Kirchheim. Es ist eine gute Tradition des vhs-Kulturrings, im Rahmen seiner Konzertreihe auch jungen Meister-Interpreten ein würdiges Podium
Florian Stegmaier
zu bieten. Mit dem Pianisten Alexander Krichel war in der Kirchheimer Stadthalle ein Künstler zu Gast, der trotz seiner gerade einmal 23 Jahre bereits auf eine beachtliche Karriere zurückblicken kann: mehrere Konzerttourneen durch Südamerika mit den bedeutendsten Orchestern des Kontinents, regelmäßige Auftritte in renommierten europäischen Konzertsälen und bei erlesenen Klavierfestivals, eine von der Kritik gefeierte Debüt-CD und zu guter Letzt ein frisch unterzeichneter Exklusivvertrag beim Plattengiganten Sony.
Während seines Soloabends mit Werken von Beethoven, Schumann und Rachmaninoff konnte man der Frage nachgehen, worin wohl das Geheimnis einer solch durchschlagenden Erfolgsdynamik liegen mag. Phänomenale Technik, sympathische Bühnenpräsenz und kluge Repertoirewahl gerinnen bei Krichel fraglos zu einem schillernden Amalgam. Als Alleinstellungsmerkmal reicht dies allerdings beim heutigen Niveau akademischer Ausbildung und der Flut beachtlicher junger Künstler nicht mehr aus. Was den Hamburger Pianisten jedoch heraushebt, ist seine große Befähigung, musikalische Strukturen nicht allein zu analysieren und aus dem Tonsatz herauszuschälen, vielmehr die dem musikalischen Kunstwerk innewohnende Logik als lebendiges Phänomen zu erfassen und gestaltend erlebbar zu machen. Eine solche aus der Tiefe der Kunstausübung stammende Erlebnisqualität war es, die Alexander Krichel hörbar machte und die ihm die ungeteilte Begeisterung seiner Hörer zufliegen ließ.
Beethovens „Appassionata“, Schumanns Sinfonische Etüden und die „Moments musicaux“ von Rachmaninoff waren die Werke, deren gestaute Emotionalität Alexander Krichel zur Entladung brachte. Die dämonisch-suggestive Klanglandschaft von Beethovens f-Moll-Sonate op. 57 legte er als breites Spannungsfeld an: radikale Subjektivität in Einklang und Widerstreit mit konventionellem Sonatengerüst. Diesen Grundkonflikt, den der Komponist seinem Werk als formstiftende Innenspannung einimpfte, leuchtete Krichel schonungslos und detailgetreu aus. Im Nachspüren der diversen Bewegungsmuster und Energieschübe manifestierte sich so eine hochdramatische Szenerie, die ihr letztlich auswegloses Kreisen, Pochen und Beben in der vom Pianisten als aufbäumende Raserei kühn gespielten Schlussgeste ein allerletztes Mal auflodern lässt.
Pianistische Fülle in orchestralem Gewand entfaltete sich in Krichels Deutung der Sinfonischen Etüden op. 13 von Robert Schumann. Ohne den gestalterischen Zug zu verlieren, den dieses wahrhaft gewichtige Werk vom Eingangsthema bis zum groß angelegten Schlussrondo durchzieht, ging der Interpret feinsinnig den kaleidoskopartigen Färbungen und Brechungen nach, die Schumann in Form von Etüden und Charaktervariationen darin auskomponierte. Opernhafte Gesten kontrastierten mit scharfem Kontrapunkt, murmelnde Bassgrundierung und energische Synkopen lieferten die Kulisse für die prominenten Auftritte der Schumannschen Alter Egos Florestan und Eusebius, die unermüdlich zum „Kampf gegen die Philister“ rüsten. Vollgriffige Kraft, aber auch die Beherrschung der Kunst eines für Schumann so typischen „poetischen Schweifens“ ergänzten sich zu einer Interpretation, die dem Werk in all seiner Vielschichtigkeit gerecht wurde und sich von sportiven Ansätzen mancher Tasten-Kollegen, die in dem Zyklus vorrangig ein virtuoses Paradestück zu sehen scheinen, wohltuend abhob.
Rachmaninoff – so sagt man – ist nie lau, vielmehr entweder siedend heiß oder eisig kalt. Auch seine sechs „Moments musicaux“ op. 16 kennen keine Halbheiten und kommen mit einer emotionalen Sprengkraft daher, die Interpret und Hörer auszuhalten haben. Egal, ob der Komponist die Druck- und Schmerzpunkte des musikalischen Klangbaus bis zur bittersüßen Neige leert, sich finsterem Grübeln oder wallender Leidenschaft hingibt – Alexander Krichel verstand es nicht allein, dem jeweils vorherrschenden Affekt bedingungslosen Ausdruck zu geben, es gelang ihm vielmehr, zwischen all diesen Extremen eine gleichsam unhörbare Mitte zu schaffen, die solch weit gespannten Polen zu einem inneren Angelpunkt, letztlich zu zyklischer Geschlossenheit verhalf. Mit der zugegebenen „Widmung“ von Robert Schumann in der Transkription von Franz Liszt – einem Vorgeschmack auf seine bereits eingespielte zweite Studio-CD – verabschiedete sich der Künstler von seinem zu Recht begeisterten Publikum.