Die Energie Versorgung Lenningen liefert ab Oktober Strom an ihre Kunden
Elektrisierte Lenninger

Das EVL-Zeitalter im Lenninger Tal hat begonnen. Der Strom kommt weiterhin aus der Steckdose, doch die ersten Kunden erhalten ab Oktober über die Energie Versorgung Lenningen die Elektrizität frei Haus geliefert.

Lenningen. „Elektrisierend anders“ ist der Strom von EVL (Energie Versorgung Lenningen), das verspricht die Infobroschüre. Dabei mag sich mancher fragen, was denn hier so anders ist. „Die EVL ist ein gemeindeeigenes Unternehmen“, nennt Bürgermeister Michael Schlecht als wichtiges Kriterium der Andersartigkeit. Statt die Fäden aus der Hand zu geben und sie renditeorientierten Konzernen zu überlassen, will Lenningen das Heft wieder selbst in die Hand nehmen. Cross-Border-Leasing ist solch ein Negativbeispiel, bei dem sich viele Kommunen vor einigen Jahren im Abwasserbereich auf Anraten findiger – und windiger – Großunternehmensstrategen eine blutige Nase geholt haben.

Aus diesem Fehler hat Lenningen gelernt. „Dezentrale Lösungen können effektiv arbeiten“, ist Michael Schlecht überzeugt. Weil Lennningen für einen Alleingang aber zu klein ist, hat sich die Gemeinde das Albwerk mit ins Boot geholt. Das Geislinger Unternehmen kann auf über 100 Jahre Erfahrung auf dem Stromsektor zurückblicken. „Einzige Gesellschafter der EVL sind die Gemeinde Lenningen und das Albwerk“, erklärt Michael Schlecht.

Den Stein ins Rollen gebracht hat der im Jahr 2013 auslaufende Konzessionsvertrag mit der EnBW. Vor diesem Hintergrund machte es für Lenningen Sinn, eine eigene Energiegesellschaft zu gründen. „Das ist auch eine strategische Entscheidung. So können wir Einfluss auf den Netzausbau nehmen und an der speziell für uns richtigen Stellschraube drehen – sind eben nicht nur eine leise Stimme im großen Chor der Mitgesellschafter“, sagt Michael Schlecht.

Geschenke hat die EVL nicht zu verteilen – einzige Ausnahme ist die Energiespartüte im Wert von 30 Euro, die es beim Wechsel gibt –, es gelten wirtschaftliche Kriterien wie in jedem anderen Unternehmen auch. „Wir bieten faire, wettbewerbsfähige Preise“, verspricht der Schultes, dazu kommt noch eine Preisgarantie bis zum 31. Dezember 2012. Bislang ist die Zahl der Kunden überschaubar, doch Michael Schlecht will kräftig die Werbetrommel rühren. „Erstrebenswert ist, dass über die Hälfte der Lenninger Haushalte ihren Strom von der EVL beziehen. Es ist aber kein unumkämpfter Markt“, weiß er um das ambitionierte Ziel.

Michael Schlecht setzt auf Lokalkolorit – die Lenninger sollen sich mit ihrem Strom identifizieren, ihn als ihre Marke anerkennen und von „unser Strom“ sprechen. Deshalb wird die EVL soziale, kulturelle und sportliche Projekte vor Ort unterstützen. „Wir steigen ins Sponsoring ein. Wir können aber nur fördern, wenn wir genügend Kunden haben“, wirbt er für die neue Energiegesellschaft, von deren Erfolg er überzeugt ist. Er und der Gemeinderat gingen trotzdem auf Nummer sicher. Mit dem Albwerk wurde die Option ausgehandelt, dass Lenningen in den Jahren 2013 und 2017 entweder aus der EVL aussteigen oder den Anteil erweitern kann. Im Moment ist Lenningen mit 25,1 Prozent beteiligt und kann bis 49,9 Prozent aufstocken.

Die große Unbekannte ist noch der Kauf des Stromnetzes von der EnBW. Stichtag dafür ist der 1. Januar 2013. „Wir wissen noch nicht, wie die Verhandlungen ausgehen. Das Entflechtungskonzept wird wohl nicht zum Nachteil der Verbraucher sein“, zeigt sich Michael Schlecht optimis­tisch. Der Netzbetrieb ist Dreh- und Angelpunkt im Stromgeschäft. Wer dafür die Rechte besitzt, kann zum einen Pacht von der Konkurrenz verlangen, die das Netz nutzt. Entscheidend ist jedoch das Hoheitsrecht. Lenningen kann dann über die Leitungen frei verfügen, ist also nicht von den Interessen Dritter abhängig.

„Ich glaube fest an dezentrale Versorgungsstrukturen wo sie Sinn machen“, sagt Michael Schlecht und nennt als Stichworte neben der Stromversorgung und dem Netzbetrieb auch die Wasserversorgung und den Abwasserbereich – in dessen Zusammenhang das Cross-Border-Leasing ja mit einem Paukenschlag beendet werden musste. „Der letzte Schritt ist die Stromerzeugung“, lautet die nächste Vision von Michael Schlecht. Er ist überzeugt, dass es intelligentere Lösungen gibt als Offshore-Parks in Nord- und Ostsee und die damit verbundenen Überlandleitungen von Tausenden von Kilometern, die ebenfalls keine Augenweide in der Landschaft darstellen.

„Man muss die Situation vor Ort beobachten und dann eine Entscheidung treffen können“, kommt er ein weiteres Mal auf die Vorteile einer kleinen, aber feinen Energiegesellschaft zu sprechen. Als einer unter vielen, wie es bisher war, müsste er viele Beteiligte für eine Sache begeis­tern. Eine Mehrheit für eine individuelle Lenninger Lösung erscheint in einem solchen System allerdings utopisch. Mit der EVL können Verwaltung und Gemeinderat jedoch ein lokales Klimaschutzkonzept erarbeiten. In diesem Zusammenhang nennt der Schultes das Schulzentrum als Beispiel. „Jedes neu hinzugekommene Gebäude hat eine eigene Heizung. Hier könnte man über ein Blockheizkraftwerk nachdenken – oder über ganz andere Lösungen“, so seine Anregung.

„Woanders gibt es Bestrebungen nach einer eigenen Energieversorgung – wir sind schon fertig“, ist Michael Schlecht stolz auf das bisher Erreichte. Erste Nachahmer gibt es bereits: Bad Boll hat das Lenninger Modell kopiert und Eislingen, Donzdorf und Ottenbach haben das Stauferwerk gegründet.