse wurde 1990 in der ehemaligen Handschuhfabrik Spieth in der Fabrikstraße 9 unterrichtet. Inzwischen beherbergen zwei Gebäude auf dem Nachbargrundstück die Freie Waldorfschule.
Angelika Matt-Heidecker hofft, dass die verkehrlichen Probleme an der Einmündung Fabrikstraße/Stuttgarter Straße bald gelöst werden. Die Fabrikstraße soll ausgebaut und mit Ampeln versehen werden, das Geld sei bereitgestellt. Dass in der Waldorfpädagogik die Entwicklung des Kindes im Mittelpunkt stehe, lobte die Oberbürgermeisterin, äußerte allerdings auch einen Wunsch: Da die Kluft zwischen Arm und Reich in der Gesellschaft immer weiter wachse, würde sie sich freuen, „wenn die Waldorfpädagogik sich auch derer annimmt, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen“. Der Besuch der Privatschule kostet monatliches Schulgeld und eine jährliche Spende.
Thomas Krauch vom Dachverband der Freien Waldorfschulen ging auf diese Bitte ein. Das Thema beschäftige den Verband seit Jahren: „Wir wissen, da gibt es einen Mangel.“ Er führte aus, dass sich die Waldorfpädagogik ausdehne. Gab es 1993, als die Kirchheimer Schule in den Dachverband aufgenommen wurde, in der Republik 148 Waldorfschulen, seien es heute 222. Weltweit zähle man mehr als 1 000 Waldorfschulen.
Ortsvorsteher Hermann Kik erinnerte sich daran, wie sehr ihn die Organisation von Entscheidungsprozessen an der Schule irritiert, aber auch beeindruckt habe. In Vorbereitung des Neubaus hätten zahllose Kreise, wie Baukreis und Finanzkreis, mitgeredet. Kik: „So brachte eine breite Basis die Bauten auf den Weg. Heute denke ich, ein solcher Weg wäre vielleicht auch für Stuttgart 21 gut gewesen.“ Dafür gab‘s Lacher.
Laut Gründungslehrer Ulrich Kleber ist nicht alles immer glatt gelaufen, zum Beispiel bei der Anerkennung durch den Dachverband der Freien Waldorfschulen. „Das war da nicht ganz einfach, uns einzuordnen. Wir waren Pädagogen, die was Eigenes wollten“, so Kleber. So habe man es geschafft, acht Jahre lang keine Schulglocke zu installieren: „Der Unterricht war fertig, wenn der Inhalt erarbeitet war.“ Auch die Idee, Werkunterricht in Englisch zu geben, stieß anfangs auf Skepsis. Doch immer, wenn er schwarze Stunden gehabt habe, in denen er sich fragte, was er eigentlich tue, hätte das morgendliche Wiedersehen mit seinen Schülern ihn wieder aufgerichtet. Kleber wandte sich bei diesen Worten an die Gruppe der Erstschüler. Mehrere der heute etwa 26 Jahre alten Frauen und Männer waren gekommen und strahlten ihren einstigen Lehrer an.
Aufgelockert wurden die Ansprachen durch Eurythmie-Vorführungen der Schüler, eine Masken-Geschichte und Musik. Anschließend konnten sich die versammelten Anthroposophen noch bei einem Imbiss in lockerer Runde unterhalten und in Erinnerungen schwelgen.